Messe der Befindlichkeiten

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Leipziger Buchmesse: Autoren tragen ihre Gefühle zu Markte, der Markt wird immer härter.

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Leipziger Buchmesse: Autoren tragen ihre Gefühle zu Markte, der Markt wird immer härter.

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Seit der Wende rauft die Leipziger Buchmesse mit dem Schatten, den die große Schwester in Frankfurt auf sie wirft. Doch die Frage, warum Deutschland zwei Buchmessen brauche, verstummt. Die Buchmesse der alten sächsischen Verlegerstadt hat ihr Erscheinungsbild gefestigt - als Messe fürs Volk. Zum zehnten Mal wurde die von Bertelsmann unterstützte Aktion "Leipzig liest" veranstaltet. An 150 Orten vom Cafe bis zur Kaserne lasen Autoren aus ihrenWerken. Vier Tage lang verschwand Leipzig hinter Buchseiten.

Nach wie vor ist die Leipziger Buchmesse auch Ort deutsch-deutscher Auseinandersetzung. Blickt man ins Programm, wird klar, dass die Vereinigung von Ost und West noch lange nicht bewältigt ist. Der Vindobona-Verlag Wien etwa hat gleich zwei Bücher zum Thema vorgestellt: "Politische Lyrik" von Maxi Herta Altrogge, einer inzwischen nach Österreich ausgewanderten Lehrerin aus Thüringen, und "Im Visier", die Leidensgeschichte Willy Hieronymus Schreibers, dem die Stasi-Leute auch noch nach dem Fall der Mauer mit ihrem Psychoterror zusetzten.

Immer wieder werden DDR-Schicksale zum Thema: "Ich war Staatsfeind Nr. 1" heißt das Buch von Wolfgang Welsch, der als Fluchthelfer auf der Stasi-Todesliste stand. Über Ost-West-Befindlichkeiten schreibt auch Uwe von Seltmann in "An einem Tag im August". Hinzu kommen reihenweise neue Sachbücher über Details der DDR-Vergangenheit.

Neben dem Gewohnten bot Leipzig auch Neues. Die deutschen Comics waren erstmals mit einem eigenen Stand zu Gast und der Siegeszug des Hörbuchs war unübersehbar: "Harry Potter" ging im Vorjahr eine Million mal - nicht als Lese- sondern als Hörstoff - über den Ladentisch. Knapp 7.000 lieferbare Titel gibt es derzeit, jährlich kommen 800 dazu. Im Rahmen der Buchmesse wurde erstmals vier Stunden lang die "Lange Nacht des Hörbuchs" über die ARD-Sender ausgestrahlt.

Die New Economy macht aber auch vor den Buchregalen nicht halt. Dazu gab es eine prominent besetzte Diskussion. Die Rollen waren rasch verteilt. Buhmann war Peter Olson, der neue Mann im Bertelsmann-Vorstand und Abgesandte der Random-House-Gruppe. Er sprach alle Themen an, die heimische Verleger mit spitzen Fingern anfassen: Marktführerschaft, mindestens zehnprozentige Rendite, logistische Verbesserungen. Damit holte er sich aber kalte Füße. Der ehemalige Staatsminister und neue Chefredakteur der "Zeit" Michael Naumann, einst selbst Verleger in den USA, meinte, mit mehr Logistik sei in Amerika etwas zu erreichen, wo ganze LKW-Ladungen mit Büchern verschwänden, nicht aber in Deutschland, wo Bücher seit Jahrzehnten binnen 24 Stunden in die hintersten Winkel des Landes lieferbar seien. Die Verlegerin Antje Kunstmann sagte, in der Literatur sei jeder Autor wichtig oder nicht, Marktführerschaft sei ein seit 20 Jahren der Branche fremdes Wort.

Es werde aber an Bedeutung gewinnen, wenn die Verlagskonzentrationen, wie bei Bertelsmann und Random, voranschreiten und es immer schwieriger wird, in den Buchhandel zu kommen, so Suhrkamp-Chef Günter Berg. Den Handelsketten sei das Angebot nicht breit genug, sprich: anspruchslos. Berg: "Ich will unabhängig bleiben, die Frage ist, wie lange ich das sein kann."

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