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Der Club of Rome wird nüchtern

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Ein Gremium, das wie kaum ein anderes auf die geistige Situation unserer Zeit Einfluß genommen hat, trifft sich in dieser Woche in Berlin: der Club of Rome. Seine Studie „Grenzen des Wachstums” schlug 1972 wie eine Bombe in die nach Abschluß der Nachkriegs-Wiederauf- bauphase von zunehmenden Zweifeln geplagte internationale intellektuelle Landschaft ein. Sie führte vor allem bei linken Gruppierungen und Medien zu einer Ablösung des traditionellen Fortschrittsglaubens durch tiefen Zukunftspessimismus.

Es ist kaum zu erwarten, daß Berlin einen ähnlich fundamentalen Einschnitt bringen wird. Vieles wurde inzwischen relativiert, manches durch den Club selbst. Der zweite Bericht „Menschheit am Wendepunkt” unterschied bereits zwischen verschiedenen Wegen und empfahl organisches Wachstum.

Auch die Wissenschaftsgläubigkeit breiter Kreise wurde ganz allgemein durch eine Reihe von Fehlprognosen angeschlagen. Dennoch: Die globalen Herausforderungen der nächsten Dekade, von der Umwelt bis zur Energie, von der Rüstungsspirale bis zur Bevölkerungsentwicklung, stehen zur Diskussion.

Wenn der Club im Wendekreis seiner Emüchterungsphase voranschreitet, statt noch einmal in eine prophetische Euphorie unter Verwertung auch ungesicherter Annahmen zu verfallen, kann er in Berlin nützliche Arbeit leisten. Solide Analyse heißt das Gebot, und dies braucht zunächst wertfreie wissenschaftliche Arbeit.

Zwei wirkliche Verdienste’ verbucht der Club of Rome bereits für sich: Er hat spektakulär auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, in einem längerfristigen Rahmen nachzudenken, und er hat angeregt, dies im internationalen Verbund zu tun, weil bestimmte Entwicklungen nur durch entsprechende Kooperation unter Kontrolle zu bringen sind.

Experten aus der ganzen Welt, von Djakarta bis Washington, von Paris bis Neu-Delhi, werden sprechen. Auch ein Mitglied der sowjetischen Akademie will sich mit den Möglichkeiten globaler Zusammenarbeit be fassen. Das erscheint unter dem Stichwort „Einbindung” recht nützlich, denn erfahrungsgemäß haben die Empfehlungen des Club of Rome, wie zahllose andere internationale Resolutionen, gerne eine auf die westlichen Industrieländer herabhängende Schlagseite.

Gewiß, diese Staaten können mehr wirtschaftliche Kraft als die kommunistische und die Dritte Welt aktivieren, Initiativen zu ergreifen und Steuerungsinstrumente zu schaffen. Aber vorrangige Adressaten sind gerade auch die anderen: Wer sich nicht in Weltkooperation und Weltmärkte eingliedem will, wird aus ihnen kaum Vorteile ziehen können.

Diese Erkenntnis zu vermitteln, erscheint auch als eine wichtige Aufgabe für die Wissenschaftler in Berlin, wenn sie den Vorwurf der Einäugigkeit vermeiden wollen. Der Titel des Einführungsreferats von Präsident Aurelio Peccei „Menschheit, wohin?” erhält da Aktualität.

Schließlich hat sich der von 15 Gründern auf inzwischen 100 Einzelpersönlichkeiten gewachsene Club das nicht eben bescheidene Ziel gesetzt, auf Regierungen und internationale Organisationen im Sinne einer Weltfriedenspolitik Einfluß zu nehmen.

In den westlichen Industrieländern wurden entsprechende „associations” gebildet, die einige der Möglichkeiten besitzen, die man früher den Freimaurern zugeschrieben hat. Ein beachtliches Potential - doch nach den Sensationen des Anfangs hängt die Glaubwürdigkeit für die Zukunft wesentlich davon ab, wie weit mit gerechtem Maß gemessen wird.

Das Risiko erhöht sich dadurch, daß im Mittelpunkt der Berliner Tagung die Vorgänge der nächsten zehn Jahre stehen sollen. Bekanntlich ist für das Jahr 2100 gut prophezeien. Aber konkrete Veränderungen in Gesellschaft und Wirtschaft der Industriestaaten und Entwicklungsländer während der nächsten Jahre sind, will man über bloße Fortschreibung hinaus, noch schwer zu fassen.

Das Ausweichen auf modische Umweltparolen, Antikonzern schlagworte oder Appelle zur Rüstungsbeschränkung können sich allenfalls nicht wissenschaftsverdächtige Politiker leisten. Vom Club of Rome erwartet man mehr.

Immerhin gibt es Anzeichen dafür, daß man auch über Wege zur Erhö hung der Leistungskraft der modernen Gesellschaft reden will (vielleicht sogar mit dem Begriff individueller Pflichten) und sich Gedanken über den Abbau der Rohstoff- und Energieabhängigkeiten macht.

Einige Vorstudien unterscheiden sich wesentlich und hinsichtlich Objektivität und Brauchbarkeit vorteilhaft von Entwürfen, wie sie etwa bei den Vereinten Nationen lagern. Es wird sogar ausgesprochen, daß Entwicklungsländer nicht weniger Kapitalismus, sondern mehr Kapital brauchen, und zugleich die besorgte Frage geäußert, wie das Kapital aufgebracht werden kann, um die Grundbedürfnisse aller Menschen bis zum Jahre 2000 zu befriedigen.

Natürlich stehen auch die Mikroprozessoren auf dem Programm, vorerst in einer dramatisierten Sicht, die ziemlich pauschal von ebenso enormen wie weltweiten arbeitsplatzvernichtenden Wirkungen ausgeht.

Ob zym Beispiel dadurch die Entwicklungsländer ihre wichtigsten komparativen Kostenvorteile verlieren, erscheint fraglich. Eher ‘schon kann man an das Entstehen einer „pathologischen Gesellschaft” glauben, allerdings mehr im Zusammenhang mit dem geistigen Klima der Überstrapazierung von Forderungen und Rechten und der Verächtlichmachung von Pflichten als auf Grund irgendwelcher zwanghaften arbeitstechnischen Abläufe.

Computergestützte Planungsverfahren, die immer wieder empfohlen werden, sind sicher nicht das Allheilmittel für die Zukunft. Besser kann das ebenfalls geforderte innovatorische Lernen helfen, wenn es nicht im Sinne neudeutscher Bildungsquantitäten mißverstanden wird.

Der Gag, daß bis zum Jahre 2000 nur noch 5000 Arbeitstage zu nutzen sind, gibt Denkhilfen. Sie gelten für die Angesprochenen, aber auch für die elitäre Minderheit des Club of Rome.

(Der Autor ist Chefredakteur der deutschen Wochenzeitung Rheinischer Merkur”, der dieser Kommentar entnommen ist.)

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