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Großes Prosapanorama

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Der österreichische Bundesverlag hat sich etwas Großes vorgenommen: nämlich ein mehrbändiges Kompendium der österreichischen Literatur von ihren Anfängen im Mittelalter bis rar aller jüngsten Gegenwart zusammenzustellen. Der erste voluminöse Band war dem Drama gewidmet und von den Universitätsprofessoren Heinz Kindermann und Margret Dietrich herausgegeben. — Nun legt der Grazer Ordinarius für neuere deutsche Sprache und Literatur. Dr. Robert Mtthlher, den Doppel -band „Prosa“ vor. Es handelt sich hier nicht um eine jener nach sehr individuellen Gesichtspunkten herausgegebenen Anthologien, sondern es wurde insofern eine gewisse Vollständigkeit angestrebt, als nichts Wesentliches, jedenfalls kein Autor von Rang, ausgelassen werden sollte, und anderseits auch Schriftsteller von geringerer künstlerischer Bedeutung, die Jedoch typisch für ihre Zeit und deren Zeugnis kulturhistorisch relevant ist, aufgenommen werden sollten.

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Der österreichische Bundesverlag hat sich etwas Großes vorgenommen: nämlich ein mehrbändiges Kompendium der österreichischen Literatur von ihren Anfängen im Mittelalter bis rar aller jüngsten Gegenwart zusammenzustellen. Der erste voluminöse Band war dem Drama gewidmet und von den Universitätsprofessoren Heinz Kindermann und Margret Dietrich herausgegeben. — Nun legt der Grazer Ordinarius für neuere deutsche Sprache und Literatur. Dr. Robert Mtthlher, den Doppel -band „Prosa“ vor. Es handelt sich hier nicht um eine jener nach sehr individuellen Gesichtspunkten herausgegebenen Anthologien, sondern es wurde insofern eine gewisse Vollständigkeit angestrebt, als nichts Wesentliches, jedenfalls kein Autor von Rang, ausgelassen werden sollte, und anderseits auch Schriftsteller von geringerer künstlerischer Bedeutung, die Jedoch typisch für ihre Zeit und deren Zeugnis kulturhistorisch relevant ist, aufgenommen werden sollten.

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DICHTUNG AUS ÖSTERREICH. PROSA. In zwei Teilbänden. 1440 Seiten und 32 Seiten Schwarzweißbilder. Herausgegeben von Robert Mühlher. österreichischer Bundesverlag, Wien und München. Preis S 535.—.

Wer auch nur eine ungefähre Vorstellung von der Stoffhülle hat, die sich zwischen Kaiser Maximilians „Weißkunig“ und Peter Handke ausbreitet, der wird die Arbeit, die Robert Mühlher geleistet hat, zu schätzen wissen. Sicher hat der Autor während der letzten drei, vier Jahre ein Vielfaches von jenen 1440 Seiten gelesen und gesichtet, die dann die beiden ungleichen Bände bildeten. Doch hierüber später... Die Materialfülle wird dadurch noch wesentlich vermehrt, daß nicht nur Dichtung im engeren Sinne vorzustellen war, sondern auch Studie, Essay, Bericht und Feuilleton — bis an die Grenze der Sachprosa. So finden wir etwa in dem großen Kapitel, das dem 19. Jahrhundert gewidmet ist, neben den allgemein bekannten und berühmten Prosadichtern Grillparzer, Bauernfeld, Roseg-ger, Stifter, der Ebner-Eschenbach und Saar auch ausgewählte Seiten aus den Werken von Hammer-Purgstall, Fallmerayer und Pro-kesch-Osten.

Der zweite Teil dieses Kompendiums wird mit einer Gruppe von Dichtern und Schriftstellern eingeleitet, deren Werk vom Jugendstil zum Expressionismus überleitet. Auch hier sind neben den berühmten, wie Bahr, Zweig, Rilke, Hofmannsthal, Werfel, Trakl und Kafka, die weniger bekannten, mehr hermetischen Autoren nicht vergessen, etwa Andrian, Däubler, Ferdinand Ebner, Martin Buber, Ludwig Wittgenstein u. a. Eine eigenartige Gruppierung ergibt sich in dem Abschnitt mit dem Titel „Wege zur Gegenwart — Fortführung der erzählerischen Tradition im 20. Jahrhundert“. Hier stehen in enger, organischer Nachbarschaft: Franz Karl Ginzkey, Felix Braun, Franz Nabl, Bruno Brehm, Paula Grogger, Richard Billinger, Karl Heinrich Waggerl, Imma Bodmers-hof u. a. Die letzten Autoren dieses Abschnitts bilden wieder eine (vom Herausgeber nicht weiter hervorgehobene) Gruppe: Brunngraber, Csokor, Robert Neumann, Torberg,Manes Sperber und Joseph Roth. — Die Sucher nach neuen Formen haben uns heute bzw. der modernen Literaturforschung wohl am meisten zu sagen: Horvath, Musil, Broch, Gütersloh, Doderer, Herzmanowsky-Orlando und Georg Saiko. Im letzten Kapitel „Die Gegenwart“ tummeln sich junge und jüngste Talente, von denen einige auch bereits „in die Jahre“ gekommen sind, wie Christine Lavant, Fritz Habeck, Ilse Aichinger, Walter Tomann, Milo Dor bis herauf zu Ernst Klein und Peter Handke.

Über die Auswahl, nämlich, was von wem aufzunehmen gewesen wäre, möchten wir mit dem Herausgeber nicht rechten.

Wir haben keine wesentliche Lücke entdeckt, und wenn wir eine nicht in diese beiden Bände aufgenommene Prosa einer hier präsentierten vorziehen, so ist das unsere Sache — aber nicht die des Lesers.

Nachdem man den hier ausgebreiteten Reichtum überblickt hat, mag man wohl dem Herausgeber zustimmen, der, ein Wort von Karl Kraus variierend, schreibt: Österreich sei jener Teil des deutschen Sprachraumes, in dem sich die Versuchsstation für die Sprache der Dichtung seit fast hundert Jahren befindet.

In seinem etwa 100 Seiten umfassenden Vorwort gibt Professor Robert Mühlher eine ebenso fundierte wie vollständige Übersicht über die eigenständige Entwicklung der österreichischen Prosa. In insgesamt 90 Seiten Bio- und Bibliographie hat der Herausgeber über seine Tätigkeit Rechenschaft abgelegt. So weit, so gut. Kritisches wäre nur zur Ausstattung zu sagen: So etwas kann man wesentlich eleganter machen. Auch sollte es nicht passieren, daß für ein solches Werk zwei verschiedene Papiersorten verwendet werden, und zwar innerhalb des gleichen Bandes. Und daß die beiden Teilbände so ungleich geraten sind — 439 und 940 Seiten! —, läßt darauf schließen, daß die Herausgeber (für die Gesamtredaktion der Reihe, in der noch die Bände „Lyrik — Versepik“ und „Hörspiele“ folgen sollen, zeichnet Elisabeth Schmitz-Mayr-Harting verantwortlich) vom Material nach der Jahrhundertwende „überrollt“ wurden.

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