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Das vergewaltigte Recht

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Heute kann es sich nicht mehr um den Nachweis handeln, daß der Budapester Prozeß eine Fälschung darstellt. Die Erkenntnis dieser Fälschung ist heute Gemeingut der Weltöffentlichkeit, soweit ihr nicht gewaltsame Schranken gezogen waren. Doch zu den bereits erbrachten fügen sich neue Beweistatsachen, die zwar die Ungeheuerlichkeit des Geschehens nicht mehr steigern, aber 6ie doch unter neue Beleuchtung rücken. Die Lenker des Prozesses wußten sehr wohl, daß sie eine sachkundige Kontrolle des Prozesses zu scheuen hatten. Der Kardinal hatte rechtzeitig zu seiner Verteidigung in dem erwarteten Prozeß den Reditsanwalt Dr. Josef Groh, einen Abgeordneten aus der von Margit Schlachta geführten katholischen Parlamentariergruppe, beauftragt. Einen Tag vor der Eröffnung des Prozesses wurde Dr. Josef Groh, ohne daß vorher gegen ihn ein Verfahren gelaufen wäre, unter irgendeinem Vorwand aus der Advokatenkammer ausgeschlossen und eo der Kardinal seines Verteidigers beraubt. Der zugleich von Amts wegen bestellte kommunistische Verteidiger war eine Karikatur.

Einen drastischen Nachweis für die Fäl- sdiung der „Dokument e“, die in dem bekannten „Gelbbuch“ als Beweismaterial für Anklage und Urteil wiedergegeben sind, führt in der Zeitschrift „Temoignage Chretien" der gegenwärtig in Paris lebende ungarische Schriftsteller Bela Just; er weist in dem ungarischen Texte der dem Primas zugeschriebcnen Aktenstücke mehr als 50 grobe Sprachfehler nach, Fehler, die fiieht einmal ein mittelmäßiger Volksschüler machen würde. So erscheint in der angeblichen Handschrift des Kardinals das Wort „Habsburg" in folgender Gestalt: „Habsbhurg".

Oder das Wort „Köztarasag“ = Republik mitten im Text getrennt als „Köz tarasag“, so wie wenn das deutsche Wort auf gespalten würde in „Re Publik“. Selbstverständlich kann der Kardinal diese gehäuften Fehler nicht bei auch nur einigermaßen gesunden Sinnen gemacht haben.

Zur Beantwortung der vielerörterten Frage, wie der Kardinal in diesen Zustand versetzt wurde, er, wie die ganze Schar jener Unglücklichen, die vor ihm in den bekannten politischen Schauprozessen des Ostens ein ähnliches Schicksal erlitten haben, ist eine Reihe von Hypothesen aufgestellt worden, die darin übereinstimmen, daß die Angeklagten mit Anwendung chemischer Mittel Prozeduren unterworfen wurden, die auf eine Zermürbung der physischen und geistigen Natur des Opfers hinauslaufen. Unter anderem schilderte kürzlich im Pariser „Figaro“ der gewesene Abgeordnete der Kleinlandwirtepartei, der Arzt Dr. Tibor Ham, ein Katholik, der als angeblicher Mitschuldiger des geflüchteten Ministerpräsidenten Nagy den Folterknechten der Budapester Andrassy-ut überliefert wurde, seine furchtbaren Erlebnisse, wie nach Dunkelhaft, Hunger, Verhören, verabreichten Drogen, durch Torturen und Morphium eine außerordentliche Euphorie erzeugt wird, in der alles Leiden plötzlich aufhört und der zusammengebrochene Mensch alles gesteht und unterschreibt, was man will. Dann? Man kann sich an nichts mehr erinnern, und selbst heute kann sich Dr. Ham, der jetzt in Paris lebt, nicht mehr an die Tage nach seinem Zusammenbruch erinnern.

Ein namhafter Grazer jurist schreibt der „Furche“:

„Daß die ungarische Staatspolizei mit Methoden arbeitet, die in keiner westlichen Strafprozeßordnung vorgesehen sind, darf als bewiesen angesehen werden. Ich persönlich kenne den Fall eines höheren ungarischen Ministerialbeamten, der plötzlich von der Straße weg in das bekannte Haus in der Andrassystraße gebracht wurde, wo er abwechselnd stundenlang mit dem Gesicht zur Wand stehen mußte und minutenlang über neutrale Themen verhört wurde. Beim dritten Verhör entschuldigte sich der Polizeibeamte — es war immer ein anderer — für die rauhen Sitten seiner Kollegen, ließ Tee kommen und zeigte sich von der liebenswürdigsten Seite. Nach dem Genuß des Tees fiel das Opfer in Sdilaf. Beim Wiedererwachen hielt man ihm einen Revers vor, auf dem er sich mit seiner eigenen Unterschrift verpflichtet hatte, seine Kollegen — insbesondere die kommunistischen — zu bespitzeln. Wie es zur Abfassung dieses Reverses gekommen

Pharmakologie übernommen, wahrscheinlich bei der ersten Einrichtung der russischen Geheimpolizei durch Chinesen Eingang fand. Diese Droge versetzt den Gefangenen in einen Zustand tiefer Melancholie und psychischer Haltlosigkeit. In dieser Verfassung, die ihn zu einem nicht zur vollen Vernunft gelangten Kinde macht, wird er isoliert von

Sowjetrußlands: „Die sowjetrussische Ge rechtigkeit ist ein effektives Organ der sowjetrussischen Politik... Sie verfolgt dieselben Ziele wie diese ... Der sowjetrussische Richter darf nicht immer der juristischen Logik folgen: zwischen dem Gesetz und der Disziplin der Partei muß er ohne Zögern der zweiten folgen, denn das Gesetz ist nur eine Form der Disziplin der Partei.“

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