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LITERATURKRISE IN RUMÄNIEN

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Rumäniens intellektuelles Leben leidet seit längerer Zeit unter einer tiefen Unruhe und einer wachsenden Ungeduld, die dadurch hervorgerufen wurden, daß liberale Junglite- raten die alten Kämpfer des „sozialistischen Realismus“ andauernd attackieren, die das Feld dennoch nicht räumen wollen. Literarische und paraliterarische Polemiken vergiften die Atmosphäre. Nachdem von oben her eine allzu ambitiöse Führung und Kontrolle die Aktivität der Schriftsteller eher hemmen als fördern, ist die Situation der Literatur verworren. Die jungen Titanen, die viele avantgardistische und antirealistische Werke schrieben, konnten die alten Hasen noch nicht verdrängen.

Ende Mai dieses Jahres fand eine Tagung des Zentralkomitees der Partei mit eingeladenen führenden Literaten statt, um eine gemeinsame Plattform für die längst fällige, bevorstehende Nationale Schriftstellerkonferenz zu schaffen. „Forschung“ und „Klarstellung“ waren die meist gebrauchten Ausdrücke. Die Konfusion ist aber eher größer geworden. Worauf die „Basis-Parteiorganisation der Bukarester Schriftsteller“ eine Menge von Artikeln und Erklärungen lancierte, im Hinblick auf die Probleme des literarischen Schaffens und der Kritik. Die Zeitschrift „Luceafarul“ verteidigte die „harte Linie“ in einem Leitartikel von Eugen Barbu, und 40 Schriftsteller nahmen an der Diskussion teil, von Alexandru Andritoiu bis Haralamb Zinca.

Dank der jungen Schriftsteller, die ihrer Unzufriedenheit mit dem ideologischen Establishment so oft Ausdruck verliehen hatten, ist das Spektrum des geistigen Lebens viel bunter und interessanter geworden, wobei Provinzorgane an Bedeutung ohne Präzedenz gewonnen. Der Essay: „Die Ära der Jugend“ von Grigore Traian Pop erschien im Magazin „Ramuri“ in Craiova. Der Verfasser — ein junger Philosoph — wagte es auszusprechen, daß die heutige rumänische Jugend den Marxismus ablehnt. Pop sprach von einem Generationskonflikt und kritisierte die alten, „dogmatischen Elemente“, die von der Bühne nicht verschwinden wollen. Ja, Pop ging sogar so weit, daß er nach der Zulassung eines Publikationsorgans der „wissenschaftlichen Opposition“ rief, in welchem die junge Generation einen Kampf gegen das Establishment entfalten könnte.

Schon früher erschien in der Revue „Tribuna“ in Klausenburg ein Artikel des Akademikers Eugen Pora, in dem nebst aktuellen Problemen der wissenschaftlichen Aktivität die Notwendigkeit der freien Reise junger Forscher nach westlichen Ländern hervorgehoben wurde.

Der westliche Einfluß wirkt derzeit so breit und tief — von den Wissenschaften bis zur abstrakten und absurden Kunst herunter — wie dies noch vor kurzem unvorstellbar war.

Zahlreiche Veröffentlichungen gaben die latente „Krise in der Literatur“ offen zu. Die wichtigste Ursache soll der „sozialistische Realismus“ sein. 15 Jahre lang zwang der ganze offiziöse Literaturapparat — die zwei wichtigsten Zeitschriften: „Contemporanul“ und „Gazeta Literara’’, die professionelle Kritik, die Leitung der Schriftstellerunion — die Autoren, ihre Ttfernen atiä de’m Arbeiter- und Bauernmilieu zu wählen und im amtlich-positiven Stil zu schreiben. Der positive Heros mußte immer die „charakterlosen Gegner“ (Ausbeuter, Spione im Dienst des Imperialismus und des Kapitalismus, Kulaken, usw.) besiegen. Man wollte aus Schriftstellern „Agitatoren“ und „Propagandisten“ machen. Ihre aufgezwungenen „literarischen“ Hauptthemen lauteten: Wahlen, Kollektivierung, Kampf gegen Titoismus und amerikanischen Imperialismus, Sparsamkeit, Planerfüllung, Produktionssteigerung, Arbeitseifer, usw….

Die Krise hat viele Gesichter! Wie Paul Anghel in der „Gazeta Literara“ sagte: „Die Literaturproduktion des sozialistischen Realismus war, mit wenigen Ausnahmen, unter dem annehmbaren Niveau.“

Seit zwei Jahren ist eine apolitische, asoziale und absurde Einstellung in der Literatur erlaubt. Junge Schriftsteller, wie Ana Barbu, Gheorge Balaita, Virgil Duda, Julian Neacsu, Stefan Pascu, Horia Patrascu, Sinzeana Pop, Vasile Rebreanu, Vasil Spoiala, Sorin Titel, Dumitru Tepeanag, Tudor Ursu und Nicolae Breban, schockierten die ideologischen Aufpasser mit ihren nonkonformistischen Werken, indem sie auch die noch vorenthaltenen Rechte für die Intellektuellen reklamierten. Die parteiamtliche Tageszeitung „Scanteia“ fühlte sich dadurch kürzlich veranlaßt, eine „Round-table-Diskussion“ unter dem Motto: „Die Entwicklung der jungen zeitgenössischen Schriftsteller“ einzuberufen. Ohne Namen zu erwähnen, wurde resigniert beigefügt, daß „die junge Generation ihre Führer schon gewählt“ hatte, die mit ihren Vorgängern nicht identisch seien. Die jungen Schriftsteller und Kritiker gebärden sich immer „rebellischer“. D. Tepeanag urgiert zum Beispiel die Abschaffung der Zensur und verlangt eine „wirkliche Liberalisierung des kulturellen Lebens“.

Von einer Gruppe junger Rebellen, wozu Ion Alexandru, Sorin Alexandrescu, Nicolae Breban, Vintila Ivanceanu, Alexandru Ivasceuc, Julian Neacsu, Virgil Malilescu, Mihai Ungeanu und D. Tepeanag angehören, wurde unlängst ein Protestbrief gegen evidente „stalinistische Praktiken“ verfaßt und an zahlreiche französische Tageszeitungen zwecks Veröffentlichung gesandt und darauf hingewiesen, daß der totgesagte „sozialistische Realismus“ umgetauft wurde und jetzt unter dem Decknamen „sozialistischer Humanismus“ propagiert wird. Dabei soll der historische Chauvinismus einen Hilfsdienst leisten. Wie schrieb darüber Gh. Achitei in der „Luceafarul“? „Wir sind nicht wie andere Völker, wir sind wir…!“ Dan Zamfirescu sagte in derselben Zeitschrift: „Rumänien und sein Volk sind heutzutage am Gipfel der zeitgenössischen Historie.“

Die Zeitschrift „Luceafarul“ spielte in den vergangenen drei bis vier Jahren eine paradox-zwielichtige Rolle, da sie ihre Spalten solchen jungen Nonkonformisten eröffnet hatte, wie die Poeten Ion Alexandru Marin Sorescu, Leonid Dimov, Gabriela Melinescou und den Romanciers Ana Barbu, Sin- r-ana Pop, Alexandru Tirzin, Maria Belciu. Wahrscheinl’ch war dies auf Chefredakteur Eugen Barbu zu. ückzuführen, der kürzlich abgesetzt wurde. Der sehr fähige Barbu begann einst mit dem Roman „Die Grube“ als Protektor des Nonkonformismus und wollte „ein neues Kapitel in der rumänischen Literatur“ schreiben. Seitdem ist Barbu ein Anwalt der parteitreuen, konformistischen Literaturkapitäne geworden. Er nahm sich sogar das Recht heraus, als „Führer der gesamten Literatur“ aufzutreten und als Chefkontrolleur des Kulturlebens zu agieren. Barbu wurde indessen der Massenproduzent par excellence der linientreuen Literatur. Er verfaßte Drehbücher: „Die Geächteten“ und „Die Entführung der Jungfrau“; Theaterstücke: „Der Heilige“; Essays: „Goethes Masken“; nebenbei sauste er in der Welt herum als der „Globetrotter des Regimes“. Barbu bereiste viele Länder und überraschte die Öffentlichkeit mit flatternden, oft befremdenden Impressionen aus den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik. Als Sportkommentator und hoher Funktionär der Schriftstellenunion und Spiritus rector hinter dem neuen „emanzipierten“ Nicolae-Labis-Literaturkreis war er nicht minder agil.

Seit Anfang 1968 tobt schon eine heftige Debatte in dem rumänischen Kulturleben zwischen den Zeitschriften „Gazeta Literara“ und der „Luceafarul“, respektive zwischen deren Spitzenantagonisten Marin Preda und Eugen Barbu. In dieser Polemik kulminierte die Literaturkrise Rumäniens. Es wurde nämlich klar, daß die Literaten die neue Formel des „sozialistischen Humanismus“ nicht blind akzeptiert hatten. Die Jungen waren von der Idee und der Forderung der kompletten Reorganisierung der künstlerischen und kulturellen Aktivitäten nicht abzubringen. Die Polemik war auf zwei Publikationen: Predas Roman „Morometii“ und „Historie der rumänischen Literatur“ von Negoitescu polarisiert. Der Roman „Morometii“ erschien in der Zeitschrift „Viata Romanesca" und bedeutet einen eklatanten Bruch Predas mit dem „sozialistischen Realismus“, in dem das harte Leben der Bauernschaft unter der kommunistischen Herrschaft ohne Schminke dargestellt wurde. Seit vielen Jahren hat jemand zum ersten Male das Dorfleben wahrheitsgetreu geschildert. Nur „Luceafarul“ inszenierte einen Protest gegen den besagten Roman und besonders gegen dessen Verfasser. Die obskure Journalistin Monica Lazar erhielt die Aufgabe, einen offenen Redaktionsbrief zu signieren. Im übrigen hat Barbu nicht nur einmal Preda unter Feuer genommen, womit aber der feindlich gesinnte Literaturpapst malgrd lui, Eugen Barbu, nicht gerechnet hatte, war der Gegenprotest zahlreicher Zeitschriften und der kategorische Gegenangriff vieler Literaten und Kritiker in der rivalisierenden „Gazeta Literara“ auf Barbu und seinen „Luceafarul“.

Die „Historie der rumänischen Literatur“ erschien in Großwardein in dem Magazin „Familia“ anfangs Februar 1968. Daß ein Sturm losbrechen mußte, war evident, da der Verfasser, Ion Negoitescu, als einer der Initiatoren der literarischen Opposition und als deren geistiger Leiter im Lande bekannt war. Negoitescu wollte eine Waffe gegen den „sozialistischen Realismus“ den Literaten in die Hand drücken. Besonders das 59. Kapitel des Buches „Die neue Prosa“ war wichtig, bestehend aus den folgenden drei Unterabteilungen, a) Der neue Realismus; b) Die neue Psychologie; c) Antirealismus: Nicolae Breban, Matei Calinescu, Dumitru Tepeanag, Julian Neacsu, Sinzeana Pop, Florin Gabrea, Alexandru Tir- zi.u, Die Dogmatiker konnten es. überhaupt nicht abwarten, über das Buch mehr zu erfahren. Die „Cronioa“, „Luceafarul“ und „Scanteia“ schossen aus alten Rohren, um den Verfasser und sein Wenk mit dem Giftgas der Denunziation zu vernichten. Eine Exkommunikation unisono gelang aber auch diesmal nicht, weil die „Familia“ Negoitescu in Schutz nahm. Es war nicht mehr zu leugnen, daß Enttäuschung und Unzufriedenheit der Schriftsteller zur konstanten Literaturkrise geführt hatten.

Zur Beschwichtigung der jungen Literaten wurde plötzlich Chefredakteur Barbu von „Luceafarul“ abgesetzt. Er hat es nicht rechtzeitig erkannt, daß er etwas verteidigen wollte, was heute In Rumänien nicht mehr zu verteidigen ist. Ob Barbu endgültig fallengelassen wurde, ist derzeit noch eine offene Frage. Angeblich wurde er bereits aus dem Büro der Schriftsteil "runion entfernt. Voraussichtlich wird die Erregung der Literaten ihren Höhepunkt an ihrem kommenden Kongreß erreichen. Man kann hier leider nicht alle Vorgefechte erwähnen und deuten.

Barbus Absetzung bedeutete zweifellos einen wahren Sieg für die neue Literaturgeneiration. Sein Nachfolger, Stefan Banulescu, ist einer der talentiertesten jungen Antidogmatiker. Die Zeit des ideologischen Literaturdiktats ist jedenfalls vorüber. Die jungen Schriftsteller haben die Möglichkeit, „offen und mehr zu sagen“, obwohl hinter dem Tüllvorhang der Konzessionen sich konservative Kräfte rühren, die die Parteikontrolle irgendwie in die Zukunft hinüberretten möchten. Man weiß es nicht, ob das letzte Wort schon gesprochen wurde.

Man erinnert sich wohl, daß Barbu zu Ceausescus Gefolgschaft gehört Mit Barbu mußte auch eine Reihe älterer und konservativer Redakteure die Zimmer bei „Luceafarul“ räumen. Die erste Geige wird jetzt von Jungen gespielt. Zu Barbus Auswaggonierung hat von den Alten der Präsident der Schriftstellerunion, Zaharia Stancu, viel beigetragen, der unter Barbus Diktatur oft gelieptte.

w Wer ist der junge. Komet frdajttehg. Banulef im Jähre 1966 ist er mit seinem Roman „Männerwinter“ bekannt geworden. Er war schon immer fürs Experiment und gegen den verkalkten „sozialistischen Realismus“. Er propagiert den „Pluralismus in der künstlerischen Form“ und die „Verschiedenheit des Stils“.

Es weht ein frischer Wind bei „Luceafarul“. Mihai Un- gheanu — auch ein exportierter Barbu-Feind — schrieb über Predas neuen Roman: „Der Störenfried.“ Viele früher verfemten Jungen kamen zum Wort, angeführt vom „unkonformistischen Rebellen“ Dimitru Tepeanag. Arbeiten von Alexandru Ivasiuc, Julian Neacsu, dem Poeten Adian Paunescu, Marin Sorescu und dem Kritiker Nicolae Mano- lescu wurden bereits gedruckt… Die Kolumne „Briefe der Leser“ war unter Barbu ein Schlachthof für Anfänger. Sie soll jetzt ein Forum für neue unbekannte Talente werden, wo Ion Alexandru Verse, Banulescu Prosastücke und Mamolescu literarische Revues besprechen wollen.

Die beste Propaganda ist noch immer der Sieg und der Erfolg. Der wenig diskreditierte Poet und Schriftsteller der „Oldtimer“, Miron Radu Paraschivescu, der den Labis-Literaturkreis leitet, versuchte es schnell mit einer Schaukelpolitik und versprach seine Unterstützung der „antidog- matischen, lieberalen Linie“. — Ein neues Literaturmagazin wird bald unter dem Titel „Literary Rumania“ erscheinen.

Bei der Verteilung der Literaturpreise fürs Jahr 1967 wurden unlängst die Änderungen weitgehend berücksichtigt. Jede Generation, jede Stilrichtung und ganz diverse Formen sind vertreten. Die Gewinner:

Poesie:

Dimitri Stelaru; schon vor dem Krieg bekannt, ein Dichter der älteren Generation.

Grigore Hagiu, Hausdichter der Parten

Prosa:

Alexandru Ivasiuc; sein Roman „Hausflur“ bekam den Preis. Ein typischer Jungliberaler und Nonkonformist.

Paul Schuster ist Deutscher. Als Beispiel für die Demonstration der korrekten Kulturpolitik den Minoritäten gegenüber ausgewählt.

Dramaturgie;

Paul Everac. Ein Autor der „sozialistischen Konstruktion“, jedoch kein typischer „sozialistischer Realist“.

Literaturkritik:

Lucian Raicu. Für seine Monographie über Liviu Rebranu ausgezeichnet. Er nennt sich „Strukturalist“. Abweicher von der klassischen marxistischen Ästhetik.

Üb ersetzungspreis:

Petre Manollu, Mitglied der alten Generation, unbedingt würdig für eihe Auszeichnung.

Die rumänische Literaturkrise brachte eine Reaktivierung der nationalistischen Ideologie mit sich, was nicht besonders erfreulich ist Antimarxismus und nationaler Literaturchauvinismus wären keine ideale Verkoppelung. Vielleicht findet die junge Literaturgeneration doch ihren vorurteilslosen, „eigenen liberalen Weg“, Qui vivra verra!

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