Röth

Hörbücher: Lesen mit den Ohren

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Österreichs einzige Hörbuchhandlung wird von einer blinden Frau geleitet. Die FURCHE besuchte Monika Röth im „Audioamo“ in der Wiener Kaiserstraße und tauchte ein in eine Welt voller Erzählungen und persönlicher Geschichten.

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Österreichs einzige Hörbuchhandlung wird von einer blinden Frau geleitet. Die FURCHE besuchte Monika Röth im „Audioamo“ in der Wiener Kaiserstraße und tauchte ein in eine Welt voller Erzählungen und persönlicher Geschichten.

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Wie viel Lebenszeit steckt in über 15.000 Hörbüchern und Hörspielen? Angenommen ein gelesenes Buch hat 300 Seiten – das entspricht dann einer Laufzeit von sechs Stunden. Aufgerechnet auf die Auswahl an Hörbüchern und Hörspielen, die es im Fachgeschäft „Audiamo“ gibt, könnten 3750 Tage oder über zehn Jahre nur mit Hörbuchhören verbracht werden. Das ist aber selbst der Inhaberin Monika Röth noch nicht gelungen. Und das obwohl sie sich seit Kindesbeinen an bei jeder sich bietenden Gelegenheit – im Auto unterwegs, beim Kochen, auf dem Heimtrainer – Geschichten vorlesen lässt.

Bücher selbst lesen kann sie nicht mehr. Monika Röth ist mit drei Prozent Restsehvermögen als vollblind eingestuft. Es war mitten im Studium gewesen; die heute 52-Jährige studierte Informatik, als sie aufgrund einer erblichen Erkrankung ihr Augenlicht verlor. Auch ihre Mutter konnte nichts sehen. Der Verlust des Augenlichts konnte dennoch bei beiden Frauen die Leidenschaft für die Literatur nicht schwächen. Sie mussten nur umsteigen – vom gedruckten Buch auf die vertonte Geschichte. Sprichwörtlich wurden Röth von ihrer Mutter Hörspiele in die Wiege gelegt – damals noch auf Schallplatte oder Tonbandgerät.

„Natürlich hat es erzählte Gute- Nacht-Geschichten gegeben, aber es war gang und gäbe, dass wir gemeinsam Hörspiele gehört haben“, erinnert sich die Geschäftsfrau. Hörspiele als Alternative zum gedruckten Buch waren damals vor allem für ihre Mutter wichtig. Sie waren eine Möglichkeit, trotz der Krankheit gemeinsam mit den Kindern Geschichten zu erleben. Ob persönliche Erzählungen der Mutter oder vertonte Märchengeschichten – Monika Röth erinnert sich gerne an die gemeinsamen Momente vor dem Schlafengehen zurück: „Beim Hörbuchhören gibt es keine visuellen Ablenkungen. Mit geschlossenen Augen entstehen die Bilder im Kopf. Es ist eine Zusammenarbeit zwischen dem vorgelesenen Text und dem, was die eigene Fantasie aus den Beschreibungen macht. Die Fantasie erweckt Helden und Bösewichte zum Leben, sie baut Straßen und Landschaften auf und hilft dabei, aus einer Geschichte einen Film zu drehen.“

Mittel gegen die Einsamkeit

Gerade jetzt in der Coronakrise wirkten vertonte Kindergeschichten oder ein gelesener wissenschaftlicher Vortrag als Mittel gegen die Einsamkeit, sagt Röth. „Man kann sich nette, schöne Stimmen in die Wohnung holen und mit seinen Gedanken auf Reisen gehen.“ So habe man im Lockdown zumindest mit den Ohren verreisen können. „Das kann wunderschön vom Alltag und den persönlichen Problemen ablenken.“ Kopfkino entsteht auch bei gedruckten Büchern. Monika Röth spricht aus eigener Erfahrung: „Ich habe immer irrsinnig gerne gelesen, aber als die Augen immer schlechter und die Lupen immer größer wurden, war es wirklich schwer, Literatur noch genießen zu können.“

Sie suchte Zuflucht: „Die Hörbücher waren mir eine große Stütze.“ Das Geschäft im siebten Wiener Gemeindebezirk würde es nicht geben, hätte Monika Röth nicht ihr Augenlicht verloren. Die Sonne und helle Strahlen, die in die Hörbuchhandlung scheinen, erkennt sie, ansonsten nehme sie nur Schattierungen von hellgrau bis dunkelgrau wahr. Die Pandemie ging selbsterklärend auch am Hörbuchgeschäft „Audiamo“ nicht spurlos vorbei. Sämtliche Lockdowns und Teil-Lockdowns mussten mitgetragen werden. Jetzt setzt Röth auf die wenigen Wochen vor Weihnachten, auf die Rückkehr von Stamm- und Laufkundschaft – trotz oder gerade wegen der Krisenstimmung.

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