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Epitaph für meinen Vater

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Mein Großvater schrieb über seinen zehnjährigen Sohn Ernst: „Er ist ein ernster, abgeschlossener Charakter, im Benehmen fast abstoßend, und dabei hat er ein Herz in Liebe wie seine Geschwister.“

Der Großvater bevorzugte sichtlich die beiden älteren wie die beiden jüngeren Kinder. Ernst, in der Mitte - geboren am 28. Oktober 1887 -, schloß sich zunächst intensiv an die Mutter an. Als sie früh starb, bedeutete dies einen Schock, der sein Leben geprägt hat. Kurz vor seinem Tod, 1971, erzählte er: „Mein Vater hat sich erst für mich interessiert, als ich in der Schule immer der Beste war.“

Immer der Beste - dieses Streben begleitete ihn von der Volksschule in Gottschee über das Gymnasium in Wien und Klagenfurt bis in die Höhen der wissenschaftlichen Karriere, die ihn zum führenden deutschen Romanisten der Zwischenkriegszeit machte. Sein Spektrum reichte vom Katalanischen und Provencalischen bis zum Rätoromanischen und

Rumänischen, sein Spezialgebiet war die Sprachgeographie, die Ortsnamenkunde.

Für den Sohn eines k. k. Eisenbahningenieurs, der von einer Baustelle zur anderen wechselte, wurde Tirol zur Heimat, als den erst neunundzwanzigj ährigen kriegsverletzten Privatdozenten 1916 der Ruf an die Universität Innsbruck erreichte. Hier fand die junge Familie ihren ersten Standort, hier wurden die Söhne geboren.

1925 wurde Ernst Gamillscheg nach Berlin berufen. Hier entstanden seine Standardwerke, die dreibändige „Romania Germanica“, die „Französische Bedeutungslehre“, das „Etymologische Wörterbuch der Französischen Sprache“.

Den neuen Machthabern nach 1933 stand er skeptisch gegenüber. Man wußte dies — und so wurde er nie Dekan, nie Rektor. Als die Nachricht von der Bombardie-(rung von Guernica in der Zeitung stand, sagte er zu mir: „Das bedeutet Krieg!“ Das war 1936.

Seine wissenschaftlichen Beziehungen zum Ausland bedingten Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt. Er war gut informiert über das, was im Inland ablief - und was im Ausland Aufmerksamkeit erregte. Als er mich im Juli 1939 in meinem Arbeitsdienst-Standort besuchte, kündigte er mir den Hitler-Stalin-Pakt an, der zu dieser Zeit noch streng geheim war.

Dann aber schwieg er. Um sie nicht zu gefährden, verlor er den Söhnen an der Front gegenüber kein Wort von dem, was ihm nun im Krieg, in Bukarest, zu Ohren kommen mußte.

Er war der einzige deutsche Romanist, der sich damals mit dem Rumänischen befaßte. Er konnte — und wollte — sich dem Auftrag nicht entziehen, in Bukarest das Deutsche Wissenschaftliche Institut aufzubauen und zu leiten, das den rumänischen Verbündeten entgegenkommen sollte.

Es wäre ihm vor und wohl auch noch im Krieg ein leichtes gewesen, einen Ruf ins Ausland zu erhalten. Er hielt es für seine Pflicht auszuhalten, im Interesse seiner Familie, seiner Wissenschaft, seiner Universität.

Gerade in Bukarest galt für ihn das Grillparzer-Wort „Und mache gut, was andere verdarben“, wenn seine rumänischen Freunde zu ihm kamen, um sich über Partei- und Wehrmachtsfunktionäre zu beklagen. Sie dankten es ihm mit dem Ehrendoktorat der Universität Bukarest.

Die Franzosen wußten ihrerseits die Verdienste des deutschen Altmeisters französischer Linguistik unbeschadet seiner Tätigkeit im Krieg zu schätzen. Sie unterstützten die Bemühungen der Universität Tübingen, den berühmten Gelehrten zu gewinnen. Am Neckar fand Ernst Gamillscheg eine neue, letzte Heimat.

Die Franzosen verliehen ihm das Ritterkreuz der Ehrenlegion. Es war der einzige Orden, dessen Band mein Vater je getragen hat.

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