6550340-1947_38_14.jpg
Digital In Arbeit

Im Verlegerhaus zu Wiesbaden

Werbung
Werbung
Werbung

Über schwerzerbombte Steppe, durch Ruinen uns den Weg suchend, bin ich endlich zu etwas gelangt, das einmal eine Straße Wiesbadens gewesen sein könnte — einmal. Und da bin ich schließlich auch vor einem Haus angelangt, das nicht zerstört ist. „Hotel Pariser Hof“ steht ober dem versperrten Tor. Was jetzt? Ich läute nochmals Sturm. Dann hört man Schritte und man öffnet. Man hat mich erwartet. Ein Zimmer ist für midi bereit und gastlich nimmt mich das „Verlegerhaus“ auf.

Die Amerikaner hatten, als sie bei der endgültigen Zonenaufteilung Deutschlands Leipzig räumten, die drei Verleger Brockhaus, „I n s e 1“ und Diederichs mitgenommen, da ihnen ihr kulturelles Wirken für Deutschiland auch in der amerikanischen Zone als wichtig erschien. Und hier, in der Spiegelgasse 9 zu Wiesbaden, im ehemaligen „Hotel Pariser Hof“, haben die drei großen alten Weltverlage durch die Hilfe und Organisationskunst der Amerikaner ein neues Heim gefunden. An den einfachen Türen der Gänge des einstigen Hotelgebäudes tun simple Pappzettel kund, hinter welcher Tür der Seniordhef des großen alten Brockhaus-Verlages sitzt, daneben sein Sohn, noch eine Tür weiter des Sohnes Frau. Am Ende des Ganges liegt das Archiv des Verlages, das neugeschaffene. Nach der völligen Zerschlagung des Stammhauses im Jahre 1943 war wenig übriggeblieben von Archivbeständen — noch weniger konnte hieher mitgeführt werden, nur das Wesentlichste. Das aber ist heute der Wille zur Arbeit. Im ganzen Haus herrscht von den frühen Morgenstunden bis zum späten Abend eine bienengleiche Geschäftigkeit. Im zweiten Stock ist der Diederichssche Verlag untergebracht. Auch hier arbeiten Vater und Sohn. Was haben diese Menschen nicht alles durch den Krieg in Leipzig verloren! Sie haben ihre Betriebe auf primitivste Verhältnisse umstellen müssen. Doch man fühlt, daß trotzdem der Stil, die Tradition lebendig geblieben ist und neue Triebe ansetzt. Ich gehe von Stockwerk zu Stockwerk, von Verleger zu Verleger und lande dann ganz oben bei Dr. Michael. Er führt hier in der amerikanischen Zone den Insel-Verlag Anton Kippenbergs.

Uberall in jedem der drei Verlage, die heute nur dünne Hotelwände voneinander trennen, entstehen nun schon wieder neue Bücher, die alle den alten Stempel ihres Hauses tragen und die man stockweise, firmenmäßig durcheinandertragen könnte und doch wieder richtig verteilen würde.

Es mögen schwere Stunden und bittere Tage jedem der drei Verleger mandimnl beschieden sein, wenn sie gegen die heutigen, unvorstellbaren Herstellungsschwierigkciten, den Mangel an Papier, Farbe und jeglichen Buchbindermaterials ankämpfen — wenn sie neue kleine Druckereien für die Herstellung zu schulen versudicn — und dann an die schönen' Firmen zurückdenken, die ihre eigenen waren oder die ihnen in jahrelanger Zusammenarbeit in Leipzig zur Verfügung standen. Aber sie machen es mit sich aus und arbeiten. Vielleicht zittert die Hand, die dann eine Fahnenkorrektur hält, vielleicht ist das Auge müde, das den Aushängebogen aufmerksam prüft — aber neue Bände entstehen, unvergleichlich dabei Mühe und Schwierigkeiten gegen die der vergangenen Jahre. Die Ausstattung, der Druck, das Papier, hält meist nicht den gewohnten Anforderungen stand. Aber das typographische Bild, der Stil des Hauses ist noch da und der Inhalt mit besonderer Sorgfalt gewählt. Wiesbaden ist Leipzig geworden — es hat Leipzig überwunden, indem es dessen politisch-geistige und kriegerische Vernichtung überlebte.

Bei Dr. Friedrich Michael sitzen wir in einem hellen Raum. Die Wände sind mit schönen Bänden des Insel-Verlages verkleidet.

Wir sprechen von weit zurückliegenden Jahren, von Dr. Kippenberg, dessen weltberühmte Goethe-Sammlung fast zur Gänze gerettet werden konnte und nun- wieder zusammengetragen wird. Traurig erzählt Dr. Michael von dem vor wenigen Wochen (7. Juni 1947) erfolgten Tode der Frau Katharina Kippenberg, der großen Fördererin Und Freundin Rilkes. Ihr Gatte Anton Kippenberg, der schon 1943 nach der völligen Vernichtung seines Verlagshauses in Leipzig im Dezember jenes Jahres nach Marburg an der Lahn übersiedelte, lebt und arbeitet unermüdlich auch jetzt dort weiter. Frau Katharina Kippenberg konnte vor ihrem Tode, 70jährig, noch ihr Buch „Erinnerungen an Rilke“ vollenden, das nun im Insel-Verlag erscheint und das er mir schon in einem Exemplar zeigen konnte. Rilkes Werke werden mit viel Mühe neu aufgelegt. Billig, als „Insel-Bändchen“, damit sie möglichst weiten Kreisen zugänglich gemacht werden können.

Vom äußeren Glanz der Insel-Bücherei ist nur die tadellose graphische Gestaltung geblieben. Alles andere mußte sich der Not der Zeit beugen. Das Papier gelblich, die Umschläge schlichter als schl;cht, keine farbig-bunten Vorsatzpapiere, kein Pappband mit aufgesetzter Vignette umschließen mehr die Seiten. „Die Sonette an Orpheus“, „Der ausgewählten Gedichte erster Teil“, „Der ausgewählten Gedichte anderer Teil“ ist wieder da. Für die „Duineser Elegien“ hat man besondere Anstrengungen gemacht, ein ganz ansehnlicher, hellgrauer Pappband ist entstanden, Papier, Satz und Druck aber nicht das, was Kippenberg einst vorbildlich schuf. Auch Rainer Maria Rilkes „S t u n d e n b u c h“ — vom mönchischen Leben, von der Armut und vom Tode, ist neuaufgelegt, als ganz bescheidenes, sdilichtes Halbleincnbändchen in , der angleichenden Aufmachung venezianischer Drucker des 15. Jahrhunderts. All die Werke nur in 5000 Auflage — die Höchstzahl, die die amerikanisdie Militärregierung bewilligt — bewilligen kann. Es gibt kein Papier, es gibt noch weniger Papier als in Österreich, und vor allem ist die Qualität noch bedeutend fragwürdiger.

Großes Aufsehen riefen die Sonette eines jungen deutschen Dichters, Rudolf Hagelstange, hervor, die der Verlag schon 1946 veröffentlichte. Früher, zu einer Zeit, als dies in Deutschland noch nicht möglich war, im Juli 1944, hat Dr. Hans Mardersteig in Verona das „Venetianische Kredo“ des damals völlig unbekannten deutschen Kriegsgefangenen Rudolf Hagelstange als bibliophilen Handabzug in seiner Offi-zina Bodoiii mit 155 Exemplaren heraus-gebradit. Dr. Hans Mardersteig ist einer der größten deutschen Drucker, der vor Jahren seine Heimat verlassen hatte, da ihm das Leben dort nicht mehr lebenswert erschien. Freudig zeigt Dr. Michael noch zwei Bücher des gelehrten philosophierenden Historikers Reinhold Schneider, „Las Casas vor Karl V.“ und „Macht und Gnade“. Doktor Michael kann voll Befriedigung auf die Leistungen des Verlages zurückblicken. Er selbst ist Schriftsteller; im Stockwerk darunter, bei Diederichs, ist eben ein Band mit seinen erfolgreichsten Theaterstücken erschienen: „Drei Komödien“.

Und nun zu Dr. Brockhaus. — Während ich Hans Brockhaus an seinem Schreibtisch gegenübersitze, merke ich wie dieser Schreibtisch viel zu groß für den kleinen Büroraum ist. Hinter ihm sind Regaile aufgestellt, die alle möglichen Ausgaben der Lexikas- enthalten, die sein Verlagshaus schon vor Generationen berühmt gemacht haben, als einer seiner Ahnen eine ähnliche Enzyklopedia wie die Diderot-d'Alemberts für Deutschland schuf. Der Verlag F. A. Brockhaus, Lm Jahre 1805 in Leipzig gegründet, blieb bis heute Familienbesitz. Ende November 1943 hatte der Verlag Brockhaus den Schließungsbefehl des Propaganda, ministeriums erhalten und ist vier Tage darauf bei einem Fliegerangriff auf das Leipziger Buchhändlerviertel fast völlig vernichtet worden. Die Arbeit aber blieb tatsächlich nur kurze Zeit unterbrochen, mit eiserner Energie wurde im stillen weitergearbeitet. Die Zeiten mußten sich ändern und sie haben sich geändert. Der Verlag Eberhard Brockhaus in Wiesbaden hat es nun übernommen, die Überlieferung des Hauses hier weiterzuführen. Die Verlagsgebiete sind die alten geblieben: Nachschlagewerke, volkstümliche Erd- und Völkerkunde und Naturwissenschaften, Wörterbücher, Philosophie, auch Geschichte. Von den Nachschlagewerken erscheint zunächst in Wiesbaden der „Sprach-Brockhaus“, das altbekannte Wörterbuch der deutschen Sprache mit reicher Bebilderung. Es liegt bereits in Probebänden ausgedruckt vor. Eine Abteilung für die Jugend wird besonders ausgebaut. Ungebrochen, vielleicht nur um einen Schein stiller, sitzt Hans Brockhaus an seinem Arbeitstisch und zeigt mir bereits Geschaffenes, spricht von seinen Plänen. Etwas Bitternis fließt bei manchem ein, das er als unzulänglich an der Herstellung empfindet. — Zum drittenmal in seinem Leben hat Hans Brockhaus begonnen, dem alten Verlag einen neuen Rahmen zu schaffen, sein Sohn Eberhard ist heute der Lizenzträger des Verlages. Sein zweiter Sohn ist vermißt.

Der Besuch im Verlage Diederichs gilt Wilhelm Klemm, der auch eines der ältesten Auslieferungshäuser Deutschlands, leitet. Wilhelm Klemm ist eine große Persönlichkeit — ein Dichter, ein Träumer, ein begeisterter Verleger. Den schönen Künsten ergeben, machte er sein Haus in Leipzig zu einem Sammelpunkt seltener Kunstwerke. Alles ist in Flammen aufgegangen, in dem namenlosen Unglück der einen Schreckensnadit. Wenige Kunstschätze konnten gerettet werden. Sie stehen und hängen jetzt hier im Büro herum, bereiten Freude und erwecken Wehmut. Wie herrlich der schwere, mittelalterliche Tisch, an dem Willy Klemm sitzt, wundervoll die gotische Madonna darüber und zwischen den beiden Fenstern die im reichen, steifen Gold der Primitiven eingefangenen Lieblichkeit Mariens . . . Zwei Söhne hat Wilhelm Klemm der Krieg, den er aus ganzer Seele verachtete, geraubt, „nachdem man daran nicht zerbrochen ist, trägt man auch das andere“, sagt er still. Sein treuer Mitarbeiter ist nun sein Sohn Arno, er breitet bescheiden lächelnd die Beweise des neuen Verlagsaufbaues aui den Tisch vor uns aus.

Hervorzuheben ist eine neue naturwissenschaftliche Abteilung, diev Klemm seinen: Verlag angliederte, die bereits international Bedeutung gewonnen hat: Die „Z e i t-schrift für N a t u r f o r s c h u n g“. Es gibt davon eine Ausgabe für Physik und eine für Chemie spezialisiert. Außerdem gibt Klemm die Zeitschrift „Philologus“ für das klassische Altertum und „Klio“ für alte Geschichte heraus und führt die wertvolle Serie „Sammlung Diederichs“ fort; es sind seit der Lizensierung bereits achtzehn Bände erschienen, davon fünfzehn Neuerscheinungen und der Rest Neuauflagen, darunter Ernst Beutlcrs „Essays um Goethe“ und Beutlers Bearbeitung des „Faust“, die beide soviel von sich reden gemacht haben.

Unbändiger Lebenswille und ein durch keine Schicksalsschläge gebeugter Arbeitswille sind in diesem Heim am Werk. Man hat sie einmal tot geglaubt. Es war ein Irrtum. Man kann sich auch heute hier im Verlegerhause von Wiesbaden ein Beispiel holen, dem nachzueifern des Schweißes der Edlen wert ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung