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Die Drohung

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Der Innenminister der Bundesrepublik bricht einen Besuch in China ab und fliegt sofort nach Hause. Die Wasserwerke aller deutschen Großstädte werden von bewaffneten Polizisten hermetisch abgeriegelt und bewacht wie sonst nur Goldtransporte. Ein Großteil der kriminalpolizeilichen Ermittlungen kommt zum Stillstand — jeder Kripomann wird gebraucht, um den Erpresser zu fangen, der gedroht hat, gefährliche Bakterien in Briefen zu verschicken.

Mag sein, daß hier tatsächlich ein wahnsinniger Forscher oder auch nur ein Laborant in einem Forschungslaboratorium am Werke ist. Es könnte auch anders sein, es könnte sich um den Vorreiter eines neuen polit-kriminellen Erpressungsstils handeln. Und falls diesmal tatsächlich noch ein Wahnsinniger der Urheber war, und vielleicht einer, der gar keinen Zugang zu gefährlichen Bakterienkulturen hat — morgen schon könnten politische Kriminelle diese Idee aufgreifen.

Schlag nach im ' Entwurf eines neuen österreichischen Strafgesetzbuches, schlag nach unter „Landzwang“; Paragraph 275 lautet: „Wer die Bevölkerung oder einen großen Personenkrels durch eine Drohung mit einem Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen in Furcht und Unruhe versetzt, ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.“

Erst wenn ein Terrorist dazukäme, Bakterien ins Trinkwasser einer Großstadt zu praktizieren, und der Anschlag ginge glimpflich aus, würde ihm — hier käme Paragraph 176, „Vorsätzliche Gemeingefährdung“, in Frage, der einen Strafrahmen bis zu zehn Jahren, erst bei entsprechenden Folgen für Leib und Leben von Menschen eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsieht. Das scheint uns, bei allem Respekt vor der gesetzgeberischen Absicht, in einer Zeit, die immer neue Terrormethoden gebiert, zuwenig. 'Hier müßte schon die bloße Drohung, die Vorbereitung, mit entsprechender Strafe bedroht werden.

Die Welle der Piratenakte im Luftverkehr hat gezeigt, wie hilflos die Justiz, wenn sie nicht im Besitz der notwendigen Paragraphen ist, auf derartige aktuelle Tatbestände reagiert. In einer Zeit zunehmenden

— und immer raffinierteren — Terrors kann auf neue Möglichkeiten, Furcht und Schrecken zu verbreiten, nicht früh genug juristisch reagiert werden. Der Gesetzgeber wäre daher gut beraten, würde er in letzter Minute den Paragraphen 275 in unserem neuen Strafgesetzbuch entscheidend verschärfen — der Strafrahmen hätte hier zumindest dem des Paragraphen 186 („Vorsätzliche Gefährdung der Sicherheit der Luftfahrt“) zu entsprechen.

Eine solche Retusche durch den Gesetzgeber wäre kein Zeichen der Schwäche, sondern eines der Fähigkeit, auf Gefahren, die sich neu abzuzeichnen beginnen, schnellstens zu reagieren.

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