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Kurzprosa über Kurzprosa

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Kurzprosa ist die Literatur der Nervösen, Kurzprosa ist eine nervöse Literatur. Kurzprosa ist die Literatur, die schnell geht. Die Mühe, die sie macht, steht aber im Umkehrverhältnis zu ihrer Kürze. Kurzprosa ist eine Literatur, die sich erst gar nicht auf Literatur einläßt, sie widersteht den literarischen Versuchungen. Wolf Wondratschek, der große Meister der „kleinen Form“, schreibt: „Roman ist nur noch der Spitzname für Literatur.“ Der lange epische Atem der Romanschreiber ist anrüchig geworden, der Kurzprosaist rümpft die Nase. Noch hat die Literaturwissenschaft nicht begriffen und definiert, was Kurzprosa eigentlich ist, die Literaturwissenschaft hält sich noch immer beim Roman auf. Sie verbreitert sich immer noch über den Roman. Die Literaturwissenschaft ist offensichtlich zu langsam für eine schnelle Literatur. Man weiß lediglich: Kurzprosa ist etwas anderes als bloß kurze Prosa. Sie ist weder episch, noch lyrisch (das am ehesten), noch dramatisch. Eine Kurzprosa ist keine Kurzgeschichte, eine Kurzprosa ist überhaupt keine Geschichte. Die Kurzprosa lebt vom dialektischen Sprung, dem Umschlag von Quantität in Qualität. Kurzprosa springt aber nicht nach vorn, am ehesten zur Seite, wenn nicht überhaupt zurück.

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Kurzprosa ist die Literatur der Nervösen, Kurzprosa ist eine nervöse Literatur. Kurzprosa ist die Literatur, die schnell geht. Die Mühe, die sie macht, steht aber im Umkehrverhältnis zu ihrer Kürze. Kurzprosa ist eine Literatur, die sich erst gar nicht auf Literatur einläßt, sie widersteht den literarischen Versuchungen. Wolf Wondratschek, der große Meister der „kleinen Form“, schreibt: „Roman ist nur noch der Spitzname für Literatur.“ Der lange epische Atem der Romanschreiber ist anrüchig geworden, der Kurzprosaist rümpft die Nase. Noch hat die Literaturwissenschaft nicht begriffen und definiert, was Kurzprosa eigentlich ist, die Literaturwissenschaft hält sich noch immer beim Roman auf. Sie verbreitert sich immer noch über den Roman. Die Literaturwissenschaft ist offensichtlich zu langsam für eine schnelle Literatur. Man weiß lediglich: Kurzprosa ist etwas anderes als bloß kurze Prosa. Sie ist weder episch, noch lyrisch (das am ehesten), noch dramatisch. Eine Kurzprosa ist keine Kurzgeschichte, eine Kurzprosa ist überhaupt keine Geschichte. Die Kurzprosa lebt vom dialektischen Sprung, dem Umschlag von Quantität in Qualität. Kurzprosa springt aber nicht nach vorn, am ehesten zur Seite, wenn nicht überhaupt zurück.

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Curtius, der Hofmannsthal nur dieses eine Mal begegnet ist. In seinen Lebenserinnerungen „Deutsche und antike Welt“ schreibt er: „Es war, als sei um den zwar leise gealterten, aber noch immer blühenden, sinnlich kräftigen Mann eine eigentümliche Sphäre der Stille gebreitet, inmitten derer er sich befand und aus der er wie aus einer Ferne mitten unter uns sprach. Wir alle um ihn … kamen mir zu laut, zu turbulent vor … Er selbst war zwar durchaus gesprächig und mitteilsam, aber er sprach mit einer eigentümlich vorsichtigen Bedächtigkeit, die so sehr von Milde erfüllt war, daß er, seine Worte sorgsam wählend, jedem scharfen Ausdruck auswich … Zugleich schien es mir, als kämen wir selber, aber auch die besprochenen Menschen und Dinge als solche, ihm nur mehr halb nahe, als lebte er innerlich nur mehr mit den Symbolen des Lebens, nicht mehr mit diesem selbst, und als nähme er überhaupt am Leben nur mehr teil, um seinen symbolischen Gehalt zu erfahren und zu fördern …“

Danach trifft er ein letztes Mal Borchardt in München. Während dieser ganzen Wochen ist ihm, wie er schreibt, „ärmlich zumute“. Er leidet seit Jahren unter abnorm hohem Blutdruck, die Wetterempfindlichkeit war krankhaft gesteigert, nun kommen eine Grippe und eine fiebrige Bronchitis dazu. In Rodaun findet er Hof und Garten tief verschneit. Am 6. April schreibt er an Burckhardt: „Ich bin der Mann von 55 Jahren, den das Alter und de Tod nur mit der Speerspitze anrühren, noch nicht mit ihrer Verklärung umgeben.“

Eine Italienreise über den Apennin nach Florenz, von dort nach Ravenna, Padua, Monte Ollveto und zum

Trasimenischen See, gemeinsam mit seiner Frau und dem aus Tirol stam menden Maler Sebastian Isepp, bringt Erholung. Nach der Neufassung des 1. Aktes war das letzte Textbuch für Richard Strauss, „Arabella“, vollendet. Das zustimmende Telegramm, das ihm der Komponist darauf sandte, hat Hofmannsthal nicht mehr geöffnet. Am 11. Juli schreibt er an seinen Verleger Fischer wegen der Herausgabe einer Sammlung seiner späteren Prosaarbeiten und schlägt als Titel „Die Berührung der Sphären“ vor. Am Juli unterzeichnet er einen Vertrag mit dem Piper-Verlag über eine Monographie bzw. einen historischen Roman, der Philipp II. und Don Juan d’Austria zum Gegenstand haben sollte.

Ende Juni war der jüngere Sohn Raimund, braungebrannt und mager, von einer Weltreise zurückgekehrt und hatte den Vater durch seine lebhaften Schilderungen erfreut. Am 13. Juli geschah das Unglück, das als unmittelbare Ursache für Hofmannsthals Tod angesehen werden kann: Der ältere Sohn Franz erschoß sich aus bisher ungeklärten Gründen im elterlichen Haus. Am übernächsten Tag, als sich Hofmannsthal ‘ anschickte, zur Beerdigung seines Sohnes zu gehen, erlitt er einen Gehimschlag. Er starb, während sein Sohn auf dem nahegelegenen Kalksburger Friedhof beigesetzt wurde. Dort liegt der Dichter, gemeinsam mit seiner Frau und dem erst 1974 verstorbenen jüngeren Sohn Raimund begraben. Auf dem von Rudolf Alexander Schröder gestalteten Stein stehen die beiden letzten Zeilen eines seiner berühmtesten Jugendgedichte:

„Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens

Schlanke Flamme oder schmale Leier"

Ich habe bei der Arbeit an Elektrizität eine Rolle spiele. Der meinem Buch über den frühneu- Kurzprosaist lädt seine Sätze auf, hochdeutschen Prosarama/n erfah- bei Berührung elektrisieren sie, gėrėm, was Kürze bedeutet. So bringt ben Energie ab. Verbrauchen sich der anonyme Verfasser des Volks- wohl auch, wie alte Witze und Poin- buches „Wilhelm von Österreich“, ten. Ich sehe freilich neben dieser der das gleichnamige Versepos des Art von Sätzen, die gewissermaßen Johann von Würzburg nacherzählt, bei Berührung oder Lektüre über an einer Stelle, wo die Vorlage tau- sich hinauswachsen, auch eine ansende Verse lang in die Beschrei- dere. Die Sätze dieses zweiten bumg einer Schlacht ausufert, im Typs sind dadurch gekennzeich- wesentlichen weiter nichts als eine net, daß sie sich in den eigenen Liste der namhaften Toten, ein Schwanz beißen Diese Sätze fressen Inventar der Leichen. Das leuchtet sįch selbst auf. Ich erinnere an Wolf ein, sub specae aetemitatis, suib Wondratscheks „Gedicht“: „Als specie mortis. Die alten Poetiken Alfred Jarry merkte, daß seine hatten demgegenüber verlangt, daß Mutter eine Jungfrau war, bestieg er jede Beschreibung die in dem ein- sein Fahrrad.“ Die Pataphy&ik spielt prägsamen memnotechnischen Vers hier ihre Rolle, wie der Name Jarry gestellten Fragen beantworten bereits anzieigt, jene Metaphysik mit müßte: „quiis, quid, ubi, quibus Humor, die sich zur Metaphysik ver- auxiiliis, cm-, quommodo, quando“. hält wie die Metaphysik zur Physik. Die Kurzprosa antwortet immer nur G. F. Jonke hat zauberhafte und ge- auf eine Frage. 43 Liebesgeschichten heimnisvolle Sätze dieses Typs ge- kann Wolf Wondratschek auf einer schrieben. Die beiden erwähnten einzigen Seite „erzählen“: „Didi will Satztypen stehen im Verhältnis in- immer. Olga ist bekannt dafür. Ursel tensiv-extensiv oder infentional- hat schon dreimal Pech gehabt, extentional zueinander. Die einen Heidi macht keinen Hehl daraus. Bei wirken nach außen, die anderen Elke weiß man nicht genau. Petra nach innen.

zögert. Barbara schweigt. Andrea Es .ist lächerlich, von einer Kunsthat die Nase voll usw. Die Kurz- richtung oder gleich von der Kunst prosą kommt immer gleich zur insgesamt zu sagen, sie sei am Ende. Sprache. Ein Kritiker bringt in die- immerhin wird man doch leider sem Sinne Thomas Bernhards feststellen müssen, daß die große Roman „Kalkwerk“ auf die Bild- £eit der Kurzprosa wie auch der Zeitungs-Leiste. „Wahnsinniger er- Konkreten Poesie vorerst vorbei zu schießt an Heiligem Abend gelahmte sejn scheint. Die Verleger wollen, die Frau.“ Die Donau ist weiter nichts Kurzprosa nicht mehr. Weil die als ihre Einmündung ins Schwarze Le r „icht wollen. Die Leser Meer… Kurzprosa filtert, sieht ab, wollen Romane, sagen die Verleger, bringt auf den kleinsten Nenner. Und die Verleger können nicht wol- Kurzprosa ist resultativ, nennt der len was die nicht wolten.

langen Rede kurzen Sinn. Was sonst verhält sich mit Kurzprosa ähnlich vor lauter Länge zu kurz kommt, wie mit Gedichten. Was haben sich kommt hier zu seinem kurzen Recht, die armen Verleger mit Kurzprosa Eine Kurzprosa ist darum stets aibquälen müssen, um im besten, das pointiert. Sie ist von der Uberzeu- heißt, etwa im Falle Wondratscheks, gung getragen: Was lange währt, IO.OOO Exemplare, vielleicht ein paar wird endlich langweilig. Die Infor- Gequetschte mehr, an den Mann zu matdonswissenschaft beschäftigt sich bringen. Die Bücher mit Kurzprosa (seit längerem) mit der technischen schon äußerlich zu unansehn- Möglichkeit, lange Texte möglichst lich zu dünn, u,nd dabei haben maschinell auf das Wesentliche zu eįniįge Verleger eh schon auf Packreduzieren und die Essenz als söge- papįer gedruckt. Es wird wieder ernannte „abstracts“ verfügbar zu zghlt, heißt es. Die Leute wollen Gemachen. Kurzprosa ist ein altertüm- schichten liches händisches Verfahren zur Her- ‘ Kurzprosabände eignen sich auf Stellung von „abstracts“. Grund ihrer mangelnden Umfäng-

„Es gibt Sätze, die man nicht mit lichkeit schlecht als Geschenke. Wer einem Satz sagen kann“ (Wondrat- Kurzprosa schenkt, hält den Be- schek). Auch das ist dem Kurz- schenkten kurz. Der „Archipel Prosaisten bewußt. Und er weiß Gulag“ unter dem Christbaum und spekuliert darauf, daß auch ein macht natürlich ein anderes Bild als kurzer Satz, ja ein einzelnes, „ver- meinetwegen G. Eichs „Maulwürfe“ einzeltes“, Wort mehr ist als die oder G. B. Fuchs’ „Zwischen Kopf Summe seiner Buchstaben, der Satz, und Kragen“ oder G. Vespers „Kliedas Wort, hat einen semantischen gerdenkmal ganz hinten“.

Hof, lebt von Bezügen, die es selbst Mir ist freilich jetzt ein Buch evoziert, hat Verwandtschaftsbezie- untergekommen, ein langes, ein hungen, die es belangen, ist evokativ Roman, an dem die kurze Episode und provokant. , der Kurzprosa nicht spurlos vor-

Kurzprosa will darum die übergegangen ist, dessen Verfasser Phantasie des Lesers stimulieren, von der Kurzprosa etwas gelernt nicht determinieren. Das ist sozial haben könnte: Franz Innerhofers anständig. Hier kann endlich ein „Schöne /Tage“. Innerhofer schöpft jeder mitreden. Das vergleicht sie aus dem vollen, aber er erschöpft mit der Konkreten Poesie, mit der sich nicht, in jedem Fall ist die sie an sieh vieles gemeinsam hat. Form dem Inhalt gemäß. Bei Inner- Belspdelsweise erfüllt die Kurzprosa hofer schlackert nicht die Erfahrung auch die von H. Heissenbüttel an in den Formulierungen wie ein klei- Konkrete Poesie gestellte Forde- ner Bub im Anzug eines Erwachrung: „Reduktion muß Witz erzeu- senen. Von der Substanz seiner gen-“ „Schönen Tage“ zehren andere

Gerhard Amanshauser notiert ein- Schriftsteller ein ganzes Leben. Und mal ironisch (selbstironisch in die- machen aus der Not an Stoff eine sem Fall) über das Satzverständnis formale Tugend. Es kommt etwas der Kurzprosaisten, daß dabei die hinzu, was berechtigt, bei Innerhofer an Kurzprosa zu erinnern. Das Buch hat eine hohe Satzkultur, gerade auch was die unteren Satzlängen betrifft. Die Sätze sind kompakt, in ihnen staut sich Leidenschaft, Aggression, Emotion. Die Sätze gehen los, explodieren, säe kommen auis einer genialen Rücksichtslosigkeit. R. Baumgart hat zu Karin Strucks „Klassenliebe“ bemerkt, hier schreibe jemand um sein Leben, wie man um sein Leben rennt. Das trifft sicherlich auch für F. Innerhofer zu, Die kurzprosaische Tugend der Prägnanz, die man in den Passagen feststellt, in denen Stakkato geredet wird, dient dabei weniger der Komik (obwohl auch an Humor kein Mangel besteht und sicherlich gerade in dieser Hinsicht von Innerhofer einiges zu erwarten ist), sie ist vielmehr dramatisch, tragisch. Innerhofer widerlegt Wondratschek: Roman ist möglich.

Die Welt ist überhaupt nur dadurch weitergekommen, daß irgend jemand die Courage gehabt hat, an Dinge zu rühren, von denen die Leute, in deren Interesse das lag, durch Jahrhunderte behauptet haben, daß man nicht an sie rühren darf. Arthur Schnitzler

Ich erachte die Gabe der Bewunderung für die allemötigste, um selbst etwas zu werden und wüßte nicht, wo ich wäre ohne sie.

Thomas Mann

Mit einem guten Rat läßt sich nichts anderes tun, als ihn weiterzugeben. Selber kann man ihn nicht brauchen. Oscar Wilde

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