Wider das Ex- und-Hopp

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Autorinnen und Autoren schreiben gegen die "Trivialisierung der Gesellschaft" und lassen hinter die Kulissen des Literaturbetriebs blicken.

In den letzten eineinhalb Jahrzehnten häufen sich die Klagen über die angeblich unpolitisch gewordene junge Literatur. Einerseits ließ das etablierte Feuilleton an den traditionellen Einmischern wie Günter Grass und Martin Walser kein gutes Haar, andererseits galten und gelten die Jüngeren als, bestenfalls, politisch uninteressiert. Weshalb das so nicht stimmt und es die Jüngeren viel schwerer haben, sich Gehör zu verschaffen, davon legt jetzt ein zorniges Buch Zeugnis ab, das dennoch sachlich bleiben kann, denn: Die Verhältnisse sprechen für sich selbst.

Herausgegeben haben es Thomas Kraft und Norbert Niemann, beide kennen sich im Literaturbetrieb seit vielen Jahren bestens aus. So konnten sie 19 weitere Autorinnen und Autoren für Beiträge gewinnen, die mitteilenswerte Erfahrungen mit dem Literaturbetrieb gemacht haben. Vielen Beiträgen merkt man an, wie sehr sich die Autorin oder der Autor freut, endlich einmal den Raum zu haben, seine Erfahrungen mit der Gesellschaft und den sie prägenden Massenmedien mitzuteilen. Wie schwierig es ist, sich heutzutage mit einem solchen Anliegen Gehör zu verschaffen, zeigt schon, dass der Verband deutscher Schriftsteller in Bayern die Publikation fördern musste.

Überraschend ist nicht nur die hohe Qualität, sondern auch die Homogenität der Beiträge trotz ganz unterschiedlicher Perspektiven. Der Band gerät zu einer Serie von Fallbeispielen für das, was in unserer heutigen Gesellschaft nicht stimmt - allen voran die, wie es der Untertitel des Bandes zusammenfassend feststellt, "Trivialisierung der Gesellschaft" durch die Angebote der Massenmedien und die Willfährigkeit der Verlage.

Das vermutete Leserinteresse

Es fällt schwer, etwas herauszugreifen, jeder Beitrag ist zitierenswert. Die Bandbreite reicht von allgemeinen Diagnosen wie jener Dieter Lattmanns "zu Kultur und Sprache" oder Gert Heidenreichs zu Bankenkrise und Politik bis hin zu den ganz subjektiven Erfahrungsberichten von Tanja Langer und Feridun Zaimoglu. Langer schildert ihren Werdegang als Autorin auf einem zunehmend vom Mainstream, von Marketing-Überlegungen bestimmten Literatur-"Markt". Was für Verlage zählt, ist die Verkaufbarkeit und, daraus abgeleitet, das vermutbare Leserinteresse. Während ihr früherer Lektor sie ermutigte, auf sich selbst zu hören und an der Sprache zu feilen, rät ihr der neue, sich bestmöglich zu inszenieren: "'Sie haben doch ein hübsches Gesicht.' Er sagte auch immer, ich sollte mehr Füllwörter verwenden, Wörter wie 'dann' und 'plötzlich', das wären schöne Schmierwörter, besser für den Leser." Hoffnung fasst sie erst durch ihre Bekanntschaft mit der jungen Isabelle, die ihr zwar hilft, sich besser zu "vermarkten", der es aber um die richtigen Inhalte geht. Das ist schon eine kleine Utopie angesichts der, wie es Hans Pleschinski auf den Punkt bringt, "Ex-und-Hopp-Mentalität" des Literaturbetriebs.

Die von Anzeigenrückgang und damit finanziellen Sorgen gebeutelten Massenmedien tragen das Ihre dazu bei. Dabei ist die ökonomische Krise gar nicht so groß, wie sie zu sein scheint, zumindest den Inhabern der Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchverlage geht es nicht schlechter als vorher. Aber die Schere zwischen "denen da oben" und "denen da unten" geht immer weiter auf. Und der allgemeine Überfluss an Gütern und Produkten führt dazu, dass die Sorgen um das weitere Wirtschaftswachstum alle anderen Gedanken verdrängen.

Juli Zeh ist eine derjenigen, die sich um eine grundsätzliche Diagnose bemühen: "Die Zukunft ist ein unbekanntes und deshalb bedrohliches Ding, das es durch immer neue Regulierungen und Kriterien und Maßstäbe zu domestizieren gilt." Dadurch werde die Gemeinschaft "zu einer Stampede, die unter der Fahne des Individualismus in ein- und dieselbe Richtung flüchtet". Die durch die Massenmedien exekutierte Political Correctness lässt kaum noch andere Meinungen zu, gefragt ist das Immergleiche in unterschiedlichen Verpackungen.

Dazu hätten die Autoren und Autorinnen, meint Eva Menasse, viel zu sagen, wenn sie denn Gehör fänden: "Wir brauchen Zeit und den langen Blick. Über beides müssen gute Schriftsteller verfügen, beides fehlt den Medien." Menasse träumt von einer "kritischen Gruppe 2011", in der alle am Literaturbetrieb Beteiligten miteinander ins Gespräch kommen, um die Sorgen und Nöte der jeweils anderen besser verstehen zu lernen. Wenn aber Wunsch und Realität aufeinanderprallen, hilft nur noch Ironie: "Oh Gott, heulen meine sich die Haare raufenden Freunde und entsetzten Berater, was ist sie für eine peinliche Träumerin!"

Keine Lust auf Untergang

Gegen eine Trivialisierung der Gesellschaft

Hg. von Thomas Kraft und Norbert Niemann

LangenMüller 2010.

190 Seiten, geb., e 13,35

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