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Scheinwerfer auf ein größeres Europa

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Zum 14. Mal wurden von der Wiener Universität die Gottfried-von-Her- der-Preise der Hamburger Stiftung F. V. S. überreicht. Die Art der Vergabe durch ein unabhängiges Kuratorium aus Fachleuten mehrerer Länder, die Überreichung im neutralen Österreich: das hat sich bewährt. 1964 wollte der Hamburger Mäzen Alfred Toepfer eine Geste der Versöhnung machen, eine Brücke schlagen zu sieben Ländern, die besonders unter dem deutschen Angriffskrieg gelitten hatten. Er ging damit der Bonner Diplomatie um Jahre voran. Heute gibt es zwar normale diplomatische Beziehungen, aber es zeigt sich, daß der Brückenschlag immer wieder aufs neue vollzogen werden muß. Denn immer noch wissen wir erschreckend wenig über das kulturelle, das wissenschaftliche Leben in Südosteuropa. Wie viele Künstler es in Bulgarien, in Rumänien geben mag, die Anerkennung, Ermutigung in der Welt verdient hätten und die doch kaum über die Grenzen ihres Landes hinaus finden. Wie viele Gelehrte ein Leben damit verbracht haben, unter oft unzulänglichen materiellen Voraussetzungen, in entsagungsvoller Kleinarbeit die Grundlagen unserer Kultur aufzuhellen - wer weiß das schon in Mitteleuropa?

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Zum 14. Mal wurden von der Wiener Universität die Gottfried-von-Her- der-Preise der Hamburger Stiftung F. V. S. überreicht. Die Art der Vergabe durch ein unabhängiges Kuratorium aus Fachleuten mehrerer Länder, die Überreichung im neutralen Österreich: das hat sich bewährt. 1964 wollte der Hamburger Mäzen Alfred Toepfer eine Geste der Versöhnung machen, eine Brücke schlagen zu sieben Ländern, die besonders unter dem deutschen Angriffskrieg gelitten hatten. Er ging damit der Bonner Diplomatie um Jahre voran. Heute gibt es zwar normale diplomatische Beziehungen, aber es zeigt sich, daß der Brückenschlag immer wieder aufs neue vollzogen werden muß. Denn immer noch wissen wir erschreckend wenig über das kulturelle, das wissenschaftliche Leben in Südosteuropa. Wie viele Künstler es in Bulgarien, in Rumänien geben mag, die Anerkennung, Ermutigung in der Welt verdient hätten und die doch kaum über die Grenzen ihres Landes hinaus finden. Wie viele Gelehrte ein Leben damit verbracht haben, unter oft unzulänglichen materiellen Voraussetzungen, in entsagungsvoller Kleinarbeit die Grundlagen unserer Kultur aufzuhellen - wer weiß das schon in Mitteleuropa?

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Auch dem Kuratorium fällt es schwer, alle Jahre sieben einschlägige Persönlichkeiten zu finden. In letzter Zeit wurden einige Mitglieder des Gremiums ausgewechselt. Das hat den Horizont geweitet. Es wäre gefährlich, würde sich das Kuratorium nur auf die Vorschläge der früheren Preisträger verlassen. Wohin das führen kann, ist leicht daran erkennbar, daß unter den Jugoslawen die Kroaten ein großes Übergewicht haben, daß noch nie ein serbischer Schriftsteller (aber vier kroatische) ausgezeichnet wurden.

Über den bekanntesten der diesjährigen Preisträger, den polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki, braucht an dieser Stelle nichts gesagt zu werden. Die Akademische Feier wurde mit dem Stabat mater aus seiner Lukas-Passion bereichert. Wenn er nun - zehn Jahre nach seinem Kollegen und Landsmann Witold Luto- slawski - vom Kuratorium erwählt wurde, dient das ebenso dem Ansehen des Preises wie dem des Ausgezeichneten.

Der tschechische Kunsthistoriker Albert Kutai hat von seiner Wahl noch Kenntnis genommen, starb aber, bevor er den Preis entgegennehmen konnte. Er hat sich vor allem um die Erforschung des böhmischen Beitrags zur gotischen Kunst bemüht. Wer sich mit spätgotischer Plastik, speziell mit den Schönen Madonnen der Zeit um 1400 befaßt, kann an Kutais Forschungen nicht vorbeisehen.

In der zeitgenössischen bildenden Kunst hat die slowenische Graphik einen festen Platz. Sie findet auch rund um die Biennale von Laibach in breiten Kreisen Förderung und Interesse. Einer der bekanntesten Maler und Graphiker Sloweniens ist Riko Deben- jak, heute schon beinahe siebzigjährig, viel beschrieben, ausgestellt und preisgekrönt, aber immer wieder überraschend mit neuen Phasen seiner Entwicklung. Debenjak. stammt aus dem Karstgebiet nahe der Grenze zu Italien. Dieses karge, sonnige Land prägte sein frühes Schaffen. Die Frauen im Karst: schwarze, vom harten Leben geprägte Gestalten, vor schmerzhaft weißem Hintergrund, mit großen Körben auf dem Kopf, hat er oft dargestellt Er vertiefte sich auch in die Gegenstände des bäuerlichen Alltags. So wurden die großen Woll- kämme der Schafzüchter bei ihm zu abstrakten Gebilden. So griff er die alte Tradition der schmalen, liebevoll bemalte Bretter vor den Fluglöchern der Bienenhäuser in ganz neuartiger Weise auf. Das Geschehen in der Tiefe des Meeres - seien es Lebewesen und Steine oder versteinerte römische Amphoren - kann ihn ebenso inspirieren wie neue Einblicke in den Weltenraum.

Bäuerliches Gerät ist auch ein Forschungsgegenstand des Rumänen Ion Vladutiu, hier aus der Sicht des vielseitigen Volkskundlers. VlSdutiu hat in der Sowjetunion und in Frankreich studiert und geforscht. Er hat wissenschaftliche Werke über exotische Völker übersetzt und die uralten Traditionen seiner Heimat im großen internationalen Zusammenhang betrachtet Neben seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit hat er sich im Museumswesen und publizistisch um die Popularisierung seiner Wissenschaft bemüht.

Am schwersten zugänglich für den Laien dürfte das reiche Lebenswerk des Griechen Emmanuel Kriaras sein, der sich mit Sprache und Kultur seines Volkes von der Antike bis zur Gegenwart befaßt und dabei besonders die volkssprachliche Dichtung in der byzantinischen Zeit erforscht hat. Sein Lexikon der mittelalterlichen griechischen Volksliteratur wird, wenn es fertig ist, für Byzantinisten und Gräzisten auf der ganzen Welt unentbehrlich sein.

Ein Schriftsteller fehlt diesmal unter den Preisträgern. Dafür wurde erstmals ein Choreograph geehrt: der Bulgare Anastas Petrov. Er studierte an der Ballettschule der russischen Tänzerin Eugenia Eduardowa in der Zwischenkriegszeit in Berlin und bei dem Schweizer Max Terpis-Pfister, der etwa zur selben Zeit Ballettchef der Deutschen Staatsoper in Berlin war. Petrov hat in Bulgarien das Berufsballett eigentlich erst aufgebaut und ist durch viele Choreographien zu Werken bulgarischer und internationaler Komponisten hervorgetreten. Vor allem seine Schule hat die heutige Tanzszene Bulgariens entscheidend geprägt.

Eine interessante Persönlichkeit ist der ungarische Preisträger Matė Major. Der heute Dreiundsiebzigjährige ist Architekt, hat aber nur wenig selbst gebaut und doch die ungarische Architekturlandschaft wesentlich mitbestimmt. Man hat ihn nach dem Krieg als politisch einwandfrei befunden und ihm verantwortungsvolle Planungsaufgaben anvertraut. Er wandte sich aber bald zunehmend der Lehrtätigkeit und der Architektur-Theorie zu. In allen Funktionen hat er mit Erfolg dafür gewirkt, daß Ungarn vom BaustU des Sozialistischen Realismus weitgehend verschont blieb. Die ungarische Architektur hat im GegenteU weltweite Aufmerksamkeit gefunden, vor allem auf dem Gebiet des Fabrikbaues und der Denkmalpflege. Major wurde in jungen Jahren vom Geist des Bauhauses stark beeinflußt. Er hat immer wieder die großen Bahnbrecher der modernen Architektur studiert und beschrieben, sich aber gleichzeitig auch in die Vergangenheit vertieft. Er forschte nach den Grundgesetzen der Architektur, nach ihren Zusammenhängen mit Leben und Gesellschaft Unter seinen hunderten Aufsätzen, kleinen und größeren Schriften ist die vierbändige „Geschichte der Architektur” nicht nur äußerlich seine gewichtigste Leistung.

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