Zerrüttete Zweisamkeit

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Jede zweite Ehe geht in Österreich in die Brüche. Wie mit diesem menschlichen Scheitern umzugehen ist, bleibt vor allem für die Kirchen eine Herausforderung.

Wäre Franz Beckenbauer 1990 übers Wochenende nach Seattle gereist - was hätte man ihm dort prophezeit? Hätte man dem Frischvermählten und seiner zweiten Ehefrau Sibylle nach einer Verhaltensstudie im "Marital and Family Institute" tatsächlich die Scheidung vorausgesagt und - wie letzte Woche bekannt wurde - Recht behalten? Man weiß es nicht. John M. Gottman, vollmundiger Direktor des Instituts, hätte das Scheitern damals wohl nach fünfminütiger Beobachtung "mit 91-prozentiger Sicherheit" vorausgeahnt. Mit seinem Buch "Die 7 Geheimnisse der glücklichen Ehe" will er nun Ratsuchenden in aller Welt ein Beckenbauer-Schicksal ersparen.

20.582 Ehepaare hat es allein im Jahr 2001 in Österreich ereilt. In Wien endeten sogar 59 Prozent der Ehen vor dem Scheidungsgericht. Die Zahlen rüttelten die Öffentlichkeit auf. Experten machen seither wechselweise die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frau, die zunehmenden Individualisierungstendenzen in der Gesellschaft oder den Verlust an religiöser/kirchlicher Verwurzelung der Partner für die ehelichen Auflösungserscheinungen verantwortlich. Angesichts solcher Entwicklungen entpuppt sich das zarte Pflänzchen Liebe, das heute - anders als früher - die Basis der meisten Ehen bildet, tatsächlich als äußerst vergänglich.

Ehe als Gegenmodell

Tatsache ist, dass die Erwartungen an die Ehe in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen sind: Sie soll Heimat bieten - in einer Gesellschaft, die stets Mobilität predigt. Sie soll von Dauer sein - in Zeiten, wo Flexibilität unverzichtbar ist. Nicht für wenige wird das Glücken ihrer Beziehung und die Beständigkeit ihrer Liebe gleichsam zum Religionsersatz. Doch immerwährende Harmonie hat mit den Höhen und Tiefen einer partnerschaftlichen Ehe erfahrungsgemäß wenig gemein. Die Überhöhung der Ehe zieht freilich nicht nur die Gefahr des Scheiterns, sondern auch die Scheu vor dem Gang zum Traualtar nach sich. So wagten im Jahr 2001 nur knapp 34.000 Paare den Bund der Ehe - im Vergleich zum Vorjahr ein Minus von 12,9 Prozent.

Angesichts dieses Befundes sind die christlichen Kirchen in besonderer Weise herausgefordert - und beschreiten je nach Eheverständnis höchst unterschiedliche Wege. So sei in Zeiten zunehmender nichtehelicher Lebensgemeinschaften die "kirchliche Fixierung der Familie auf Einehe und Kleinfamilie traditionellen Zuschnitts" zu überdenken, forderte Michael Bünker, Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B., vor zwei Wochen in der Furche.

Anders die Marschrichtung des katholischen Familienbischofs Klaus Küng: Die hohe Zahl an Ehescheidungen dürfe nicht "wie ein Naturgesetz" hingenommen werden. Dagegen könne eine solide Ehevorbereitung "präventiv" wirken. Mitte Juli hat man zudem als Konsequenz des "Dialogs für Österreich" in einer "Orientierungshilfe" geschiedene und wiederverheiratete geschiedene Gläubige in den Blick gerückt. In der vom Familienbischof herausgegebenen Publikation wird die Verpflichtung der Hirten betont, um der "Liebe zur Wahrheit willen" die verschiedenen Situationen bei wiederverheirateten Geschiedenen "gut zu unterscheiden". Beim näheren Hinsehen werden Menschen, deren Ehe - aus welchen Gründen immer - gescheitert ist, und die eine zweite Liebe erfahren, in der katholischen Kirche allerdings wenig neue Perspektiven eröffnet. Die Unauflöslichkeit der Ehe sei "nicht zu relativieren", heißt es - und die von wiederverheirateten Geschiedenen geforderte "vollkommene Enthaltsamkeit" entsprechend pastoral zu begleiten. Diese Position der Amtskirche stößt bei vielen, in der Eheberatung engagierten Katholikinnen und Katholiken naturgemäß auf Unverständnis.

Ob dieser Zugang und der Verweis auf die Möglichkeit der Annullierung einer Ehe angetan sind, den wachsenden Nöten der Menschen zu begegnen, ist fraglich. Das ostkirchliche Modell, bei dem es bei grundsätzlicher Dauerhaftigkeit der Ehe nach einer Trauerarbeit auch spätere Segnungen geben kann, ermöglicht vermutlich ein ehrlicheres Umgehen mit der Schwachheit des Menschen und den gesellschaftlichen Gegebenheiten.

Eines bleibt jedenfalls unbestritten: Das "Geheimnis einer glücklichen Ehe" ist auch weiterhin nicht aus bunten Ratgebern zu erfahren.

doris.helmberger@furche.at

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