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GEDANKEN ZUR GLEICHHEIT VOR DEM GESETZ

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Die jüngst verfügte Einstellung des Verfahrens gegen einen Polizeibeamten, der sinnlos betrunken Amok durch die Straßen Wiens fuhr, schwere Schäden verursachte und bei seiner Festnahme renitent war und um sich schlug, ist ein weiteres Glied in einer Kette von merkwürdigen Entscheidungen in Delikten, die von Beamten der Exekutive begangen wurden. Nur wollte man diesmal offenbar nicht einen Richter mit der Verantwortung für einen Freispruch belasten, sondern man ließ einfach die Staatsanwaltschaft von der Anklage zurücktreten.

In mehreren früheren Fällen kamen Polizeibeamte und Ex-Polizeibeamte, die ihre Dienstpistolen zu Mordanschlägen oder sonstigen privaten Schießereien benützt hatten, erstaunlich glimpflich davon — von Verkehrswildlingen ganz zu schweigen. Hier — und im „Hinauffallen“ von offenkundig minder befähigten Beamten — dokumentiert sich eine unglückliche Karikatur des Begriffes „Korpsgeist“. Statt „Korpsgeist“ als gemeinsame Verpflichtung zur Sauberhaltung des „Korps“, als eine Art permanentes Ehrengericht, anzusehen, wird dieser Begriff dazu mißbraucht, die Fehler, ja selbst die Vergehen jener zu decken, die zufällig dieselbe Uniform tragen. Da ist dann die „Mauer des Schweigens“ bei den Kollegen des betrunkenen Straßenbahn-Todesfahrers, da spielt es in einem Mordprozeß plötzlich keine Rolle, wenn zwei Exekutivbeamte ihre widersprüchlichen Zeugenaussagen mit einem Eid bekräftigen, da ist pathologische Voll-tiunkenheit plötzlich ein Grund, die Strafverfolgung noch vor Eröffnung des Verfahrens einzustellen.

Das wahrhaft Erschütternde abeT ist die offenkundige Verständnislosigkeit, die all diesen Aktionen zugrunde liegt. Glaubt man denn wirklich, der Öffentlichkeit vorspiegeln zu können, daß ein Angehöriger der Exekutive niemals Unrecht tun kann? Ist jeder Polizeibeamte ex officio ein unfehlbarer Übermensch? Statt ein schwarzes Schaf auszustoßen, ruft man laut: „Seht, es ist doch weiß!“

Denkt denn niemand daran, welche Auswirkungen solche Mißgriffe auf das Korps der Exekutive, der Beamtenschaft letzten Endes notwendigerweise haben müssen? Viele tausende Beamte der österreichischen Exekutive versehen treu und mustergültig ihren Dienst. Sie müssen nun mitansehen, daß gerade die Versager unter ihnen für eine bevorzugte Behandlung vorgesehen sind. Dct Verkehrspolizist, dei Gendarm, der tagaus, tagein seine Pflicht tut, steigt mühsam die Stufenleiter zu höherem Rang und höherem Lohn empor. Aber derjenige, der durch eine Fehlleistung, durch eine strafbare Tat von sich reden macht, der wird gedeckt und geschützt im Namen des „Korpsgeistes“.

Man muß sich einmal zu der Erkenntnis durchringen, daß die Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen muß, und wenn die Amtskappelwelt darüber zugrunde ginge. Jede Milde gegen einen unkorrekten Beamten ist eine Ohrfeige ins Gesicht von tausend korrekten Beamten und von zehntausend unbeamteten Staatsbürgern.

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