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Man weiß nie, wo und wann

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Im Rahmen der Salzburger Festspiele 1974 soll im Landestheater ein neues Stück von Thomas Bernhard uraufgeführt werden. Seine Hauptpersonen sind: ein Zirkusdirektor, ein Spaßmacher, ein Dompteur, ein Jongleur und ein Seiltänzer.

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Im Rahmen der Salzburger Festspiele 1974 soll im Landestheater ein neues Stück von Thomas Bernhard uraufgeführt werden. Seine Hauptpersonen sind: ein Zirkusdirektor, ein Spaßmacher, ein Dompteur, ein Jongleur und ein Seiltänzer.

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Thomas Bernhard spricht nicht über sein Werk. Man kann jedoch zu jeder seiner Äußerungen die entsprechende in seinem Werk linden. Er ist als Person nicht von seinem Werk zu trennen. — „Wir reden viel von Krankheit“, sagte der Fürst, „von Tod und Konzentration des Menschen aul Krankheit und Tod, weil wir sie, Krankheit und Tod und Konzentration aul Krankheit und Tod, uns nicht klarmachen können ...“ So Thomas Bernhard in seinem Roman „Verstörung“.

Der Tod ist tatsächlich das zentrale Problem, das Thomas Bernhard ununterbrochen zu beschäftigen scheint. „Sehen Sie den Leichenwagen“, sagte er und weist auf den vor uns liegenden Rathausplatz, wotatsächlich gerade ein Leichenwagen parkt, „sehen Sie diese merkwürdige Verzierung darauf, und ausgerechnet in der Sonne stellt man ihn ab, warum nicht wenigstens im Schatten? ...“

So Bernhard in einem Gespräch mit mir im Gmundner Rathauscafe.

Man kommt nicht leicht mit ihm in ein Gespräch. Allzu viele Kontakte scheinen ihn in seiner selbstgewählten Einsamkeit zu stören. In seinem Vierkanter in Ohlsdorf trifft man ihn meistens nicht an. Schon zu Weihnachten sollte ich ihn treffen, traf ihn jedoch nicht. „Zu Weihnachten bin ich in Brüssel gewesen“, erklärt er mir. Jedoch vom Fenster des Rathauscafes hatte ich ihn auf jemanden warten gesehen, während er in „Brüssel war“.

Thomas Bernhard ist zur Mystifikation seiner selbst geworden. Schon die von ihm gewählte Behausung mag als symptomatisch für ihn gelten. Von Ohlsdorf aus führt eine Güterstraße durch einen Wald zu seinem idyllisch gelegenen Gehöft, das weißgekalkt ist und ein schwarzes Tor und schwarze Fensterläden hat. Nur ein kleineres Gehöft gibt es vis-ä-vis, wo man dann auch immer neugierig schaut, wenn Besuch für den Schriftsteller sich hierher verirrt und wo man lapidare Auskünfte erteilt.

Die Wohnräume des Gehöfts sind nur mit dem Nötigsten ausgestattet und besitzen die Dimensionen, die Konrad, die Hauptfigur aus Thomas Bernhards Roman „Das Kalkwerk“, mit seinen Schritten in den Räumen des Kalkwerks begeht. „Sein Kopf, habe Konrad zu Wieser gesagt, sei gerade für solche Gebäude wie das Kalkwerk, auch sein Körper.“ Allenfalls stehen Blumen auf einem mit grünem Filz bespannten Tisch in einem der Wohnräume.

Es ist auch nicht nur der Oberhof,der Vierkanter in Ohlsdorf, der übrigens in der Chronik seit 1450 aufscheint, in dem sich Bernhard zu verschanzen pflegt und ihm lästigen Besuchern nicht aufmacht, sondern noch ein zweites kleineres Bauernhaus am Grasberg, in einer Senke versteckt und schwer zugänglich gelegen. Gelegentlich pflegt er vormittags von einem Domizil zum anderen zu wechseln.

Thomas Bernhard sagt mir, daß er sich zeitweise als Landwirt tarne, daß er sogar einen Traktor besitze. „Wissen Sie“, meint er, „Schriftsteller sein bedeutet etwas Gefährliches,... man darf nicht zugeben, daß man Schriftsteller ist. Die Leute stellen sich darunter etwas Gefährliches vor.“ Bernhard ist also in seiner unmittelbaren Umgebung scheinbar integriert und bemüht, nicht besonders aufzufallen.

Ein Gmundner Gendarm, der zufällig in Ohlsdorf wohnt, erzählt mir während eines Besuches im „Erz-herzag Johann“, daß sich Bernhard eine Kuh kaufen wollte. .....man

weiß nicht, warum er sich dann doch keine gekauft hat, ... er hat gesagt, weil er soviel weg ist,... er hat aber Tiere sehr gern... Ich habe versucht, ihn zu lesen“, erzählt mir der freundliche Gendarm noch weiter, „aber, sagen Sie ehrlich, verstehen Sie ihn?...“ Und wie ich mit dem Taxi nach Ohlsdorf fahren will, erwidert man mir auf meine Erklärung, daß Bernhard ein bekannter Schriftsteller sei, nach zehn Minuten: „Ja, der Thomas Bernhard, das ist ein Schriftsteller/' — Bernhard selbst erzählt mir ironisch, er sei schon einmal als „Fristensteiler“ adressiert worden.

Er sieht vor mir die Zeitungen nach Todesfällen durch, weist hie und da auf etwas Besonders hin und lacht zynisch: „Die Zeitungen lesen wie Märchen, die mir wohlbekannt sind, das ist mir oft die einzige Möglichkeit, hier existieren zu können“, sagt der Fürst in Bernhards Roman „Verstörung“.

Bernhard erzählt von ihm bekannten Personen, die durch Selbstmord geendet haben. Nicht genug damit, er fängt an, sich an die Inhalte der Leichenwagen zu erinnern, die in Wien von der Anatomie kommen. „Aber die Todesstrafe erscheint mir doch zu lächerlich für das Leben .. oder: „die Tendenz ist eine ganz und gar auf den Tod bezogene...“ (aus „Verstörung“).

Über sich selbst erzählt mir Bernhard, daß er immer das schwarze Schal der Familie gewesen sei, schon mit sechzehn sei er das schwarze Schaf gewesen. In Salzburg hätte er in einem Internat gelebt, das heute nicht mehr existiere. Salzburg sei ihm durch seine Jugend vergraust worden. Seinen Verwandten schenke er keines seiner Bücher, jedem Menschen schenke er eines, wenn es ihm gefalle, seinen Verwandten aber nicht; „ ... keine grauenhaften Verwandten, sondern aufnahmefähige,zu Gedanken fähige Charaktere ...“ (so der Fürst in „Verstörung“).

Wenn Bernhard eine Frage nicht beantworten will, ignoriert er sie. Briefe, berichtet er mir, die auf einen Briefwechsel hinausliefen, beantwortete er nicht. „Ich kann keine Briefe schreiben“, sagt er, „manche Leute können das, ich nicht.“ — Als ich auf den Briefwechsel von Hermann Hesse hinweise, zitiert er: „Seltsam im Nebel zu wandern, Leben heißt Einsamsein ...“

Über menschliche Beziehungen meint er im allgemeinen, daß Spontaneität das einzig Gute sei, alles andere sei schlecht. Auf Institutionen zu sprechen kommend, sagt er: „Eine Institution will etwas verändern, aber sie verändert nichts ... Irgendwelche Institutionen kommen zusammen, um mitsammen zu essen und zu trinken. Sie essen“, sagt er, „was in sie hineingeht“, und ich muß an seinen Helden Boris, in dem Theaterstück „Ein Fest für Boris“, denken, der einen Kuchen nach dem anderen in sich hineinstopft.

„Ich bin oft in Wien im Havelka gewesen ... erst in der Früh bin ich zu Fuß nach Döbling gegangen. Die Vögel haben schon gesungen. Ich wäre in Wien zugrunde gegangen, wäre ich damals nicht weggegangen“, sagt er. Damals: das ist vor acht Jahren.

Nachdem Bernhard schon arriviert ist und Suhrkamp den Roman „Frost“ herausgebracht hat, erhält er 1967 den österreichischen Staatspreis. 1967 erscheint auch der Roman „Verstörung“. Bereits in „Frost“ ist der Grundriß einer geschlossenen Welt entworfen, der in den folgenden Werken bestehen bleibt. 1970 erscheint der ganz streng konzipierte Roman „Das Kalkwerk“, der in seiner Akribie kaum zu übertreffen ist.

Sosehr arriviert Bernhard heute erscheinen mag, so steht ihm hier in Österreich viel Unverständnis entgegen. Er ist zuwenig gängiges Klischee, an dem man sein Denken stützen und bestätigen kann. — Bernhard ist mit einem Schlagwort nicht zu apperzipieren.

Uber den Skandal, der voriges Jahr während der Salzburger Festspiele wegen des Verbotes der Aufführung seines Stüokes „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ ausbrach, meint Bernhard: „Sehen Sie, Salzburg hat das Stück ,Ein Fest für Boris' nicht gefallen. Sie haben es mir einfach wieder zurückgeschickt. Deswegen habe ich den .Ignoranten' geschrieben. Nur für Salzburg. Dann wallte ich es natürlich aufgeführt wissen, wie ich es will...“

Von Reportagen, die man über ihn machen will, ist er nicht begeistert. „Das alles ist nur ein Spaß und ein Theater... so etwas ist absolut lächerlich ... Ich kann nichts dafür, was die Leute über mich schreiben, Sie sind im allgemeinen sehr nett, aber dann gehen sie hin und schreiben was sie wollen.“ „Glauben Sie“,fragte ich ihn, „daß man, unabhängig vom Alter, ein guter Schriftsteller werden kann?“ „Ich glaube nicht, denn es ist eine Frage der Intelligenz, und die hat man von Anfang an oder nicht, aber mit Intelligenz kann man dann abschätzen, ob man ein Schriftsteller werden wird oder nicht.“

Schließlich erzählt er mir plötzlich eine Episode, wonach ein bäuerlicher Taxichauffeur, während der Fahrt, auf der Rückenlehne seines Sitzes einen Hasen habe ausbluten lassen, der Rücksitz sei nachher blutig rot gewesen.. „Man weiß nie, wo und wann man einen solchen Hasen vorfindet“, meint Bernhard.

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