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Budapest und Wien: Im Palais Harrach wurde die umfangreichste kulturelle Präsentation Ungarns seit 130 Jahren eröffnet.

Von allen EU-Beitrittskandidaten sind die Ungarn in Österreich am beliebtesten. Das Naheverhältnis zwischen beiden Ländern, das sich bis in einzelne Bezeichnungen ihrer so unterschiedlichen Sprachen niederschlägt, gründet in der Zeit nach dem Ausgleich von 1867, als Ungarn als einziges Land der Donaumonarchie eine relative Selbstständigkeit erlangte. Dass Budapest und Wien mehr miteinander gemeinsam haben als etwa Wien und Salzburg, wird schnell deutlich. Aber die Ähnlichkeiten wurden und werden selten reflektiert - früher, weil sie so selbstverständlich waren, heute, weil die Verbindung durch den Eisernen Vorhang jahrzehntelang abgerissen war.

Diese Lücke füllt die Ausstellung des Kunsthistorischen Museums und des Collegium Hungaricum im Palais Harrach, die die größte kulturelle Präsentation Ungarns in Wien seit 1873 darstellt. In diesem Jahr konnte sich Ungarn bei der Wiener Weltausstellung zum ersten Mal als selbstständiges Land international präsentieren und entstand Budapest aus den drei Kleinstädten Pest, Buda (Ofen) und Óbuda (Altofen). Damit beginnt die Ausstellung, die "Die Zeit des Aufbruchs" auf allen Ebenen, vor allem aber im Spiegel der Malerei präsentiert. Bilder, frühe Fotos und alte Stadtpläne dokumentieren die rasante Entwicklung der neuen Hauptstadt Budapest und die behäbigere Modernisierung des seit langem als Kulturzentrum geltenden Wien. Faszinierend ist die Gegenüberstellung der Entwürfe für die Österreichische Postsparkasse und ihr ungarisches Gegenstück durch die Architekten Otto Wagner und Ödön Lechner oder auch Wagners Pläne für das ungarische Parlament und für einen Umbau der Wiener Hofburg.

Volkskunst ...

1873 wurde in Wien die erste Sammlung ungarischer Volkskunst gezeigt - ein Meilenstein, der aber auch einseitig das Bild Ungarns prägen sollte. Volkskunst fehlt auch in der jetzigen Ausstellung nicht, aber vor allem sind es Prachtstücke der Angewandten Kunst - Porzellan oder Glaskunst, wo Ungarn führend war -, die faszinieren. Und gerade auf diesem Gebiet will die Ausstellung hinter dem Gegensatz zwischen Historismus und Jugendstil auch die Einheit der beiden Stilrichtungen deutlich machen. Wechselseitige Spiegelungen, korrespondierende Entwicklungen und Unterschiede zwischen den ungleichen Stadtgeschwistern Budapest und Wien ziehen sich als roter Faden durch die erkenntnisträchtige Ausstellung. Die bekannten Beispiele aus Oper und Operette sind angedeutet, Literatur kommt etwas zu kurz, wird aber im Katalog abgehandelt, der zu einem Handbuch angewachsen ist, das weit über die Ausstellung hinaus von Bedeutung ist.

"Budapest und Wien sind eine Allegorie für die kulturelle Entwicklung Ungarns und Österreichs", sagt Katalin Földi-Dózsa, die engagierte Kuratorin der Ausstellung. Der zweite Stock, der den Aufbruch der Moderne in Ungarn in erstrangigen Beispielen dokumentiert, rückt denn auch zwei Orte der Peripherie ins Blickfeld: Szolnok in Ostungarn, ein Zentrum der Landschaftsmalerei, begründet von dem Österreicher August von Pettenkofen, und Nagybánya (das heute rumänische Baia Mare), wo der aus München heimgekehrte Simon Hollósy eine Schule der Freilichtmalerei begründete.

... und Avantgarde

Der kolonialistische Blick der Zentren bringt es mit sich, dass sie sich selbst für die innovativen Ausgangspunkte moderner Entwicklungen halten, während die Peripherien für schöne Landschaften und die Kontinuität agrarischer Traditionen zuständig sind. Die Puszta- und Csárdás-Klischees, auf die Ungarn noch immer zusammen-zuschrumpfen droht, sind dafür ein gutes Beispiel. Ein Blick auf die ungarische Sezession und Künstlergruppen wie Hagenbund, MIÉNK und Kéve oder Einzelgestalten wie die Maler Tivadar Csontváry Kosztka und Lajos Gulácsy kann die Perspektive erweitern.

Künstlerische und kulturelle Entwicklungen gehen nicht immer mit politischen parallel, und so tut die Ausstellung gut daran, nicht mit 1918 zu schließen, sondern den Weg der ungarischen Avantgarde in die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts weiter zu verfolgen. Und am Ende zeigt sich noch einmal ein besonderer Spiegel der Wechselbeziehung zwischen Budapest und Wien: 1912 veranstaltete das Budapester Künstlerhaus die Ausstellung "Neukunst Wien", organisiert von Albert Paris Gütersloh, u. a. mit Werken von Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Anton Kolig und Arnold Schönberg - ein erster wichtiger Orientierungspunkt für die Wiener Avantgarde und der künstlerische Durchbruch für Schiele. Im Palais Harrach kann man jetzt einige der Bilder sehen, die 1912 in Budapest ausgestellt wurden.

Die grandiose Ausstellung zeigt in vielen Details und Variationen, wie nahe Budapest und Wien einmal gewesen sind. Nach der EU-Erweiterung ist eine solche Nähe vielleicht unter neuen Bedingungen wieder möglich - zum gegenseitigen Vorteil. Die Kenntnis der Entwicklungen, die diese Schau und der profunde Katalog vermitteln, kann ein erster Schritt dazu sein.

Zeit des Aufbruchs

Budapest und Wien zwischen Historismus und Avantgarde

Palais Harrach, Wien

Bis 22. April, täglich 10-18 Uhr

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