Zuversicht - Literatur - © Illustration: Rainer Messerklinger

Wie Literatur den Rücken stärkt

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Zuversicht bedeutet, an Möglichkeiten zu glauben. Die Literatur baut die Brücken dazu. Das macht sie gleichzeitig zu einer entscheidenden Hoffnungsträgerin. Eine persönliche Reflexion.

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Zuversicht bedeutet, an Möglichkeiten zu glauben. Die Literatur baut die Brücken dazu. Das macht sie gleichzeitig zu einer entscheidenden Hoffnungsträgerin. Eine persönliche Reflexion.

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Wenn das Wort „unmöglich“
möglich /
Und das Wort „undenkbar“
denkbar ist /
was geht dann noch alles?

aus: „Mit Worten will ich dich
umarmen“

Die Zeiten sind fernab von rosig, oder? Aktuelle Entwicklungen in der Menschheitsgeschichte verursachen bei vielen Menschen tiefe Sorgenstirnfalten, begleitet von schweren Schultern und einem resignierenden „Ach ja …“.


Allerdings kann, ja muss man sich gerade in herausfordernden Zeiten damit auseinandersetzen, was Halt und Hoffnung gibt. Obacht, ich lade keineswegs dazu ein, mit Scheuklappen durch den Tag zu schlendern, Ohren und Herzen durch smarte Sicherheitsschlösser zu verriegeln und nur noch den Blick auf das zu lenken, was „eh passt“. Denn es gibt noch viel, so viel zu tun im Bilden eines guten Miteinanders auf dieser Welt. Die Frage ist nur: Was schenkt Kraft im Leben – auch wenn es anstrengend wird? Was lässt uns weiter­gehen und aufrechter stehen? Zuversicht ist hier eine der wichtigsten Begleiterinnen, in guten wie in besser werdenden Zeiten, und der Wege sind viele, wie man ihr die Hand reichen kann. Einer davon ist die Literatur.

So ambivalent wie der Mensch

Literatur ist mehr als gedruckte Worte, mehr als ein Kanon, auf den man sich geeinigt hat. Autorin Renate Welsh meint dazu: „Literatur kann nichts. Literatur kann alles. Beides wird immer wieder behauptet. Beides lässt sich beweisen.“

Sicher, Literatur ist so ambivalent wie der Mensch selbst, und sie bildet sich vor allem erst in der Auseinandersetzung mit ihr; davor ist sie lediglich bedrucktes Papier. Nur im Eintauchen in ein Buch, im innerlichen Ausformulieren von Sätzen, im Nachdenken über das Gelesene und Weiterdenken des Begriffenen, entsteht ein persönlicher Resonanzraum, der den Wert eines Werks bestimmt. Nämlich egal, wie alt man ist. Als Kind, als Jugendliche(r), als Erwachsene(r).

Der Schriftsteller ­Philippe ­Djian meint: „Wenn es mir schlecht geht, gehe ich nicht in die Apotheke, sondern zu meinem Buchhändler.“

Als Kind einer Germanistin und eines Mediziners empfehle ich – je nach Diagnose –, zu einem Buchhändler oder einer Buchhändlerin und in die Apotheke zu gehen, doch Djian hat in einem Punkt recht: Beizeiten kann allein ein gutes Buch helfen, dass man sich wieder besser fühlt. Doch warum? Wie schafft es Literatur immer wieder aufs Neue, eine derart entscheidende Hoffnungsträgerin mit heilsamer Wirkung zu sein?

Wer liest, lehrt der Zunge neue Worte. Sprache hat eine unglaubliche Macht, formt Realitäten, gestaltet Wirklichkeiten. Begriffe wie Wortschatz oder Sprachvermögen demonstrieren, dass die Gesamtheit der Wörter, die man kennt, eine Kostbarkeit ist. Wer mehr Wörter zur Verfügung hat, kann sich anders über Erfahrenes ausdrücken. Die Betonung liegt hierbei auf „anders“, ich schreibe bewusst nicht besser oder schlechter.

In guter Literatur kann man aufatmend Worte finden, von denen man gar nicht wusste, dass man sie gesucht hatte. Und wie wunderbar ist es doch, im Lesen plötzlich innezuhalten, um eine Formulierung zu wiederholen – beizeiten sogar zu unterstreichen –, auf dass sich das Gelesene ins Gedächtnis bettet. Sprachliche Schönheit und Ausdruckskreativität faszinieren und erinnern daran, dass Ästhetik und Ideenreichtum in der Welt existieren, auch in schwierigen Zeiten.

Die Tür zu den Gefühlen

Wer liest, hat viele Leben. Wieder zitiere ich Renate Welsh: „Lesend und schreibend können eigene Möglichkeiten und Grenzen ebenso ausgelotet werden wie die des ganz und gar Anderen, was wiederum einen klareren Blick auf das Eigene erlaubt.“

Literatur kann diverse Blickwinkel eröffnen und vertraut machen mit anderen Biografien, Ländern, Kulturen, Einstellungen, Geschichtsabschnitten und vielem mehr. Damit pflügt sie das Übungsfeld für Empathie. Es ist der Boden für ein aufrichtiges soziales Miteinander, nachhaltige Konfliktlösungen, zwischenmenschliche Beziehungen und absolut entscheidend für ein sinnreiches politisches Handeln. Noch etwas: In der direkten Identifikation mit so manchem literarischen Charakter wird einem zwischen den Zeilen und doch vernehmbar ein Satz zugeraunt, der an schweren Tagen lindernd wirkt. Der Satz lautet: „Du bist nicht allein.“

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