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Wer spricht heute noch von Czemowitz?

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Die vor über hundert Jahren in Czemowitz gegründete Franz-Jo- sephs-Universität ist keineswegs, wie Theodor Mommsen aus Böswilligkeit oder purer Unkenntnis behauptete, eine „k. u. k. akademische Strafkolonie“ gewesen, ln den 44 Jahren ihres Bestehens als deutschsprachige Universität und in ihrer über zwanzigjährigen rumänischen Zeit war sie eine wahrhaft europäische Universität. Hier studierten nicht nur Deutsche christlichen und jüdischen Glaubens, sondern auch Rumänen, Ukrainer, Polen, Bulgaren. Czemowitz lag nicht an einer schillernden und atmosphärisch faszinierenden Randzone, sondern in der Mitte unseres Kontinents.

Nachdem sich die Sowjetunion 1940 die Nordbukowina und Bessa- rabien einverleibte, hat die Universität Czemowitz ihre grtße’--Ausstrahlungskraft verloren, uAn. der- heutigen Staatsuniversität der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik gibt es zwar vierzig Lehrstühle und zehn Fakultäten, doch verfugt sie nicht mehr über die internationalen Verbindungen wie früher, es wurden nicht einmal Partnerschaftsverträge mit Universitäten der Ostblockstaaten bekannt.

Österreich hatte in der Universitätsgründung auch eine politische Aufgabe im Interesse des Staates und eine besondere Mission als Stätte deutscher Kultur gesehen. Deutsch, als Vorlesungssprache vom ersten Rektor der Universität, dem Rumänen Constantin Tomaszczuk, als Instrument der Verständigung über Nationalitätengrenzen hinweg eingeführt, wurde in Czemowitz von der polyglotten Bevölkerung dieser Stadt auch noch in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen gesprochen. Allein drei deutsche Tageszeitungen erschienen dort. Zwei besaßen einen Kulturteil, der immer wieder großes Aufsehen in Mitteleuropa erregte.

Zu den Söhnen der Stadt Czerno- witz gehören viele deutschsprachige Schriftsteller, von denen nicht wenige die dortige Universität besucht haben. Einer von ihnen, Gregor von Rezzori, hat in seinem Roman „Ein Hermelin in Tschemopol“ seiner Vaterstadt ein bleibendes Denkmal gesetzt.

ln die deutschsprachige Literaturgeschichte eiųgegangen ist aber auch der Czemowitzer Karl Ėmil Franzos, Romanautor und Herausgeber der ersten Gesamtausgabe der Werke von Georg Büchner. Paul Celan gehörte ebenso zum Czerno- witzer Dichterkreis und den Studenten der Universität wie sein Mentor Alfred Margul-Sperber. Sperber war zeitweilig in der Feuilletonredaktion des Czemowitzer Morgenblattes tätig. Da nach einem geflügelten Wort Paul Celans für die Czemowitzer „das Erreichbare, das zu Erreichende Wien war“, wurde Sperbers Arbeit auch dort vom gestrengen Karl Kraus mit großem In teresse verfolgt. So schrieb (fieser 1934 in seiner „Die Fackel“ über Sperber, daß dieser in Czemowitz „gewissenhafter die Interessen der deutschen Kultur betreut, als es im Raum zwischen Berlin und Wien geschieht“.

Zum Czemowitzer pichterkreis und zu den Absolventen der Universität gehört auch Rose Scherzer-Aus- länder, die 1967 den Annette-von- Droste-Hülshoff-Preis und noch zwei weitere deutsche Preise für ihre Dichtkunst erhielt und auch in den USA einen Namen hat. Dank ihrer guten deutschen und polnischen Sprachkenntnisse erschloß sie den Amerikanern das Werk des größten polnischen Dichters, Adam Mickie- wicz, und der deutschen Lyrikerin Else Lasker-Schüler. Sperbers Czer- nowitzer Freund Alfred Kittner, heute der bedeutendste deutsch’ sprachige Lyriker in Bukarest, bereitet gegenwärtig eine „Große Anthologie deutscher Dichtung in Rumänien“ vor.

Die Czemowitzer Universität hat jedoch nicht nur deutschsprachige Schriftsteller hervorgebracht. Sie war die erste deutschsprachige Universität überhaupt, die Lehrfächer für osteuropäische und südosteuropäische Geschichte errichtete. Wilhelm Kosch, Professor für neuere deutsche Literaturwissenschaft, wirkte von dort aus federführend an der Stifter- oder Eichendorff-Ausgabe, betreute das Eichendorff-Jahr buch und legte den Grundstein für sein deutsches Literaturlexikon, das heute unter dem Namen „Literatur-Kosch“ allen Germanisten ein Begriff ist.

Herbert Mayer wirkte dort am Physikalischen Institut der Universität. Er gehört neben zwei Rumänen und einem Polen zu den vier international bekannten Physikern, die die Czemowitzer Universität hervorgebracht hat. Prof. Mayer hat sich vor allem auf dem Gebiet der Oberflächenphysik einen Namen gemacht und wirkte bis Ende der sechziger Jahre an der Technischen Universität in Clausthal-Zellerfeld, die durch ihn zur international anerkannten Forschungsstätte wurde.

Wenn 1965 in einer sowjetischen Schrift zum 90. Jahrestag der Gründung der Universität Czemowitz die Behauptung aufgestellt wurde, diese Hochschule sei als „Pflanzstätte reaktionärer Ideen und des Aberglaubens“ gegründet worden, erst unter dem Sowjetsystem sei sie nun ein „lichter Palast der Erkenntnisse“, so ist diese These unhaltbar. Erst vor zwei Jahren hat der bekannte polnische Physiker, Wojciech Rubinowicz, Sohn eines Czemowitzer Apothekers, anläßlich seines 85. Geburtstags erklärt, es sei ein „glücklicher Umstand“ für seine wissenschaftliche Entwicklung gewesen, daß er an der Czemowitzer Universität in ihrer österreichischen Zeit studieren konnte, die eine „ausgezeichnete Besetzung“ gehabt habe.

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