Joseph Ratzinger wechselt Position zum Ehestreit

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Benedikt XVI. hat in seinen "Gesammelten Werken" jenen Aufsatz revidiert, in dem er 1972 Sakramentenempfang für wiederverheiratete Geschiedene für möglich hielt.

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Benedikt XVI. hat in seinen "Gesammelten Werken" jenen Aufsatz revidiert, in dem er 1972 Sakramentenempfang für wiederverheiratete Geschiedene für möglich hielt.

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In der katholischen Kirche wird um das Sakrament der Ehe gestritten. Bedeutet ihre Unauflöslichkeit, Menschen, die nach Scheidung wieder heiraten, von Sakramenten ausschließen zu müssen? Die eine Schule fordert das auf Basis der Tradition unerbittlich; Zugang zu Sakramenten sei nur nach Annullierung der gescheiterten Ehe denkbar. Die andere Schule fordert aufgrund von Gottes Barmherzigkeit, den Zugang nach Reinigungsriten zu öffnen. Es wird gestritten unter Kardinälen, zwischen Theologen, auf der Bischofssynode.

1. Nun hat sich Joseph Ratzinger entschieden, mit dem 4. Band seiner Gesammelten Schriften Partei für die Traditionsschule zu ergreifen. Er hat einem Aufsatz "Zur Frage nach der Unauflöslichkeit der Ehe" ohne veränderte Begründung einen anderen Schluss gegeben, der konträr zur Erstveröffentlichung von 1972 steht. Plädierte der frühere für eine Öffnung des Zugangs nach pastoralen Maßnahmen, so redet der jetzige dem Zugang nur nach Annullierung das Wort. Es steht einem Theologen frei, Positionen in einem Streit zu ändern. Aber ein Papst tut so etwas nicht. Es gehört zu den ehernen Gesetzen dieses Amtes, sich um der Unfehlbarkeit willen in einen theologischen Streit zwischen Schulen nicht einzumischen. Päpste warten den Ausgang ab oder können mit Bischofsversammlungen (Konzil oder Synode) die Frage in einen weiteren Kontext stellen. Da die jüngste Bischofssynode eine solche Versammlung vorbereitete, bringt Joseph Ratzingers Entscheidung, einem Editionsplan Vorrang vor der kommenden Synode zu geben, mehr mit sich als eine persönlich-theologische Neubesinnung. Er hat sich zu einem römischen Altbischof weiterentwickelt; Altpapst ist er offenbar nicht mehr. Wir werden das, obwohl ungewohnt, künftig unterscheiden müssen. Benedikt XVI. hat damit, selbst wenn er wollte, die Autorität unfehlbarer Äußerungen nicht mehr. Die Umpositionierung zum Ehestreit ist rein theologisch zu qualifizieren.

Die Zeichen der Zeit (nicht) erkannt

2. Wenn eine unveränderte theologische Argumentation zwei konträre Schlüsse zulässt, dann muss man sie als unvollständig einschätzen. Das scheint mir in zweifacher Hinsicht der Fall. Ratzingers Aufsatz beruft sich auf "den Hauptbefund der Väterzeit", kirchenrechtliche Entwicklungen und das Trienter Konzil. Aber ein wichtiger Disput, der sog. Ketzertaufstreit, fehlt. Er wurde in der Mitte des 3. Jh. zwischen Bischof Cyprian von Karthago und Papst Stephan I. ausgefochten. Es ging um Christen, welche in Gruppen, die in Glaubensfragen abwichen, oder von Priestern, die bei Verfolgungen Kompromisse lebten, getauft waren und nun zur Kirche kommen wollten. Cyprian denunzierte das als Wassertaufe und verlangte sakramentale Neutaufe. Stephan widersprach, weil die eine Taufe von Gott kommt und nicht bloß von der Glaubensgemeinschaft. Die Betroffenen sollten nach einem Ritus aufgenommen werden, der keine erneute Taufe ist; denn Kirche ist nun einmal nicht Gott. Stephans Position setzte sich im Westen durch. Das ist im Streit um die Ehe einschlägig. Die Idee der Traditionsschule, allein die rechtliche Überführung einer einst sakramental aufgefassten Ehe ins Nichts erlaube weitere sakramentale Kirchengliedschaft, ist Cyprians Wassertaufenbehauptung analog. So argumentiert Ratzingers neuer Schluss: "Immer mehr gibt es heute getaufte Heiden, das heißt Menschen, die durch die Taufe zwar Christen geworden sind, aber nicht glauben und nie den Glauben kennengelernt haben. [...] Aber wie ist das, wenn ein ungläubiger Getaufter das Sakrament [der Ehe] überhaupt nicht kennt? Er kann vielleicht den Willen zur Unauflöslichkeit haben, aber das Neue des christlichen Glaubens sieht er nicht." Das ist der Taufe und den Getauften nicht angemessen; hier lauert die Gefahr einer Kirche als quasi mysterienreligiöser Eliteclub. Taufe wirkt aus sich selbst heraus; ihr Sakrament kommt von Gott, nicht aufgrund kirchlicher Einschätzungsmacht von Kenntnissen. Gott gibt die Gnade des Glaubens, wie es menschlich beschränkte Möglichkeiten fassen können. Wenn Ehen nach langem Ringen am Leben scheitern, dann ist es nicht angemessen, sie als Nicht-Ehen wegen mangelhaften Glaubens anzusehen. Menschen, die von Scheidung betroffen sind, heiraten oft wieder, um über ihr Scheitern hinauszukommen. Das ist ein Zeichen der Zeit. Das ist das zweite Desiderat in Ratzingers Aufsatz. Er war schon als Konzilsberater gegen die Konzilslehre, Kirche müsse die Zeichen der Zeit erforschen, um ihren eigenen Glauben im Licht des Evangeliums zu fassen. Das behielt er stets bei. Auch als Papst hat er Gaudium et spes, wo das Konzil diese Lehre festlegt, lehrmäßig nicht verwendet. Aber das Zeichen der Zeit, dass Menschen nach Scheidungen erneut heiraten und viele sich nach einem gütigen Gotteswort für die neue Verbindung sehnen, nachdem sie der ersten nicht mit ihrem Leben getraut haben, ist einschlägig. Will die Kirche solche Menschen sakramental in ihrem Leben halten, muss sie selbst andere Wege als bloß Annullierung gehen.

"Die Liebe hört niemals auf"

3. Das erfordert von ihr eine Umkehr, was aber die Ehelehre zu ihrer Herkunft in Jesu Botschaft zurückführt. Ehe ist unauflöslich; denn Menschen dürfen nicht trennen, was Gott verbunden hat, so Jesus (Mk 10,9). Das macht Ehe zum Sakrament; nicht einfach menschlicher Wille konstituiert sie, sondern die Liebe von Partnerin und Partner. Liebe hört zumindest sakramental auch dann nicht auf, wenn eine Ehe am Leben scheitert. Wo bleibt Gottes sakramentale Heilszusage in diesem Scheitern? Offenkundig ist, dass Ehen in großer Zahl scheitern - und Gott scheitert in heilvoller Solidarität mit ihnen. Das ist kirchlich verschämt, obwohl bereits Paulus sagt: "Die Liebe hört niemals auf"(1 Kor 13,8). Wahrscheinlich muss man sagen, dass Menschen letztlich gar nicht trennen können, was Gott verbunden hat. Gott dagegen kann es, ohne dass sein Heil in einer menschlich gescheiterten Liebe zu Nichts wird. In der Geschichte von Hagar, Abraham und Sara wird davon erzählt; auch Jesu Umgang mit der Sünderin im Tempel gibt Hinweise.

Es wird Zeit, dass die Kirche darüber nachdenkt, wo Gott trennt, was er zwischen Menschen verbunden hat, weil anders nur mehr Unheil in ihrem Leben herrscht. Wenn es gelingt, dafür Kriterien zu finden, dann täte Kirche all jenen einen Dienst, die um ihre Liebe ringen müssen. Die nächste Bischofssynode steht in diesem menschheitlichen Rahmen, wie das große Interesse an dem Streit zeigt. Man wird sehen, wie die Synode ihn austrägt. Das geht über den Streit der Theologen hinaus. Ob der Papst diesen weiter führen lässt, ob er eine synodale Entscheidung übernimmt oder eine eigene Entscheidung fällt, wird sich zeigen. Dieser Papst wird, so Gott will, Franziskus heißen.

Der Autor ist Professor für Dogmatik an der Universität Salzburg

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