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Diskussion um die Ehe

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Jede Norm, ob sie gesatzt ist oder nur die Anspruchsqualität einer Gewohnheit hat, soll den Charakter eines Instrumentes haben und nicht Selbstzweck sein. Das gilt auch für das kirchliche Recht, das lediglich ein Instrument für die Sicherung einer dem gesunden Menschenverstand und der Natur des Menschen entsprechenden Ordnung ist oder sein soll. Das Recht der Kirche ist in seiner legistischen Fassung Menschenwerk. Sonst gäbe es keine Neukodifikationen. Die permanente Anpassung des kirchlichen Rechtes ist Zeichen des Versuches der Kirche, Ihre Normen an die sich wandelnden Bedingungen zum Zweck eines zielkonformen Normenvollzuges zu adaptieren. Jede Verbalisierung der Postulate der Offenbarungswahrheiten muß auf historische Tatbestände, auf die Endlichkeit des Menschen, Bedacht nehmen.

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Jede Norm, ob sie gesatzt ist oder nur die Anspruchsqualität einer Gewohnheit hat, soll den Charakter eines Instrumentes haben und nicht Selbstzweck sein. Das gilt auch für das kirchliche Recht, das lediglich ein Instrument für die Sicherung einer dem gesunden Menschenverstand und der Natur des Menschen entsprechenden Ordnung ist oder sein soll. Das Recht der Kirche ist in seiner legistischen Fassung Menschenwerk. Sonst gäbe es keine Neukodifikationen. Die permanente Anpassung des kirchlichen Rechtes ist Zeichen des Versuches der Kirche, Ihre Normen an die sich wandelnden Bedingungen zum Zweck eines zielkonformen Normenvollzuges zu adaptieren. Jede Verbalisierung der Postulate der Offenbarungswahrheiten muß auf historische Tatbestände, auf die Endlichkeit des Menschen, Bedacht nehmen.

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An Hand seiner Untersuchungen will nun der Autor beweisen, daß kirchlich gültige Ehen über die bisher geübte Spruchpraxis der kirchlichen Instanzen hinaus lösbar waren. Der Ausgang der Unternehmungen sind Prämissen, die im katholischen Raum bisher schon grundsätzlich anerkannt und in theologischen Handbüchern (etwa im Lexikon für Theologie und Kirche) niedergelegt worden sind. Die der menschlichen Natur inkorporierte Geschlechtlichkeit drängt den Menschen zur Realisierung der geschlechtlichen Liebe, deren Optimierung im Sinn einer Vollendung der menschlichen Persönlichkeit nur durch die permanente Bindung an einen Menschen des anderen Geschlechtes möglich ist. Das bedeutet: Einehe und gleichzeitig Unauflös-Mchkeit derselben (S. 16). In einem partnerschaftlich-sakramental mit ihm verbundenen Mitmenschen begegnet der Mensch dem absoluten Gott. Die Vergegenständlichung (Vermenschlichung) der Liebe zu Gott erfolgt in der Liebe zum Mitmenschen — auch und besonders in der Form der ehelichen Liebe. Insoweit ist die Ehe ein Bund mit Christus. Nach dem Kirchenrecht (c 1118 in Verbindung mit c 1142 und 1069) löst der Tod das Eheband. Der überlebende Ehepartner ist nunmehr frei und kann sich neuerlich kirchlich gültig verehelichen. Dagegen fragt aber der Verfasser: Wenn durch den Tod die Auferstehung des Fleisches beginnt, warum soll gerade dann enden, was „ein Fleisch“ wurde (S. 40). Durch den Tod wird die Natur des Menschen (nach Schmaus) nicht zerstört, sondern lediglich gewandelt. Geht man formal vor und vom gewollten Inhalt des Ehesakramentes aus, könnte die von der Kirche erteilte Erlaubnis zur Wiederverehe-lichung des überlebenden Partners auch als Konzession einer sukzessiven Bigamie verstanden werden. Wenn die Ehelösung durch den Tod nur Konzession an die menschliche Endlichkeit ist, dann ist es prinzipiell denkbar, diese Konzession auch auf ähnlich gelagerte Fälle zu erweitern, die in ihrem Inhalt dem Tod eines Gatten vergleichbar sind. Tatsächlich wird die Wiederverehe-lichung von der Kirche nicht allein bei Tod eines Ehepartners gestattet, sondern auch bei Vorliegen anderer Gründe, denen ähnliche Qualität zugemessen wird:

a) Privilegium Petrinum. Päpstliche Gewalt kann die Ehe lösen, wobei auf die menschlichen Schwächen Bedacht genommen wird (S. 94). Gegen die Praxis der Ehelösung kraft päpstlicher Gewalt spricht freilich der Codex (cc 1118 bis 1127). Auch von der Dogmatik her gibt es für die Praktizierung des Privilegium Petrinum keine Rechtfertigung.

b) Nach dem Priinler/tum Paulinum (S. 87), das wahrscheinlich aus der historisch einmaligen Begründungssituation der Urkirche zu verstehen ist, kann ein katholisch gewordener Ehepartner an seinen noch nicht getauften Ehepartner die Aufforderung richten, sich taufen zu lassen. Wird der Interpretation nicht entsprochen, kann der katholisch gewordene Ehepartner unter Umständen eine neue Ehe mit einem Katholiken eingehen. Durch den Abschluß der zweiten Ehe wird die erste Ehe automatisch aufgelöst. Der Verfasser stellt nur in Form von Falltypen jene Fälle dar, bei denen die Auflösung einer schon bestehenden Ehe ohne Vorhandensein der moralischen Voraussetzungen im Rechtsbereich diskutabel wäre. Die von Steininger angeführten Falltypen zeigen, wie problematisch zuweilen eine lediglich vom Buchstaben des Gesetzes ausgehende Spruchpraxis der Ehegerichte der Kirche ist und wie wenig sie da und dort den Ordnungsvorstellungen angemessen ist, welche mit der sakramentalen Bedeutung der Ehe in Verbindung gebracht werden. Darüber hinaus ist offenkundig, daß sich die kirchliche Rechtsprechung in Ehesachen nicht selten auch über die Bestimmung des Codex hinwegsetzt, selbst dann, wenn es nicht der Vernunft und dem Humanum entspricht. Anderseits wissen wir, daß die kirchliche Rechtsprechung in Ehesachen in einzelnen Fällen die moralische Not von Ehepartnern wenig beachtet und sich auf das positive Recht beruft, ob dessen Exekution nun wider die Vernunft und die Natur ist oder nicht.

Dazu kommt noch die pansextiolistt-sche Interpretation der Ehe durch manche kirchliche Richter, denen ausschließlich der Geschlechtsakt für den gültigen Vollzug einer Ehe maßgebend ist, ohne Bedachtnahme auf die Gesinnung der Eheleute bei Vollzug oder die äußeren Bedingungen der Vollzugssituation: Wenn sich an die Taufe eines katholisch gewordenen Ehepartners (in einer vordem nicht katholisch geschlossen gewesenen Ehe) kein Geschlechtsverkehr der Ehegatten anschließt, kann die Ehe getrennt werden. Die bereits vollzogene Ehe muß daher nach der Taufe nochmals vollzogen werden, damit sie unlösbar bleibt bzw. wird.

Der Verfasser fragt sich daher mit Recht, warum die Liebesehe von Un-getauften nach der Taufe einen entscheidend höheren Grad von Unauf-löslidikedt hat, einfach als Folge eines Geschlechtsaktes (S. 112). Das kommt einer Überschätzung der Bedeutung des Geschlechtsaktes in der Ehe durch die Kirche gleich (S. 114). Die Geschlechtlichkeit ist nur ein Teil des ehelichen Kontaktes und hat eine mit dem Alter der Eheleute abnehmende Bedeutung.

Die Kirche wendet sich mit Recht gegen einen lebensfernen Rechts-positivismus in der profanen Welt. Anderseits praktiziert sie jedoch im eigenen Rechtsbereich selbst einen eigenartigen, wenn auch undekla-rierten Rechtspositivismus, der nicht selten so weit geht, daß er in Fragen der Ehe den Sinn der Normen des Kirchenrechtes nicht mehr erkennen läßt. Das zeigt sich etwa am Problem der Impotenz (S. 125) und der künstlichen Befruchtung tS. 130).

Der kirchliche Rechtsposittwismus ist eine Folge der Annahme mancher Theologen, daß sich die eheliche Liebe lediglich in der Form des Geschlechtsaktes darstellen könne. Dadurch wird aber dem „Lustmoment“ für den Kontakt der Eheleute eine zu große Bedeutung beigemessen, Ehe und Familie sind nicht nur eine Institutionalisierung der Geschlechtsbeziehungen, sondern mehr; diese sind nur von konstitutiver Bedeutung. Der Rechtspositivismus in Fragen der Ehe führt aber nicht allein zu einer Sinnverzerrung in der Anwendung des Codex, auch die lange Dauer der Eheprozesse muß meines Erachtens als eine faktische Rechtsverweigerung klassifiziert werden und führt dazu, daß die mei sten Personen, die ernstlich gewillt sind, kirchliche Ehegerichte anzu rufen, dies angesichts der zu erwar tenden Dauer des Verfahrens nicht tun. Anderseits aber verfährt die Kirche bei der Erteilung der Dis pens von der zölibateren Verpflich tung mit einer bemerkenswerten Großzügigkeit (wenn es sich auch beim Zölibat nicht um ein Sakrament handelt). Gegen die zuweilen beklagenswerte rechtspositivlstische Praxis der Kirche schlägt der Verfasser vor, das Privilegium Petrinum expansiver zu handhaben. Staatlich geschlossene Ehen, welche offenkundig unter un moralischen Aspekten geschieden worden sind, werden von der Kirche bei Wiederverehelichung eines Part ners vor dem Priester erheblich besser behandelt als kirchlich geschlossene. Mit anderen Worten: Hinsicht' lieh der Qualität der Bindung der Ehepartner werden standesamtlich geschlossene Ehen unterbewertet und kirchlich geschlossene überbewertet, auch dann, wenn standesamtlich Getraute einander in Liebe verbunden sind, während zum Beispiel kirchlich Getraute zuweilen nie eine Liebesgemeinschaft hatten oder die Liebesgemeinschaft endgültig zer stört ist und offenkundig nicht wie> der hergestellt werden kann (S. 173), etwa dann, wenn einem Ehepartner (oder beiden) die sinnvolle Entfaltung der Persönlichkeit in der Ehe und durch die Ehe unmöglich geworden ist.

Daher schlägt der Verfasser vor, das Eherecht in seinen die Auflösung betreffenden Teilen in einer dem (ohnedies zu oft strapazierten) Naturrecht entsprechenden Weise zu praktizieren:

• durch Ausgestaltung der Nichtigkeitsgründe bei sakramental geschlossenen Ehen (etwa des „Irrtums in der Person“),

• durch Vermeidung der Überschätzung des Geschlechtlichen in der Ehe, das isoliert-mechanisch interpretiert wird, wodurch es zu einer unglaublichen Ignorierung des Menschen als Geist und Person kommt (S. 185).

Der eherechtliche Juridtsmus in der Kirche hat diese vielfach unglaubwürdig gemacht, und zwar in den wenigsten Fällen pastoral angemessen. Jedenfalls ist ein apastoraler Rechtspositivismus zumindest in der Spruchpraxis kirchlicher Gerichte unverkennbar und steht im Widerspruch zu der sonst dem Positivismus abgeneigten Haltung der Theologie. Der Rechtspositivismus in Ehefragen, eine evangeliumsfremde Kasuistik, zeigt seine Ausformung in einer geradezu peinlichen Uberbetonung des Sexuellen. Das Menschliche am Menschen wird jedoch nicht durch das Animalische allein oder vordringlich ausgewiesen. Dazu kommt, daß viele Ehen in keiner Weise mehr als Symbol einer Einheit der Ehegatten mit Christus angesehen werden können. Trotzdem werden die Eheleute, die unter Umständen seit Jahren keine Bett-und Tischgemeinschaft mehr haben, als eine Einheit auf Lebensdauer deklariert.

Die wissenschaftlich fundierte und nicht allein mit dem Verstand, sondern vor allem aus dem Glauben heraus formulierte Arbeit von Professor Steininger sollte nicht Anlaß für eine leichtfertige apodiktische Erledigung durch Rechtsposltivisten sein. Wenn die Argumente von Steininger allein mit dem Hinweis auf den ohnedies wandelbaren Buchstaben des Gesetzes abgetan werden, ohne Rücksicht auf den letzten Zweck des Codex (der nicht um seiner selbst willen geschaffen worden ist), trifft der Vorwurf des Verfassers zu, kirchliche Richter hätten sich in einer bemerkenswerten Weise einem Rechtspositivismus in der Praxis verschrieben.

Anderseits wollte der Verfasser — das ist seine bekundete Absicht — seine Thesen lediglich präsentieren, um in einer der peinlichsten Fragen kirchlicher Rechtssprechung ein Gespräch zu provozieren; in erster Linie unter Christen.

.AUFLÖSBARKEIT UNAUFLÖSLICHER EHEN — OFFENE FRAGEN. Von Viktor Steininger. Verlag Styria Graz, gebunden 192 Seiten, S 138.—.

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