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Der eigene Weg

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„Was, der Kürnberger ist Österreicher?“ hörte man auf der Frankfurter Buchmesse 'einen Journalisten fragen, dem die neun bisher erschienenen Bände der österreichischen Bibliothek im Böhlau-Stand aufgefallen waren. Und in der Tat, Ferdinand Kürnberger ist ebenso gut oder schlecht Österreicher wie Karl Kraus. Denn wie dieser hat er den Finger auf die Wunden gelegt, die unserem Land vom herrschenden Ungeist stets geschlagen wurden.

Es ist eine oftmals als österreichisches Schicksal bezeichnete Tragik, daß diesem Ungeist Denkmäler errichtet wurden, während sich die Mahner und Kritiker ihrer Epoche bestenfalls mit einem stillen Eck in der Literaturgeschichte begnügen mußten. Wäre nicht Karl Kraus gewesen, Johann Nestoy wäre nur einer unter den Autoren des Wiener Volkstheaters geblieben, der er freilich auch war; den Zeitkritiker und Sprachkünstler hätte man vergessen.

Daß Marie von Ebner-Eschen-bach, die vielleicht härteste, jedenfalls aber konsequenteste So-zialkritikerin unseres Landes, wenn überhaupt, dann bestenfalls mit ihrer sentimentalen Hundegeschichte „Krambambuli“ ein wenig rühmliches Dasein in den Lesebüchern geführt hat, gehört zu den überaus traurigen Tatsachen des mangelnden Selbstverständnisses der österreichischen Literatur. Bei welcher anderen Nation wäre sonst ein so überaus feingebildeter, sensibler Essayist wie Franz Blei lediglich als Verfasser von Sachbüchern zur Erotik oder zu schlüpfrigen Themen bekannt? Wenn er überhaupt bekannt ist!

Kurz: es fehlt der österreichischen Literatur an Kontinuität. Die Namen ihrer bedeutenden Persönlichkeiten steigen auf wie Feuerwerkskörper, um nicht lange danach ins Dunkel des Vergessens zurückzusinken. Peter Handke, ein immerhin gestern noch glänzender Name, wird von den ganz jungen Semestern kaum noch gekannt. Und schließlich ist# auch der Name Adalbert Stifters erst mehr als sechzig Jahre nach dem Erscheinen seines Hauptwerkes ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gedrungen.

Wie nirgendwo sonst, wird die Literatur in Österreich zu einer Art gesellschaftlichem Ereignis degradiert, das ein oder zwei Jahre hindurch manche Leser in Atem hält, um schließlich vergessen zu werden. Sie fristet also ein punktuelles Dasein, läßt sich von Moden führen und verführen und leidet von Epoche zu Epoche spürbarer am Verlust der Kontinuität.

An sich böte das genug an Motivation für ein Unternehmen wie es die österreichische Bibliothek ist: den Lesern jeweils in einem Band das Hauptwerk oder die Hauptwerke eines Autors nahezubringen. Erschienen sind, vom verdienstvollen Böhlau-Verlag betreut, bisher Werke von Franz Blei, Marie von Ebner-Eschenbach, Karl Kraus, Ferdinand Kürnberger, Gustav Mey-rink, Erika Mitterer und Peter von Tramin und ein Band Literatur der Aufklärung. Das Nachwort soll jeweils über die wichtigsten geistesgeschichtlichen Hintergründe der betreffenden Persönlichkeit orientieren und eine Zeittafel deren Einbettung in den historischen Zusammenhang nachvollziehbar machen.

Dazu kommt aber auch noch eine Beobachtung, die in letzter Zeit immer wieder anzustellen ist: Wie, ohne viel Aufhebens davon zu machen, österreichische Autoren in die deutsche Literatur eingemeindet werden. Franz Grill-parzer und Adalbert Stifter haben dort bereits Ehrenplätze, aber schon folgen ihnen Robert Musil, Franz Kafka und Hermann Broch klammheimlich nach.

Es hat durchaus nichts mit billigem Nationalismus zu tun, wenn die österreichische Bibliothek versucht, österreichische Autoren wieder als Vertreter einer Geistigkeit sichtbar zu machen, die es entgegen allen Aussagen falscher Propheten wirklich gibt und die es selbstverständlich seit eh und je gegeben hat. Um das festzustellen, braucht man nur den Band „Literatur der Aufklärung 1765-1800“ aufzuschlagen; hier wird man—wovon politische Bonzen des 20. Jahrhunderts nichts wissen wollen — dem Begriff der österreichischen Nation wiederholt und in genau umschriebener Bedeutung begegnen.

Jeder, der versucht, österreichische Geistigkeit schlechthin zu leugnen, wird alsbald zur Kenntnis nehmen müssen, daß durch die enge Nachbarschaft der Autoren innerhalb der österreichischen Bibliothek das spezifisch Au-striakische immer deutlicher in den Vordergrund tritt.

Es ist eine der vornehmsten Absichten der Herausgeber dieser Bibliothek, dem Leser nahezubringen, wie dieses die Gemeinsamkeit stiftende Moment unserer Literatur vielleicht nicht so sehr im Stoff als vielmehr in der Sprache zu finden ist. Die österreichische Literatur unterscheidet von der deutschen lediglich die gemeinsame Sprache — um ein Wort von Karl Kraus zu variieren. Das kann jeder nachprüfen, wenn er Erika Mitterers Roman „Der Fürst der Welt“ auch nur anliest: diese Einheit von Sinnlichkeit, barocker Fülle und klar strukturierten Perioden findet sich heute kaum in einem anderen Land des deutschen Sprachraums.

Genau diese Absicht, nämlich das Austriakische in unserer Literatur darzustellen und für den Leser zugänglich zu machen, hat den in der DDR ansässigen Verlag „Volk und Welt“ bewegt, mit Böhlau zusammenzuarbeiten und das Verlagsprojekt in sein Programm aufzunehmen. In einer bis jetzt überaus fruchtbaren Kooperation mit den Mitarbeitern des Verlags, Dietrich Simon und Chris Hirte, wurden in knapp drei Jahren die ersten neun Bände vorgelegt, die auf diesem Gebiet bisher wohl zu Österreichs größtem Kulturexport zählen. Dementsprechend groß war auch das Echo. Nun steht das Erscheinen des zehnten Bandes bevor: er vereint unter dem Titel „Der Juden-raf ael“ Erzählungen von Leopold von Sacher-Masoch. Es folgen sämtliche Dramen von Ferdinand Bruckner, danach erscheint das vergessene Buch Ludwig Spei-dels, „Fanny Elßlers Fuß“, und' anschließend ein Band Grillpar-, zer.

Allen Querelen um Österreichs Identität als Nation zum Trotz: Österreichs Literatur ist gefragt. Durch die österreichische Bibliothek wird die Kontinuität unserer Literatur sichtbar gemacht und diese Nachfrage verstärkt.

Der Autor ist Leiter der Hauptabteilung Wissenschaft im ORF-Hörfunk und Herausgeber der Osterreichischen Bibliothek.

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