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Digital In Arbeit

Eine undifferenzierte Wachstumsverteufelung

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Für anfechtbar dank Übereifer hält der Publizist Horst Knapp die Thesen von Hellmut Butterweck.

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Für anfechtbar dank Übereifer hält der Publizist Horst Knapp die Thesen von Hellmut Butterweck.

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Hellmut Butterweck hat - das merkt man - sein Opus ma-gnum mit Herzblut geschrieben. Es mit Tinte zu schreiben, wäre seinen beiden zentralen Anliegen -das Wirtschaftswachstum, weil unweigerlich auf eine ökologische Katastrophe zusteuernd, möglichst bald zum Stillstand zu bringen und der wachsenden Arbeitslosigkeit Herr zu werden - besser bekommen: In seinem heiligen, aber eben deshalb zugleich blinden Eifer gibt sich der Autor Blößen, die seinem blitzgescheiten und sorgfältige Recherche beweisenden Buch Kritik eintragen werden, die sich unschwer hätte vermeiden lassen.

Ein, zwei potentielle Angriffspunkte könnten sich vielleicht noch beseitigen lassen, ehe das Buch endgültig in Druck geht. Ein Beispiel hiefür wäre die fast durchgängige Bezeichnung der neoklassischen Ökonomie als „neoliberal”, was groteskerweise die Anhänger beider Denkschulen als Beleidigung empfinden müssen: Die neoliberalen Schöpfer der Sozialen Marktwirtschaft (Eucken, Röpke, Erhard und so weiter) würden im Grabe rotieren, müßten sie wirklich geradestehen für den Rückfall in den „Paläo-liberalismus” eines Friedrich von Hayek, Milton Friedman oder Vaclav Klaus; ihrerseits würden sich diese als Vertreter einer „Marktwirtschaft ohne Adjektive” die Verwechslung mit den neoliberalen Befürwortern eines starken Staates mit ausgeprägtem sozialen Gewissen energisch verbitten ...

Andere potentielle Angriffspunke sind nicht so leicht auszumerzen, weil sie zwar entbehrliche, aber essentielle Bestandteile des „dooms-day”-Szenarios sind, das in den ersten acht Kapiteln entwickelt wird, und zwar - angesichts der Zielsetzung der ganzen Abhandlung nur konsequent - mit einem deutlich pessimistischen „bias” bei der Fakten- und Datenauswahl.

Ein „bias”, der beispielsweise darin zum Ausdruck kommt, daß zwar mit vollem Recht immer wieder auf die fast permanent steigende Zahl der Arbeitslosen hingewiesen, aber nirgends erwähnt wird, daß zugleich die Zahl der Beschäftigten fast permanent steigt: Von 1975 bis 1992 sind in den OECD-Ländern 14,9 Millionen Arbeitslose hinzugekommen, zugleich aber auch 59,3 Millionen unselbständig Beschäftigte. Daher schießen Formulierungen wie „Schwund der Arbeit” (Seite 153) übers Ziel und kann sich in der Behauptung: „Die Hoffnung auf genug neue Arbeit gehört unter den herrschenden Rahmenbedingungen ins Reich der Metaphysik” das Wort „genug” nur auf ein weiterhin wachsendes Arbeitskräftepotential beziehen. Eine weniger einseitige Darstellung der Arbeitsmarktentwicklung hätte an der Bedenklich-keit des Faktums, daß in den OECD-Ländern ebensoviele Menschen arbeitslos sind wie am Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise, ebensowenig geändert wie an der Unverständlich keit des achselzuckenden Hinnehmens einer solchen Massenarbeitslosigkeit. Wohl aber hätte die Einsicht, daß das Arbeitskräfteangebot in den Industriestaaten noch anderthalb bis zwei Jahrzehnte lang (und in den Entwicklungsländern fast unabsehbar lang) weiterwachsen wird, den Autor wohl gezwungen, seine undifferenzierte W achstumsverteufelung zu relativieren.

Undifferenziert auch insofern, als ständig von einem „exponentiellen” Wachstum die Rede ist, ohne daß auf die ganz entscheidende Bedeutung des Aufzinsungsfaktors eingegangen wird, der sich im Zeitvergleich aus jeder 'Veränderung einer Bestandsgröße errechnen läßt. So gesehen ist beispielsweise die Weltbevölkerung von Anbeginn an einem exponentiellen Wachstum unterlegen, aber es macht einen gewaltigen Unterschied, ob von 20.000 v. Chr. (0,5 Millionen) bis 1650 n. Chr. (500 Millionen) die jährliche Wachstumsrate nur 0,03 Prozent betragen hatte oder ob sie 1960/70 bei 2,0 Prozent p. a. kulminierte (und bis 2000/2005 bestenfalls auf 0,9 Prozent p. a. zurückgehen wird).

Nur mit der Bedingungslosigkeit der Verurteilung jeglichen Wachstums zu erklären ist auch die undifferenzierte Formulierung (Seite 53) „mit den Steigerungsraten der letzten Jahrzehnte”, denn vor ziemlich genau 20 Jahren ist bei diesen Steigerungsraten ein entscheidender Knick eingetreten, dem die Industriestaaten viele ihrer heutigen Zo-res - von der steigenden Arbeitslosigkeit bis zu chronischen Budgetproblemen - zu verdanken haben, der jedoch für Ökologiebewußte ein Hoffnungsschimmer sein sollte: Das Tempo des Wirtschaftswachstums hat sich in fast allen Industriestaaten (nicht in der Dritten Welt!) mehr als halbiert, beispielsweise in Österreich von 1950/74: 4,96 Prozent p. a. auf 1974/94: 2,26 Prozent.

Auch das mag noch über der Rate des „sustainable growth” sein, mit der die Bretton-Woods-Institutionen neuerdings operieren, und dies trotz dem Faktum, daß dank dem zunehmenden Anteil der Dienstleistungen an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung der Energie-, Bohstoff-und Umwelt-Verbrauch unterproportional wächst.

Diese partielle Entkoppelung wird zwar berücksichtigt, aber trotzdem ist (Seite 55) die Formulierung: „Wenn jede Generation soviel verbraucht wie alle vorangegangenen Generationen zusammen ...” schlicht und einfach falsch, weil der Verbrauch innerhalb einer Periode - hier 35 Jahre - selbstverständlich nur als Summe einer geometrischen Reihe ermittelt werden kann. Das korrekt' errechnete Ergebnis - bei einem zweiprozentigen Anstieg innerhalb von bloß 35 Jahren ein Fünftel des Gesamtverbrauches seit Christi Geburt, wenn der bisherige Anstieg 0,4 Prozent p. a. betragen hat, oder ein Zehntel des Gesamtverbrauches seit 20.000 v. Chr. unter der Annahme einer Steigerungsrate von knapp 0,2 Prozent p. a. - ist noch immer bedenklich genug. Warum also einem Gag zuliebe der übelwollenden Kritik einen weiteren Ansatzpunkt liefern?

An übelwollender Kritik wird trotzdem kein Mangel herrschen. Hoffentlich aber auch nicht an wohlwollender Kritik, denn eine solche verdienen die Auswege, um die sich Hellmut Butterweck im letzten Drittel seines Buches bemüht - Auswege, die auch dann diskussionswürdig sind, wenn sich die Wirtschaftspolitik, weil sich Nullsummenspiele gegen den Widerstand der Betroffenen - Slogan nicht nur in Budgetverhandlungen: „Wenn man dir gibt, dann nimm; wenn man dir nimmt, dann schrei!” - kaum durchsetzen lassen, anstelle des von Butterweck propagierten schleunigen Wachstumsverzichtes bloß zum Ziel setzt, für eine säkulare Wachstums-verlangsamung eine ähnlich große Akzeptanz der Bevölkerung zu erreichen wie vor zwanzig Jahren für den endgültigen Abschied von einem historisch völlig atypischen Rekordwachstum in Generationslänge. Der Autor ist Herausgeber der Finanznachrichten.

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