Ständig Sieger in Niederlagen

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Heuer Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse: Ungarn. BuchmesseNachbarlandgewidmet.

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Heuer Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse: Ungarn. BuchmesseNachbarlandgewidmet.

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Ungarn ist eine literarische Großmacht, nur seine Sprache, die ist ein Kerker ..." Also sprach Peter Esterhazy, einer der bekanntesten ungarischen Gegenwartsautoren in seiner Eröffnungsrede zur diesjährigen (51.) Frankfurter Buchmesse.

Soviel also als Erklärung dafür, daß im deutschsprachigen Raum bisher nur relativ wenige ungarische Autoren populär geworden sind, einfach mangels deutschsprachiger Ausgaben. Das bildhafte, manchmal archaisch anmutende Ungarisch unterscheidet sich in Aufbau und Ausdrucksweise sehr stark von allen anderen mitteleuropäischen Sprachen, und da liegen auch die Schwierigkeiten bei der Übersetzung. Umso mehr ist die Anstrengung zu würdigen, die unternommen wurde, um für den Ungarn-Schwerpunkt der Buchmesse ein reichhaltiges und vielfältiges Angebot, auch mit etlichen Neuerscheinungen, zusammenzustellen, das dem interessierten Leser hierzulande die ungarische Kultur näherbringen will.

Die Ungarn-Halle in Frankfurt (konzipiert von Istvan Ferencz und Deszoý Ekler) ist die bisher größte kulturelle Präsentation des Landes im Ausland und nicht nur das. Ungarn hat mehr Bücher nach Frankfurt gebracht "als irgendein anderes Schwerpunktland in der Geschichte der Buchmesse vor uns", bemerkt mit Stolz Professor Mihaly Szegedi-Maszak, der ungarische Regierungsbeauftragte für die Frankfurter Buchmesse, in einem Gespräch mit dem "Pester Lloyd", der wichtigsten deutschsprachigen Zeitung Ungarns.

Neben ungarischen Klassikern in deutscher (Erst)übersetzung (etwa Gyula Krudys Meisterwerk "Meinerzeit" oder Imre Madachs "Tragödie des Menschen") wird vor allem Gegenwartsliteratur präsentiert. Einer umfassenden Werkschau ungarischer Autoren, die sich bereits auch hierzulande einen Namen gemacht haben (wie unter anderen György Dalos, Peter Esterhazy, Imre Kertesz, György Konrad oder Peter Nadas) stehen etliche Publikationen jüngerer Autoren (allerdings vorwiegend eine Literatur der Männer) gegenüber, die es zu entdecken lohnt.

"Ungarn unbegrenzt" Diverse Anthologien erleichtern es dem Leser, Eindrücke von der neueren Literatur unseres Nachbarlandes zu sammeln und aus der Fülle des Angebots seine zukünftigen "Lieblinge" herauszufiltern. Und wer sich jenseits der gängigen Reiseführer mit Land und Leuten auseinandersetzen möchte, kommt auch nicht zu kurz; Bildbände und Sachbücher über sehr unterschiedliche Ungarn betreffende Themen werden demnächst in unseren Buchhandlungen erhältlich sein.

Besonders aufschlußreich etwa "Die Ungarn. Ein Jahrtausend Sieger in Niederlagen", Paul Lendvais neuestes Werk über die Geschichte des einstigen Nomadenvolks der Magyaren, das als einziges - durch die taktisch kluge Christianisierung vor circa 1000 Jahren - bis heute in Europa überlebt hat und seine Sprache und kulturelle Identität bewahren konnte.

Auf über 5.000 Quadratmetern präsentiert "Ungarn unbegrenzt" auf der Buchmesse nicht nur seine Literatur. Neben den Messenständen der einzelnen Verlage, einer umfassenden Gesamt-Buchausstellung ("bewacht" von zwölf Büsten streng blickender herausragender ungarischer Wissenschaftler und Künstler), Verlagspräsentationen, Lesungen und Diskussionen bietet das Rahmenprogramm Einblick in Musik, bildende Kunst, Fotografie, Wissenschaft (Ungarn verfügt über eine ganze Reihe an Nobelpreisträgern, die ihre Leistungen aber meist im Ausland vollbrachten), Buchdruck und Bibliothekswesen, (Literatur)geschichte, universitäres Leben und vieles mehr. Vor der Halle sorgen eine Volkstanzgruppe und eine etwas chaotische Ansammlung von Marktständen, die ungarische "Volkskunst" anbieten, für Unterhaltung und Auflockerung. Selbstredend wimmelt es auch von offenbar (leider) unverzichtbarer Tourismuswerbung.

Exotischer Charme "Die Frankfurter Buchmesse ist ein gigantischer Marktplatz der geschriebenen Worte. Hier werden wir unsere Vergangenheit und unsere Gegenwart, deren unmittelbares Milieu, deren schöpferisch gestaltete Kopie veräußern." So Arpad Göncz, der Präsident der ungarischen Republik, bei seiner Eröffnungsrede. Und der Präsident ist selbst Schriftsteller. Heuer erschien von ihm die zweite Auflage seines Romans "Die Sandalenträger" (Aufbau Verlag, Berlin) sowie "In Mid-Stream", eine Sammlung ausgewählter Reden, im Budapester Corvina-Verlag. Neben vielen deutschen haben auch österreichische Verlage für die ungarische Literatur und den Kulturaustausch einiges geleistet, allen voran etwa Wespennest, Residenz, Zsolnay oder Droschl. Der bei Zsolnay erschienene Band "Wahlbekanntschaften" beschreibt etwa die literarischen Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn nach der Wende und stellt die berechtigte Frage: "Wie fern ist das Nahe?" Und doch ist zur kulturellen Annäherung der beiden Länder in den letzten Jahren schon einiges geschehen, nicht zuletzt auf der Ebene wissenschaftlicher Kooperation. Nun wird wohl auch ein breiteres Publikum auf die Literatur unseres Nachbarlandes aufmerksam werden.

In diesem Sinne meinte Peter Esterhazy in einem profil-Interview: "Die Buchmesse bedeutet, daß Ungarn im Verhältnis zu Europa an exotischem Charme verliert. Und das ist gut. Es ist die Wiederkehr der Normalität." Und nächstes Jahr ist in Frankfurt Polen an der Reihe.

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