Magyarischer Millenniums-Marathon

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Die Ungarn feiern 1.000 Jahre Staatsgründung durch Stephan den Heiligen mit zahlreichen kulturellen Veranstaltungen.

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Die Ungarn feiern 1.000 Jahre Staatsgründung durch Stephan den Heiligen mit zahlreichen kulturellen Veranstaltungen.

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Man kann sich ans Feiern gewöhnen. 1896 wurde zum ersten Mal "Millennium" gefeiert: Das Volk von jenseits des Urals war nach Pannonien und Umgebung eingedrungen, 933 am Lech nahe Augsburg besiegt, am weiteren Vordringen gehindert und in den Ebenen beiderseits der Donau sesshaft geworden. 1996 wurde gefeiert, dass vor hundert Jahren "Millennium" war, und seitdem gedenkt man der Gründung des christlichen Staates (mit dem später heilig gesprochenen Stephan an der Spitze) um das Jahr 1000. Bis zum 20. August 2001, dem Namenstag des Heiligen Stephan (und aller Ungarn, die Istvan heißen) soll es dauern.

Ungarn kann sich auf seine "europäische" Haltung viel einbilden. Nicht erst, seit es EU-Beitrittskandidat ist. Nicht nur, weil es seinerzeit rasch zum Christentum bekehrt wurde und abendländisches Denken übernahm oder weil es seither wesentliche Beiträge zur europäischen Kultur leistete. Ungarn hat schon durch seine geographische Lage immer wieder ein Bollwerk gegen Eindringlinge aus dem Osten und Südosten gebildet, angefangen bei Tataren und Türken. Wenn auch die Sprache bis heute eine gewisse Barriere bildet: Die Ungarn lernen viele Fremdsprachen. Und sehr viele beherrschen die Sprache der Musik. Schon der Missionar und Bischof Gerardus aus Venedig, der um 1000 als Missionar nach Pannonien kam (seither als der Heilige Gellert verehrt) soll zu einem seiner Gefährten gesagt haben: "Hörst du nicht die Symphonie dieser Magyaren in der Luft?"

So wurde jetzt eine Ausstellung über tausend Jahre ungarischer Musik "Symphonia Hungarorum" betitelt. Sie beginnt mit einer hydraulischen Orgel aus der Römerzeit und einer Pfeife, die ein awarischer Handwerker aus Vogelknochen hergestellt hat. Die gregorianische Musik hat in Ungarn eigene Formen entwickelt. In Spätmittelalter und Renaissance kamen Troubadoure aus Frankreich an den Hof in Buda. Auch der Minnesänger Oswald von Wolkenstein war hier. Die Zeit von Reformation und Gegenreformation ist ebenso berücksichtigt wie die Entstehung von Kapellen an Fürstenhöfen und in Städten. Diese waren ja überwiegend deutsch. Nationale ungarische Töne hörte man zuerst in Tänzen und Volksmusik. Um 1900 begannen Zoltan Kod*ly, Bela Bartok und andere Forscher, diese authentische Volksmusik aufzuzeichnen ...

Brückenschlag Die Millenniums-Ereignisse reichen von dem besonders herausgeputzten alljährlichen "Frühlings-Festival", das in Budapest und anderen Städten gefeiert wurde, bis zu Repräsentationen im Ausland. Eine Ausstellung in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien konzentriert sich noch bis 1. Mai auf die vier Jahrhunderte, in denen die Habsburger auch Könige von Ungarn waren (1526-1918).

Schloss Gödöll''o nahe Budapest gehörte einst der Königin Elisabeth ("Sisi"). Sie soll hier, im geliebten Ungarn, 2.000 Nächte verbracht haben - angeblich mehr als in der Wiener Hofburg und im Schloss Schönbrunn zusammen. Aber es gibt auch den Ort Gödöll''o mit eigenen Kultureinrichtungen. Von 1901 bis 1920 lebte hier eine kleine Künstler-Kolonie, in der nicht nur die damals fortschrittliche Kunst gepflegt wurde, sondern auch moderne Lebensart mit Sandalen, selbst angefertigten (und auch verkauften) Möbeln und Webwaren. Sie waren fromm und ein bisschen sektiererisch. Sie hinterließen schöne Bilder aus dem Umkreis des Jugendstils und mancherlei Gebrauchsgegenstände. Im Budapester Museum für angewandte Kunst hat man zusammengetragen und wissenschaftlich erläutert, was überliefert ist. Die Ausstellung wird später nach Gödöll''o übernommen.

Ein Brückenschlag gleichsam über das heutige Ungarn hinweg ist mit der Ausstellung über "Mattis Teutsch und Der Blaue Reiter" gelungen: Eine Gemeinschaftsarbeit der Ungarischen Nationalgalerie und des Münchner Hauses der Kunst. Johannes Mattis Teutsch war ein Siebenbürger Sachse, der 1884 im damals noch ungarischen Kronstadt (Brasov) geboren ist. Die Ausstellung zeigt seine Werke zusammen mit solchen des "Blauen Reiters" - nicht gerade Spitzenwerke, aber solche, die Stil und Geschmack der Epoche anschaulich machen. Mattis Teutsch lernte zuerst in der Heimatstadt, ging dann nach Budapest und München und kam auf seinem Zug weiter westwärts bis nach Frankreich. Überall nahm er Anregungen auf. Besonders eng schloss er sich dem Kreis um Franz Marc und Wassily Kandinsky an. Was jenen die bayerischen Alpen waren, blieben ihm die heimatlichen Karpaten.

Um 1918 finden wir ihn in Budapest. Seine verschlungenen, farbseligen Kompositionen scheinen zunächst in die Abstraktion zu münden, doch er hielt Kontakt mit der künstlerischen Entwicklung und kehrte immer wieder zur früh gepflegten Plastik zurück. In den dreißiger Jahren scheint er angesichts der politischen Wirrnisse die Orientierung verloren zu haben, schloss sich im kommunistischen Rumänien kurze Zeit dem herrschenden Zeitgeist an, konnte es aber offenbar den Machthabern nicht recht machen und verstummte abermals. Ein Künstlerleben, das sich geographisch am Rande Europas vollzog, das man aber wohl nur im Zusammenhang mit dem jeweiligen mitteleuropäischen Zeitgeist richtig bewerten kann. (Die Ausstellung bleibt bis 24. Juni in Budapest geöffnet und ist vom 6. Juli bis 8. Oktober im Münchner Haus der Kunst zu sehen.)

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