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Von totaler Umsorgung zur Eigeninitiative

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„Aufgabe der Regierung wird es sein, entlang der toten Grenzen einen breiten Gürtel des Wohlstandes zu schaffen!“ versprach Bruno Kreisky 1970 bei seinem Amtsantritt. Heute sind die Regionen Krisengebiete - und neue kamen dazu. Was wurde aus den Plänen?

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„Aufgabe der Regierung wird es sein, entlang der toten Grenzen einen breiten Gürtel des Wohlstandes zu schaffen!“ versprach Bruno Kreisky 1970 bei seinem Amtsantritt. Heute sind die Regionen Krisengebiete - und neue kamen dazu. Was wurde aus den Plänen?

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Eines steht fest: Sechzehn Jahre, nachdem Kreisky mit dieser programmatischen Erklärung angetreten war, um ein „neues, modernes Österreich“ zu schaffen, ist der Wohlstand nicht über die toten Grenzen hereingebrochen.

Im Gegenteil, sie blieben weiterhin hinter der allgemeinen Entwicklung zurück; müssen heute sogar den Gürtel enger schnallen. Sie sind nach wie vor jene Gebiete, die von der systematischen Entleerung durch Abwanderung bedroht sind. Es dominiert eine Agrarstruktur, qualifizierte Fachkräfte sind oft schon so dezimiert, daß auch ein Betrieb, trotz des niedrigen Lohnniveaus, da nicht ansiedeln würde. Meist lassen auch die Verkehrsverbindungen in die Ballungsräume noch zu wünschen übrig, und die Tendenz, daß diese Gebiete flächenmäßig noch mehr werden, ist heute sogar steigend.

Es scheint, als kommen sie einfach nicht heraus aus diesem Teufelskreis aus Abwanderung, wirtschaftlicher Schwächung, noch mehr Abwanderung und langsames Dahinsterben. Wer bleibt, hat Probleme, einen Arbeitsplatz zu finden. Zweistellige Arbeitslosenraten sind keine Seltenheit (siehe auch Tabelle).

Um dieser Entwicklung einer Zweiteilung in Wohlstands- und Problemregionen entgegenzusteuern, wurde nach der Regierungserklärung von 1971 im Zuge detaillierter Ausführungen einer zukünftigen Regionalpolitik die österreichische Raumordnungskonferenz (ÖROK) installiert.

Da der Bund in Sachen Raumordnung keine Kompetenzen hat, sollte diese Plattform mit den Vertretern des Bundes, der Länder, Gemeinden und Interessenvertretern gemeinsam Problemlösungen finden. Ähnlich wie die Paritätische Kommission gründet sie sich nicht auf Gesetz, sondern nur auf freiwillige Vereinbarungen.

Die ÖROK formulierte 1981 ein Raumordnungskonzept, das folgende Problemgebiete definiert (siehe Graphik):

• entwicklungsschwache Gebiete.

• strukturschwache (Industrie-Gebiete und

• erneuerungsbedürftige städtische Gebiete, die aber hier nicht behandelt werden sollen.

Im Rampenlicht der Medien stehen meist die strukturschwachen Regionen mit Betrieben in einer industriellen Strukturkrise. Sie haben den Wandel — unter politischer Mitschuld — verschlafen und fordern lautstark Hilfe von außen.'

Diese von der ÖROK einstimmig festgelegten Grenzen von Problemzonen sind nicht starr. Je nach politischer Stärke und organisierten Interessen verkauft jede Region heute ihre wirtschaftlichen Probleme unter Wehgeschrei und erklärt sich zur Krisenregion, weil diese Etikettierung noch immer den Fluß von Förderungsmitteln bedeutet.

Zwischen dem Bund und vier Bundesländern (Nö, Oö, Wien und Kärnten) gibt es sogar eigene Staatsverträge, mit denen die Länder die Wichtigkeit ihrer Probleme demonstrieren und festhalten wollen.

Zwar lassen sich bei der Förderungspolitik seit den siebziger Jahren einige Phasen und Prioritätsverschiebungen herauslesen, aber im Prinzip wurde im Raumordnungskonzept von 1981 bekräftigt, was ohnehin schon seit Jahren praktiziert wurde.

So heißt es da: „... die Lebensbedingungen sind zu bessern und zu sichern, wobei die Herstellung von möglichst gleichen und ausgewogenen Lebensbedingungen in ganz Österreich anzustreben ist.“

Entsprechend diesem egalitä-

ren Ansatz ging es bei den Förderungen all die Jahre vor allem darum, gewachsene Strukturen beizubehalten, sie sogar unter allen Umständen zu konservieren.

Gefördert wurden viele Projekte, vom Naturpark bis zum Kleinkraftwerk. Der Geldsegen floß reichlich, die Erwartungen an Politiker als Krisenfeuerwehr stiegen mit den Jahren.

Heute ist das Ausmaß an finanzieller Unterstützung in Österreich kaum mehr überbietbar und zu einer langen Liste angewachsen. Diese Umsorgungsmentalität der siebziger Jahre fand ihren ersten massiven Ausfluß in einem Projekt in der steirischen Region Aichfeld-Murboden (siehe Seite 14), wo mit enormer finanzieller Unterstützung gleich eine ganze

Musterregion aus dem Boden gestampft werden sollte.

Als sich die gewünschten Entwicklungsimpulse durch die An-siedlung von in- und ausländischen Betrieben nicht zeigten, der Arbeitsmarkt nicht stabilisiert werden konnte, die gravierende Bevölkerungsabnahme nicht gestoppt werden konnte, verschob sich auch das Schwergewicht der Problembetrachtung seitens der ÖROK.

Seit 1983 arbeitet man an neuen gangbaren Wegen, und einer davon ist das Programm der „endogenen Erneuerung“.

Zwar stehen nach wie vor der Niveauausgleich, das Halten von Standorten und Betriebsansiedlung durch massive Förderungen im Vordergrund, aber die Bevölkerung in den Krisenregionen muß auch initiativ werden, heißt es jetzt.

Regionalpolitik ist natürlich nach dem Raumordnungskonzept Umverteilungspolitik, und wenn die Geldmittel knapper werden, kann auch über Problemzonen nicht mehr das Füllhorn so großzügig geleert werden. Hilfe zur Selbsthilfe ist schon aus diesem Grund gefragt, was nicht heißen soll, daß diese neue Teilstrategie nicht gut wäre für die Betroffenen. Denn in manchen Regionen, wie zum Beispiel in der Steiermark oder in Oberösterreich, herrsehte j ahrzehntelang die Meinung, Arbeitsplätze sind garantiert, noch dazu vor der Haustür und in Erbpacht.

Zeichen für positive Experimente in die Gegenrichtung gibt es bereits (Seite 15).

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