Bernhard - © Foto: Monozigote

"Bis zum triumphalen Ende"

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Vor 30 Jahren, am 12. Februar 1989, starb mit Thomas Bernhard ein Autor, dessen Wirkung andauert: in der Kunst, im öffentlichen Diskurs.

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Vor 30 Jahren, am 12. Februar 1989, starb mit Thomas Bernhard ein Autor, dessen Wirkung andauert: in der Kunst, im öffentlichen Diskurs.

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Im Todesjahr von Thomas Bernhard, 1989, starb eine ganze Reihe prägender Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts: der Maler Salvador Dalí und der Pianist Vladimir Horowitz, der Regisseur Sergio Leone sowie die Schauspieler Laurence Olivier und Bette Davis, die Schriftsteller George Simenon und Daphne du Maurier, der Verhaltensforscher Konrad Lorenz und der Psychiater Ronald D. Laing. Außerdem der japanische Kaiser Hirohito und der iranische Ajatollah Chomeini; kurz zuvor hatte er noch zur Ermordung des Schriftstellers Salman Rushdie aufgerufen -wegen der angeblichen Blasphemien in dessen Buch "Die satanischen Verse".

Bernhard teilt das Sterbejahr mit Samuel Beckett, mit dessen Arbeiten man seine Literatur früh verglichen hatte - neben seinen frühen Erzähltexten etwa das Stück "Ein Fest für Boris", obwohl der Autor selbst eher Jean Genet zu seinem Vorbild erklärte. Und mit Herbert von Karajan, dem "wichtigsten Kapellmeister des Jahrhunderts neben Schuricht" (in "Wittgensteins Neffe") und Herrscher über die Salzburger Festspiele, wo Bernhard mit fünf Uraufführungen von Stücken, die sich teilweise ironisch von der Ästhetik des Festivals absetzten, zum erfolgreichsten zeitgenössischen Autor avancierte - obgleich "Ein Fest für Boris", ein Anti-Jedermann, in Salzburg zunächst abgelehnt wurde.

Ferne Epoche?

In diesem Jahr, in dem so viel zu Ende ging, öffnete sich nach dem Fall der Berliner Mauer der "Eiserne Vorhang". In Paraguay wurde Alfredo Stroessner gestürzt, zu Weihnachten wurden Nicolae und Elena Ceauşescu hingerichtet - Vertreter jenes Diktatorentyps, wie ihn Bernhard in seiner Literatur in einer Mischung aus Abscheu und Faszination dargestellt hatte. Freilich wurde in China durch das Tian'anmen-Massaker auch eine Befreiungsbewegung niedergewalzt -alles Ereignisse, die Bernhard nicht mehr erleben konnte. Wie groß der Abstand zu dieser Zeit geworden ist, zeigt übrigens die Geburt eines Kindes, das später auf völlig andere Weise die nationale Seele in Bewegung setzen sollte; sein Name: Marcel Hirscher.

Als Symptome einer fernen Epoche muten heute auch manche Skandale an, für die Thomas Bernhard in Österreich selbst literaturfernen Schichten zum Begriff geworden war. Im vergangenen November erinnerte man sich daran, dass die größte Aufregung, die ein Autor je in diesem Land ausgelöst hat, der Streit um "Heldenplatz", ebenfalls schon 30 Jahre zurückliegt. In den Reaktionen auf Bernhards letztes Stück zeigt sich das kuriose Panoptikum eines Teils der damaligen politischen Führungsschicht, von Kurt Waldheim über Jörg Haider und Helmut Zilk bis zu Alois Mock. Sigrid Löffler stellte kurz vor der Uraufführung fest, Österreich bemühe sich derzeit mit aller Vehemenz, "Bernhards schlimmste Übertreibung und gemeinste Verzerrung nicht Lügen, sondern Wahrheit zu strafen".

Die Bedeutung von Bernhards "Heldenplatz" und weiterer NS-kritischer Texte, etwa des autobiografischen Bandes "Die Ursache" (1975) oder des Romans "Auslöschung" (1986), im Kontext der Auseinandersetzung des offiziellen und des intellektuellen Österreich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit wäre im Rahmen einer umfassenden Studie über die Literatur dieser Jahre zu klären; sie soll keineswegs kleingeredet werden. Kaum ein Autor dieses Landes hat im öffentlichen Diskurs der letzten Jahrzehnte so viel an Beschäftigung mit den schmerzhaftesten und peinlichsten Facetten der österreichischen Identität provoziert. Wenn man über Bernhards Literatur und deren Wirkung nachdenkt, sollte man jedoch nicht nur beim Hinweis auf diesen Aspekt seiner Arbeit stehenbleiben.

Wollte man den Versuch unternehmen, die Qualität dieser einzigartigen künstlerischen Persönlichkeit zu beschreiben, müsste man wohl zuerst auf seine ungewöhnliche Kraft der Sprache hinweisen, auf die Originalität seiner literarischen Stimme. Bernhards Texte sind durch eine außerordentliche Formulierungsphantasie gekennzeichnet - seine berühmten Scheltreden sind bei aller lustvoll ausagierten Boshaftigkeit immer wieder auch sehr komisch. In diesem spezifischen "Sound", den er selbst als Musiknähe seiner Literatur beschrieben hat, behandelt der Autor meist existenzielle Problembereiche, die uns alle berühren: Krankheit, die Nähe des Todes, die Selbstermächtigung gegen größte Widerstände, den Anspruch auf absolute Unabhängigkeit, aber auch die im Grund romantische Vorstellung von genialer Kreativität. Themen wie der Konflikt zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft, aber auch Fragen von Kunst und Politik werden in radikaler Zuspitzung abgehandelt, apodiktisch, in griffigen sprachlichen Festlegungen -und immer wieder ironisch aufgehoben, ein Umstand, der bei einer allzu identifikatorischen Lektüre aus dem Blick gerät.

Was nicht zuletzt geblieben ist -und über die Jahre zugenommen hat -, ist die internationale Wirkung, die das Werk Thomas Bernhards seit seinen ersten Erfolgen ausgelöst hat. Sie lässt sich hier nur an wenigen Beispielen andeuten. Es ist bekannt, dass Bernhards Literatur in den romanischsprachigen Ländern besonders intensiv wahrgenommen wurde. Der spanische Autor Félix de Azúa bezeichnete ihn 1986 als den "besten Schriftsteller des spanischen Realismus". Ein spektakuläres Dokument für die radikal identifikatorische Beschäftigung mit Bernhard lieferte der französische Autor, Fotograf und Videokünstler Hervé Guibert, dessen Bestseller "Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat"(1990) unter dem Schatten seiner unheilbaren Aids-Erkrankung entstand.

"Age of Bernhard"

Einen Beleg für die Widersprüchlichkeit, die auch die Bernhard-Rezeption auszeichnet, bildet die Tatsache, dass sich in den USA, wo der Autor beim breiten Lesepublikum wenig Anklang gefunden hat, eine ganze Reihe bekannter Vertreter der literarischen Intelligenz von ihm beeindruckt zeigten. Walter Abish, selbst gebürtiger Österreicher und jüdischer Emigrant, sprach gar von einem "Age of Bernhard". Internationale Größen wie Susan Sontag, Paul Auster, Louis Begley und William Gaddis äußerten ihre Hochschätzung. Jonathan Frantzen ließ eine der Figuren seines Romans "Freiheit"(2010) Bernhard als seinen "neuen Lieblingsautor" bezeichnen.

Zu den Autoren, die sich zur Faszination bekennen, die Bernhards Literatur auf sie ausgeübt hat, gehören auch zwei Nobelpreisträger: Der Ungar Imre Kertész übertrug ihre Inhalte und Formen, etwa in seinem "Kaddisch für ein nicht geborenes Kind"(1990) und im Roman "Liquidation" (2003), produktiv in die eigene Arbeit. Der Türke Orhan Pamuk sprach seiner Bernhard-Lektüre eine geradezu therapeutische Wirkung zu: ihr "weiser" Appell, "vom Leben nicht so viel zu erwarten", habe ihm in Zeiten der "Hoffnungs-und Mutlosigkeit" geholfen, aber auch der "echte Zorn, der den Menschen spüren lässt, dass es zu seinem Besten sei, wenn er sich selbst, seinen Gewohnheiten und seinen Wutanfällen treu bliebe".

Doch Bernhards Präsenz beschränkt sich längst nicht mehr auf den Bereich der Literatur. Der ungarische Autor László Krasznahorkai, aktuell in unseren Buchläden durch den Roman "Baron Wenckheims Rückkehr" vertreten, gab zwei Figuren seines Drehbuchs für den -im Titel offenkundig auf Nietzsche anspielenden -Film "Das Turiner Pferd"(2011) seines Landsmannes Béla Tarr die Namen Ohlsdorfer und Bernhard. Letzterer hat in einem weitgehend dialoglosen Film einen apokalyptischen Monolog vorzutragen, in dem die düstere Weltsicht des realen Thomas Bernhard nochmals auf die Spitze getrieben ist: Alles sei von den Menschen "zerstört und niedergemacht" worden. "Bis zum triumphalen Ende."

Der Autor ist Leiter des Literaturarchivs Salzburg und (mit Ines Schütz) der Rauriser Literaturtage und Autor der Biografie "Thomas Bernhard"(Residenz 2015)

Bernhard-Handbuch Leben -Werk -Wirkung Hg. von Martin Huber und Manfred Mittermayer Metzler 2018 555 Seiten, geb., € 92,51 (ebook €69,99)

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