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Schwindende Sicherheit

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Vor der Wohnungstür des Präsidenten des ÖOC, Dr. Heinz Pruckner, macht sich ein unbekannter Täter zu schaffen. Er schüttet einen Benzinkanister aus, zündet den Brennstoff an und flüchtet. Dieser Anschlag im Zuge der „Schranz-Emotionen“ gehört mit zur derzeitigen „Eskalation der Gewalt“, die sich nunmehr auch in Österreich breit macht. Der Uberfall und Millionenraub auf eine Wiener Bank, das Sprengstoffattentat auf die Bankfiliale in Gumpendorf sind gleichfalls bis heute ungeklärt.

Als Innenminister Rösch vergangene Woche dem Parlament den Bericht über die „innere Sicherheit Österreichs“ vorlegte, stellte er fest, „daß die Entwicklung der Verbrechenskriminalität in Österreich nicht besorgniserregend ist.“ Offenbar ist das aber Auslegungssache: • Die Zahl der Verbrechen gegen Leib und Leben ist von 1966 bis 1970 von 3049 auf 3577 angestiegen: Zunahme fast 20 Prozent.

• Die Vermögensdelikte erreichten 1970 die Zahl 76.795 und liegen dar mit um fast 30 Prozent über den Werten von 1966.

• Die Eigentumsdelikte vervielfachten sich von 1953 bis 1970: Statt 28.048 im Jahre 1953 registrierte man 1970 76.795 solcher Fälle.

• Nur die Sittlichkeitsdelikte weisen eine fallende Tendenz auf: 2818 statt 3023 Fälle.

Es ist nicht hur der Anstieg der Verbrechen, der besorgniserregende Höhen anpeilt. Geradezu bestürzend ist die Aufklärungsquote. Bei den Vermögensdelikten fiel die Zahl der gelösten Fälle von 46 auf 42 Prozent. Zu denken gibt dabei die Tatsache, daß sich diese Quote in den Bundesländern zwischen 60 und 80, in Wien hingegen nur zwischen 25 und 27 Prozent bewegt.

Im Gegensatz zum Innenminister, der offensichtlich bemüht war, die Bevölkerung nicht weiter aufzuregen, schockte der ÖVP-Abgeord-nete Fritz König das Parlament mit einer anderen Zahl: Von 1953 bis 1970 ist die Aufklärungsquote aller Verbrechen von 83 auf 52 Prozent gesunken. Das heißt, daß nur noch jedes zweite Kriminaldelikt in Österreich geklärt wird.

Das Hauptproblem, mit dem heute die gesamte Exekutive zu kämpfen hat, ist freilich ein anderes: während auf der einen Seite eine Zunahme der Brutalität zu verzeichnen ist, während die Bürger nach mehr Schutz des Eigentums und der Person verlangen, buht man auf der anderen Seite die Polizei aus, wenn sie hart durchgreift. So geschehen in der BRD im Fall des Münchner und später des Kölner Banküberfalles mit Geiselentführung. Anders in Wien, wo die Ausbrecher von Stein, ohne daß die Polizei von der Schußwaffe Gebrauch machen mußte, wieder eingefangen wurden. Man lobte „die sanfte Welle“, die freilich auf Grund der Vorkommnisse eher eine „komische Welle“ war. In allen Fällen hatte die Exekutive aber nicht nur die Verbrecher als Gegner, sondern auch eine besondere Zeiterscheinung: den Publikumsrummel. Offenbar satt, immer nur konstruierte Krimis im Fernsehen zu sehen, erfreuen sich tausende Mitbürger, die sonst „law and order“ fordern, als Zuschauer an Verbrecherjagden.

Die Frage der Verbrechensbekämpfung in Österreich ist derzeit aber vor allem auch eine Frage, ob die bestehenden organisatorischen Mängel der österreichischen Exekutive behoben werden.

Krebsübel Nummer eins ist die Doppelgleisigkeit von Polizei und Gendarmerie. Einer Zusammenführung der beiden Exekutivkörper stehen nicht nur politische, sondern vor allem personelle Gründe entgegen: Das Gendarmeriekorps ist durchwegs besser ausgebildet als das Polizeikorps; daran, die Effektivität der Exekutive zu erhöhen, denken die Standesegoisten aber vorläufig nicht.

Der Nachwuchsmangel, der zur Folge hat, daß die Kader immer kleiner werden, ist nicht nur darauf zurückzuführen, daß das Image der Polizei und das Prestige des Polizisten wenig hoch im Kurs stehen. Obwohl die Polizei längst keine Elitetruppe mehr ist, hat sie sehr elitäre Aufnahmebestimmungen: Polizeibewerber dürfen nicht älter als 32 Jahre und nicht kleiner als 1,70 Meter sein. Kurzum: Statt Polizisten heranzubilden, die ihrer Aufgabe und Arbeit gerecht werden, hängt man an einem seltsamen Idealbild von „österreichischen Jungs'“.

Doch die eigentlichen Probleme liegen anderswo: Schwerpunkt der Tätigkeit der Polizisten wird immer mehr die Verkehrsüberwachung.

So haben neben der Ausstellung von Strafmandaten Österreichs Polizei unter anderem noch die Schulwegsicherung, Spitalsbettenbeschaffung, Entbindungen, Kontrolle von Musikboxkonzessionen und Gewerbevorschriften zu besorgen.

Abgesehen vom Funkstreifenwagen und vom Funkgerät, lebt der österreichische Polizist heute noch genauso wie sein Vorgänger zu Beginn dieses Jahrhunderts. Aber wie vieles in Österreich war die Exekutive durch Jahrzehnte hindurch ein Politikum, was bis heute verhindert, daß man an der Spitze nach modernen Managementmethoden organisiert. So erkannte man wahrscheinlich viel zu spät, daß für gewisse Arbeiten keine „hochwertigen“ Polizisten, sondern einfach geschulte „Politessen“ ausreichen.

Den „Rest“ der Arbeit zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung erledigen die Innendienstbeamten und das „Dreier-Radl“. Statt einem Achtstundentag wie im Ausland feiern Österreichs Polizisten die Errungenschaft des Vierundzwanzigstunden-Tags. Das bedeutet: Zuerst verminderte Konzentration durch 24stün-dige physische Anspannung und dann 48 Stunden Freizeit mit der Möglichkeit, sich durch Pfuschen das kärgliche Gehalt aufzubessern. Ist es in Großbritannien die Gewerkschaft, die einer großzügigen wirtschaftlichen Reform im Wege steht, so blockiert in Österreich die Gewerkschaft diese Reform auf dem Exekutivsektor. Das Ergebnis dieser Entwicklung aber haben die Österreicher zu spüren.

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