"Alt-Wien war einmal neu"

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Das Wien Museum analysiert einen Kampfbegriff in der Weltmetropole des Rückblicks

Es ist unfasslich, warum man mit Gewalt jedes Charakteristikum aus dem Leben schaffen und Wien nach dem Ebenbilde anderer Städte schablonisieren will, anstatt stolz zu sein, dass Wien eine altehrwürdige Stadt mit einer historischen Vergangenheit ist." Diese Worte könnten ohne weiteres aus einer jener Diskussionen stammen, die heute so gut wie jeden Neubau innerhalb der eigentlichen Stadt begleiten. Das Zitat findet sich jedoch in einer Ausgabe des "Neuen Wiener Tagblatts" von 1909 und richtet sich gegen jene Architektur, für die Wien heute berühmt ist: die Ringstraßenbauten, die prächtigen historistischen Gebäude in der Kärntnerstraße und am Graben.

Altes Bewahren ...

Alt gegen neu, Bewahrer gegen Erneuerer: dieser Konflikt ist keine Erscheinung der Gegenwart, sondern zieht sich durch mindestens 200 Jahre Stadtgeschichte. "Das Maß wird immer am Bestand genommen und jede Generation sieht diesen als immerwährenden Zustand", ergründet Friedrich Achleitner das dahinterliegende Denkmuster im Katalog zur Ausstellung "Alt-Wien. Die Stadt, die niemals war". Diese aktuelle Schau im Wiener Künstlerhaus geht jener für Wien - und wohl auch für den Rest Österreichs - typischen Nostalgie nach, mit der den baulichen Veränderungen der jeweiligen Gegenwart das Bild einer harmonischen Vergangenheit entgegengesetzt wird. Und die ungemein dichte, geradezu labyrinthische Ausstellung entlarvt die sehnsuchtsvoll beschworene Idylle als Mythos. "Alt-Wien' war stets ein gefühlsbeladener und ideologisierter Kampfbegriff", sagt Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museums, das die Ausstellung ausrichtet.

In der Gründerzeit kamen ganze Bereiche der Wiener Innenstadt unter die Spitzhacke, zwischen 1850 und 1900 wurde die Hälfte aller Häuser demoliert. Die Feuilletons beklagten damals wortgewaltig den Verlust des schönen, alten Wien, und Vedutenmaler hielten mit tränennassen Augen fast alle Gebäude fest, bevor sie abgerissen wurden. Sogar ein Elendsquartier wie der "Ratzenstadl" am Wienfluss wurde zur malerischen Idylle verklärt. Wie etwa Rudolf von Alt mit subtilen Tricks das zum Abriss bestimmte Fasszieherhaus am Spittelberg auf dem Papier verschönerte, zeigt der Vergleich mit einem Foto, das den Maler bei der Arbeit an eben diesem Bild zeigt.

Doch selbst das Biedermeier, das in jener Zeit zur Referenzepoche der Alt-Wien-Nostalgie wurde, war auch baugeschichtlich alles andere als idyllisch: Die heftige Wohnbautätigkeit jener Jahre wurde erst in den 1870er Jahren übertroffen. Zu Schuberts Zeiten wurde der Begriff "Alt-Wien" erstmals wehmütig gegen die Gegenwart in Stellung gebracht. Dabei hatten jene Bauten, die im Vormärz demoliert wurden, ihrerseits ab dem 16. Jahrhundert den mittelalterlichen Baubestand verdrängt. Karl Kraus brachte es auf den Punkt: "Ich muss den Ästheten eine niederschmetternde Mitteilung machen: Alt-Wien war einmal neu."

In "Alt Wien. Die Stadt, die niemals war" spiegeln sich verschwundene Zustände und Sichtweisen der Stadt in zahlreichen Kunstwerken, Architekturdokumenten und "Reliquien" wider. Zu bestaunen ist, dass der "Demoliererwut" noch im vorigen Jahrhundert Gebäude zum Opfer fielen, deren Verlust schmerzt. Etwa ein Renaissance-Prachtbau mit Arkadenhof und Wendeltreppe am Graben, der dem 1912 fertiggestellten Trattnerhof weichen musste. Kaum zu glauben auch, dass noch 1965 die barocke Rauchfangkehrerkirche abgerissen wurde, weil sie dem Verkehr auf der Wiedner Hauptstraße im Wege stand.

... Neues verhindern

Heute wäre der Abriss solcher Baujuwele gänzlich undenkbar. Jetzt geht es den Bewahrern nicht mehr darum, wertvolle Altbauten vor der Zerstörung zu retten, sondern die Errichtung neuer Gebäude in der Umgebung historischer Gebäude zu verhindern. Gerade eben beginnt sich massiver Widerstand gegen ein Hochhausprojekt unweit von Schloss Schönbrunn zu formieren. Denkmalschützer sehen durch den 120 Meter hohen Turm den Status des Schlosses als "Weltkulturerbe" bedroht. Dabei war auch Schloss Schönbrunn einmal nichts anderes als ein protziger Neubau, für den sogar ein altes, romantisch gelegenes, frühbarockes Lusthaus demoliert wurde.

Alt-Wien. Die Stadt, die niemals war

Wien Museum im Künstlerhaus

Karlsplatz 5, 1010 Wien

Bis 28. 3. Di-So 10-18, Do bis 21 Uhr

Nächste Sonderveranstaltung:

10. 1. 19 Uhr: Alte und neue Alt-Wiener Lieder (Trude Mally, Die Strottern)

Infos unter www.wienmuseum.at

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