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Der Vielfalt der Kulturen im größeren Europa

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Zum 15. Mal wurden durch die Wiener Universität die Herder-Preise der Hamburger Stiftung F. V. S. vergeben. Es werden jedesmal in feierlichem Rahmen sieben Persönlichkeiten aus Ost- und Südosteuropa ausgezeichnet, also gibt es bereits über hundert Preisträger. Dazu kommen ebenso viele junge Künstler und Wissenschafter, die ein Jahr in Wien studieren konnten, denn jeder Preisträger darfeinen Stipendiaten mitbringen. Er muß sich allerdings verpflichten, sein Können später wieder seiner Heimat zur Verfügung zu stellen. Aber treffen können einander die Preisträger und Stipendiaten alljährlich im Mai in Wien. Es ist schon so etwas wie eine Familienfeier daraus geworden. Diesmal waren 36 ehemalige Stipendiaten in Wien. Sie richteten eine Dankadresse an den Stifter Alfred Toepfer, in der davon die Rede war, daß sie Herders Traum mit Hilfe des Stipendiums hätten träumen dürfen. Es ist der Traum von der Vielfalt der Kulturen in einem einzigen großen Europa.

In seiner Laudatio auf die diesjährigen Preisträger begründete Prof. Werner Welzig die gleichzeitige Auszeichnung von Künstlern und Wissenschaf-

tern mit dem Herder-Wort, die Konfrontierung der schönen Künste mit den strengen Wissenschaften sei lediglich eine formale Betrachtungsweise. Im Innersten seien Künste und Wissenschaften dadurch verbunden, daß

sie der größtmöglichen geistigen Anstrengung bedürfen. Wer solche Anstrengungen auf sich nimmt, der wird in jeder Wissenschaft Schönheit entdecken: Wer sie meidet, der wird erfahren, daß ihm auch das scheinbar Leichte, die Kunst, zu leerer Spaßmacherei zerfällt.

Die lebenslange Anstrengung, oft unter schwersten äußeren Bedingungen, gehört wohl stets zu den Verdiensten, die der Herder-Preis anerkennen will. Es bedarf sicher einer unbeirrbaren Liebe zur Wissenschaft und eines starken Erkenntnisdranges, sich - wie der serbische Archäologe Djurdje BoS-kovic - durch Jahrzehnte den Spuren jener Völker zu widmen, die von der

Vorgeschichte bis zum Mittelalter das Gebiet des heutigen Jugoslawien bevölkert haben. Er war maßgebend an den Grabungs- und Sicherungs-Arbeiten beteiligt, die im Bereich des neuen Stausees am Eisernen Tor durchge-

führt werden mußten. Mit lebenslanger Beharrlichkeit hat sich auch der Bulgare Stojan Djudjeff dem Altertum gewidmet und als Musik-Ethnologe Versmaße und Rhythmen der griechischen Antike in der lebenden bulgarischen Volksmusik nachgewiesen. Für den Ungarn Beta Gunda wurde die Volkskunde eine nahezu weltumspannende Wissenschaft. Er hat in Amerika, in Frankreich und Skandinavien geforscht und Vergleiche gezogen, in der Hauptsache allerdings die Vielvölkerkultur seiner Heimat Siebenbürgen analysiert. Der tschechische Architekt Jifi Hruza ist an führender Stelle in der Prager Stadtplanung tätig. Er hat sich durch städte-

bauliche und stadtplanerische Untersuchungen von Städten der CSSR einen Namen gemacht, aber auch mit theoretischen Arbeiten über Stadtentwicklung und über Fragen des Umweltschutzes.

Die bildende Kunst vertritt diesmal der griechische Maler Jannis Spyro-poulos, der von Cezänne und den Ku-bisten ausging und aus dem unerschöpflichen Reichtum seiner Heimat und des Mittelmeerraumes Anregungen empfing und der auch, wenn er Phasen der Abstraktion und des Ta-chismus durchlief, im Kontakt mit dieser Wirklichkeit blieb. Am bekanntesten unter den Preisträgern ist der Pole Kazimierz Dejmek, der mit seinen Inszenierungen altpolnischer Mysterien-und Passionsspiele seit der Mitte der sechziger Jahre auch in Westeuropa Aufsehen erregte. Zuletzt hat er voriges Jahr in Essen „Operette“ von Gombrowicz inszeniert. Seit 1975 leitet er das Ne^e Theater in Lodz.

Der rumänische Schriftsteller Eugen Barbu ist umstritten und angefeindet, seit er 1957 mit seinem bekanntesten Roman „Die Grube“ hervortrat, der inzwischen in viele Sprachen übersetzt ist und in Rumänien Rekordauflagen

erlebte. Damals schockierten das krasse Milieu (die Müllgruben am Rande von Bukarest) und eine mit Rotwelsch vermischte Sprache. Das Buch wurde aber längst anerkannt. Zuerst in Paris, was in Rumänien immer noch viel gilt Barbu hat sich durch seine Bücher wie auch durch Kritiken in seiner Literaturzeitschrift „Die Woche“ viele Feinde gemacht. Auch als Mitglied des Zentralkomitees der rumänischen KP ist er dem Widerstreit von Bewunderung und Anfeindung nicht entrückt.

Die Wahl Barbus für den Herder-Preis war sicher eine diskutable Entscheidung des Kuratoriums, vielleicht eine mutige, denn es geht ja nicht um die Bekränzung von Denkmälern, die jedem Streit entrückt sind. Bedauerlich ist jedoch, daß es in 15 Jahre nicht möglich war, einen preiswürdigen serbischen Schriftsteller zu finden. Auch einen tschechischen Komponisten oder einen tschechischen Schriftsteller sucht man vergeblich unter den 105 Ausgezeichneten. Sicher sind die Begabungen ungleich auf Völker und Generationen verteilt. Dennoch sollten solche Lücken zu denken geben.

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