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Geld ist nicht die Währung der Natur

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An der Ökologischen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird zwar intensiv gearbeitet, doch fehlt es vorerst sowohl an ungeschönten Daten als auch an deren Vergleichbarkeit.

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An der Ökologischen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung wird zwar intensiv gearbeitet, doch fehlt es vorerst sowohl an ungeschönten Daten als auch an deren Vergleichbarkeit.

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Seit Jahrzehnten warnen Ökologen vor der Plünderung unseres größten Kapitals, der Umwelt, durch die Konsumgesellschaft. Während Politiker noch immer eifrig die alte Rechnung „mehr Wirtschaftswachstum ist gleich mehr Lebensqualität" verkünden, regen sich auch bei Wirtschaftsexperten die Zweifel. Angesichts von Ozonloch und Bodenvergiftung, sterbenden Wäldern, Großstadtsmog und drohender Ressourcenknappheit soll nun die Volkswirtschaftliche Gesamt-rechnung international um ein „Umweltsatellitensystem" bereichert werden. Umweltschäden und die daraus entstehenden Folgekosten, aber auch Schadstoffverminderungen oder Ressourceneinsparungen sollen monetär bewertet und somit als Wirtschaftsfaktor in die Gesamtrechnung integriert werden.

Dieses Projekt beschäftigt unter dem Titel „Ökologische Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung" seit'88 Ökologen, Ökonomen und Statistiker auch in Österreich intensiv. Gilt es doch, Datenmaterial zu sammeln und zu bewerten, das entweder gar nicht erhoben, geheimgehalten oder von Betrieben und Behörden nur unvollständig zur Verfügung gestellt wird.

Das Österreichische Statistische Zentralamt ist dabei eine der Schaltstellen. Alfred Franz, Leiter der Abteilung „Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung", dämpft aber den Optimismus der Politiker, die „eine griffige Zahl, ähnlich dem Bruttonatio-nalprodukt" haben wollen. „Die Statistiker", meint er, „können ein Informationssystem entwickeln, mit dem bessere Analysen der Umweltsituation möglich werden. Eine Zahl, an der die Umweltschäden eindeutig ablesbar sind, ist seriös von der Statistik nicht zu erstellen."

Die größte Schwierigkeit liegt darin, überhaupt an vergleichbare Daten von vergleichbarer Qualität heranzukommen. Während Daten- von Umweltschutzmaßnahmen in Betrieben oder im kommunalen Bereich zunehmend vorliegen, sind die Statistiker im großen Bereich der umweltschädigenden Auswirkungen von Produktionen auf Schätzungen angewiesen. Fragen, wie „Wer definiert einen Umweltstandard?", „Wie können Eingriffe in ökologische Systeme beziffert werden?" oder „Welche technologischen Möglichkeiten sind zu welchen Preisen zur Umweltsanierung bereits entwickelt worden?" greifen tief in die gesellschaftlichen und politischen Bewertungssysteme ein.

Da Umweltschädigungen jenseits von Märkten geschehen, sind sie schwer quantifizierbar, deshalb müsse, so Franz, „ein gesetzliches Rahmenwerk, das Betriebe dazu verpflichtet, Umweltdaten zu erheben und zur Verfügung zu stellen, am Anfang einer ökologischen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung stehen." Mit der Übernahme des EG-Rechnungs-legungsgesetzes sei aber in Österreich eine Jahrhundertchance vergeben worden. Es beinhaltet zwar eine separate Berichtspflicht über die allgemeine Lage des Unternehmens", aber der Begriff Umwelt ist nicht zu finden. Und solange Umwelt-Transparenz nicht für jeden einzelnen Wirtschaftstreibenden verpflichtend sei, bleibe eine monetäre Bewertung „Spiegelfechterei".

Auch die am Projekt Ökologische Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Umweltministeriums arbeitenden Ökologen teilen diese Sorge. Mit ganz anderer Grundlagenforschung zu diesem Projekt sind das Ökologie-Institut und das Interuniversitäre Forschungsinstitut beauftragt. Hier wird vorhandenes Umweltdatenmaterial erfaßt und auf seine Vergleichbarkeit und Aussagemöglichkeiten hin untersucht, da man befürchten muß, „daß ohne genaue Zuordnung und Bewertung vorhandener Umweltdaten eine monetäre Bewertung vorgenommen wird, die wiederum mehr ökonomisch als ökologisch ausgerichtet ist", meint Projekt-Teilnehmer Harald Payer.

Auch dieses Team ortet viele weiße Flecken im Bereich der Umweltdaten. So werden Staubemissionen aus Verbrennungsvorgängen erfaßt, doch aus der Landwirtschaft, dem Bergbau oder der Keramikindustrie gibt es keine Daten über Staubbelastungen, obwohl sie mehr als die Hälfte derGesamt-belastung ausmachen.

Andererseits geben manche Betriebe -etwa die Papierindustrie - heute bereits Umweltberichte heraus die allerdings vor allem Umweltschutzmaßnahmen beziffern. Nicht enthalten ist darin meist der „Verbrauch" an natürlichen Ressourcen. „Ein völlig unterschätztes Problem", so Payer, „ist für Klein- und Mittelbetriebe der Einbau von Meßtechnik, der wahrscheinlich in ab-sehbarerZeit nicht zumutbar sein wird. Da wird man sich also in weiten Bereichen weiterhin mit Schätzungen behelfen müssen."

Neben der Datenbewertung beschäftigen sich die Fachleute auch mit der Ausarbeitung von Umweltindikatoren, sie stoßen dabei auf die Schwierigkeit, daß Ressourcen in Preisen und nicht in Mengenangaben in den Bilanzen entscheiden. Relativ klar sind lediglich Emissionen zu erfassen, viel schwieriger wird die Bewertung von gezielten Eingriffen in Lebensbereichen, die sich im Dienste der Wirtschaft ereignen.

So müßten beim Bau eines Wasserkraftwerks auch die Flurschäden berechnet werden, beim Bau einer Autobahn die Folgewirkungen der Abgasbelastung in Luft, Wasser und Boden. Es zeigt sich, daß es äußerst schwierig wird, saubere Luft und sauberes Wasser quantitativ darzustellen. „Genau hier ergeben sich", so Payer, „die Kommunikationsschwierigkeiten mit den Ökonomen, da jeder in seiner eigenen Systemsprache gefangen ist." Es sei aber enorm wichtig, jetzt fundierte ökologische Daten zu erarbeiten, da ansonsten ein Umweltsatellitensystem zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung installiert wird, das mit verzerrten Daten schlechte Ergebnisse liefert und vor allem diese Daten danr sehr schwer zu hinterfragen sind." Payer ist sicher, daß „ein solches

System auch international keinesfalls unterschätzt werden darf." Es werden bereits Fragebögen zur Umweltberichterstattung ausgearbeitet, an denen vor allem Drittweltländer heftige Kritik üben. Nicht nur, daß ihre statistischen Systeme kaum oder schlecht ausgebaut sind, fürchten sie zurecht, daß auch für sie ein Fragen- und Bewertungsraster verbindlich werden könnte, der mit ihren wahren Problemen nichts zu tun hat. Paul Blau, seit vielen Jahren mit der

Problematik vertraut, kritisiert die moderne Nationalökonomie grundsätzlich als „Rechtfertigungswissenschaft des Kapitalismus", die von einem völlig reduzierten Menschenbild ausgehe. Die Sicht des Menschen als Produzent und Konsument und die daraus folgende Realpol itik gehen von der irrealen Voraussetzung aus, „daß die Natur weiterhin grenzenlos ausgebeutet werden kann." Die aktuelle Frage für Ökonomen und Politiker müßte aber lauten: Wie können wir wirtschaften, ohne die Grundlagen der lebenserhaftenden Systeme auf dem Planeten zu zerstören? Daraus ergäben sich automatisch völlig neue Kostenrelationen. Nicht erneuerbare Ressourcen sind damit praktisch unbezahlbar, menschliche Arbeit müßte steuerlich entlastet werden. Paul Blau hofft auf die aufgeklärte Öffentlichkeit, die es verantwortungsbewußten Politikern ermöglicht, unpopuläre Maßnahmen zu setzen. „Wenn man den Menschen sagt, daß der Bau einer Autobahn sechzehnmal mehr Boden verbraucht - ganz abgesehen von allen Folgeschäden an der Natur durch Abgase - als der Bahnausbau, werde „schnell klar, daß bei den geringen Eroberungsmöglichkeiten Österreichs irgendwann der Plafond erreicht ist."

Eine ökologische Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung könne ein Beitrag zu sorgsamerem Umgang mit der Umwelt sein, allerdings sei es gefährlich, „die Natur wiederum nur als Natur-Kapital zu bewerten, und alle nichtbewertbaren Kriterien auszuklammern. Geld ist nicht die Währung der Natur, und allen ökonomischen Aktivitäten müßte in Zukunft wieder ein moralisches Prinzip zugrundeliegen."

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