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Der stille Gleichklang

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Unter den vielen Plakaten, die in Budapest für vielerlei werben, fällt dem Gast ein hier ungewöhnliches auf: es zeigt eine ausgestreckte Hand, über der ein Kelch schwebt, und zeigt „Sammlungen kirchlicher Kunstschätze" an, die im Kunstgewerbemuseum ausgestellt sind. Das ist ein groß angelegter Versuch, den kirchlichen Kunstbesitz in Ungarn zu versammeln und einem interessierten Publikum darzustellen.

Natürlich kann es sich nur um eine Auswahl aus den beweglichen Kunstschätzen handeln, die sonst meist in kirchlichen Museen und Schatzkammern geborgen sind. Aber es handelt sich um eine kunst- und kulturhistorisch höchst aufschlußreiche Zusammenschau aus sechs verschiedenen Religionsgemeinschaften, die sogar über die christlichen Konfessionen hinausgreift und Schätze des Budapester jüdischen Museums erfaßt hat.

Es ist nicht der erste Versuch. Schon vor neun Jahren hat die Bearbeiterin der Schau, die Kunsthistorikerin Katalin David, ähnliches in bescheidenerem Rahmen unternommen. Damals war sie als Betreuerin des kirchlichen Kunstbesitzes von ganz Ungarn noch in der Nationalgalerie stationiert. Sie sprach damals stolz von der „ersten ökumenischen Kunstausstellung". Inzwischen hat sie maßgeblichen Anteil am Aufbau zentraler und regionaler kirchlicher Museen gehabt. So hat die lutherische Kirche seit dem Sommer ein zentrales Museum in Budapest, die Reformierten haben öffentliche Sammlungen in Debrecen, Särospa-tak und Päpa. Die katholische Kirche soll außer dem bekannten Christlichen Museum in Esztergom (dem der Staat kürzlich eine Restaurierungswerkstätte zur Verfügung stellte) Diözesanmuseen vorerst in Györ, Veszprem und Szeged aufbauen.

Der Katalog der Budapester Ausstellung gliedert mehr als 400 Objekte nach Kirchen und nach Sparten, wie Goldschmiedearbeiten, Plastiken oder Textilien. In den Vitrinen sind sie dann aber nach ihrer kunstgeschichtlichen Zusammengehörigkeit geordnet. Es zeigt sich, daß nicht erst im Zeitalter ökumenischer Bestrebungen und angesichts politisch-gesellschaftlicher Verhältnisse, die alle Religionsgemeinschaften ähnlichen Einschränkungen unterwerfen, die Kirchen einander näherstehen, als ihre Angehörigen früher glaubten. Sie sind dem Zeitgeist, dem herrschenden Geschmack, der Mode immer in ähnlicher Weise ausgesetzt

gewesen. Barock hatte zwar bei den Calvinisten weniger Schnörkel, orthodoxe Ikonenmaler und die Herstellerjüdischer Kultgeräte sind zwar strengen, durch Jahrhunderte tradierten Regeln unterworfen gewe-

sen, aber sie konnten sich dem Einfluß der Umwelt nicht ganz entziehen.

Die offiziellen Verlautbarungen über die Ausstellung stellen verständlicherweise den Schutz und die Pflege in den Vordergrund, die der Staat der kirchlichen Kunst angedei-hen läßt. Aber es gibt noch andere interessante Aspekte. Da ist zunächst die Bestandsaufnahme der ungarischen kirchlichen Kunst Dabei ist man längst von enger chauvinistischer Betrachtung abgegangen und registriert, was vorhanden ist und nicht etwa nur, was von ungarischen Künstlern hergestellt wurde. Im Gegenteil: Es ist ja für die Kulturgeschichte sehr aufschlußreich, wie fremde Einflüsse hier wirksam wurden und Wandlungen durchmachten. Was aus den calvinistischen Kunstimpulsen wurde, die zur Renaissancezeit besonders nach Nord- und Ostungarn gelangten, wie deutsche lutherische Barockkunst eindrang und wirkte.

.Aus dem Abstand von yier oder fünf Jahrhunderten sind auch die konfessionellen Gegensätze geringer geworden. Einst hat man blutige Kriege um die Frage geführt, ob der Kelch nur für den Priester bestimmt ist oder auch der Laie daraus trinken darf. Aber wenn heute der Kelch der Lutheraner neben dem der Katholiken steht, dann ist er ein Kultgegenstand zu recht ähnlichem Zweck. Man könnte sogar den Gedanken noch weiter spinnen: wenn heute ein ungarischer Jugendlicher durch die Ausstellung geht und die lutherische Taufschale aus ödenburg sieht, kann er die deutsche Inschrift so wenig verstehen, als ob es eine katholische Schale mit lateinischer Inschrift wäre.

Der altösterreichische Doppeladler weckt auf der Thora-Krone ebenso nostalgische Gefühle wie etwa auf einer katholischen Monstranz. An vielen Einzelstücken läßt sich ablesen, wie künstlerische Anregungen ins Land kamen. Sie stammen aus Wien und Krakau, aus Italien und vom Berg Athos. Viele haben die Türkenzeit auch irgendwo in der „Emigration" überdauert. So erging es ihnen besser als den Kirchen mit ihren Fresken und Altarbildern.

Ungarn bekennt sich dazu, daß es seit tausend Jahren in den europäischen kulturellen Blutkreislauf einbezogen ist.

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