Finnen-Land stirbt nicht

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In Finnland kämpfen engagierte Menschen gegen die Abwanderung aus ländlichen Regionen.

Überall in Europa haben ländliche Regionen mit Abwanderung zu kämpfen. Finnland hat den Spieß umgedreht. Dank engagierter Menschen, die nicht vergeblich auf die Hilfe von Institutionen warten wollten. "Wir hatten keine andere Wahl, als das Schicksal der Dörfer in unsere eigenen Hände zu nehmen", sagt Tapio Mattlar, Alternativ-Nobelpreisträger von 1992. Seit Anfang der 1960er Jahre waren die Landbewohner in Finnland - wie überall in Europa - in die Städte gezogen, hatten mehr und mehr Bauern ihr Land aufgegeben, Geschäfte zugesperrt und war die Infrastruktur fernab der Städte zusehends schlechter geworden. Die ganze Abwärtsentwicklung sei von den lokalen Behörden noch zusätzlich verschlimmert worden, die den immer spärlicher werdenden Geldfluss in die Dörfer damit begründeten, dass sich hier Investitionen nicht mehr lohnen würden, beklagt Mattlar.

So gründeten überall in solcherart vernachlässigten Regionen lebende Finnen Ausschüsse - so genannte Dorfkomitees. "Ende der 70er Jahre wurden die ersten gegründet, 1980 und 1981 kam der große Durchbruch. Innerhalb von zwei Jahren entstanden über 3000 Dorfkomitees, inzwischen sind es 3900 in den insgesamt rund 4000 Dörfern Finnlands. Man kann also sagen, dass jetzt jedes Dorf ein solches Komitee hat", erklärt Mattlar, der zu einem der zentralen Figuren dieser kraftvollen Bewegung wurde.

Gemeinsam geht's

Menschen setzten sich zusammen und berieten, mit welchen Projekten sie wieder Leben aufs Land bringen könnten. Sie tätigten zum Teil beträchtliche Investitionen aus eigener Tasche und leisteten jede Menge freiwilliger Arbeitsstunden: "Zum Beispiel errichteten wir in meinem Dorf als erstes großes Projekt ein Miethaus für vier Familien", erzählt der Musiker. So sollte Stadtmenschen die Gelegenheit gegeben werden, das Landleben auszuprobieren, anstatt nur die Wahl zu haben, ein Haus zu kaufen beziehungsweise selbst zu bauen oder in der Stadt zu bleiben. Das Vorhaben ging auf, denn so mancher Familie gefiel es so gut, dass sie blieb. Als nächstes wurde ein Skilift gebaut: "Wir schufen so Arbeitsplätze und lockten Touristen an. Wir gründeten ein Unternehmen, das dieses Skigebiet errichtete und es auch betreibt; wir machten das ohne die Hilfe von außerhalb und es funktionierte." Zwar haben auch in Finnland viele Vollerwerbslandwirte im Laufe der Jahre aufgeben müssen, was aber zugenommen hat, ist die Zahl der Nebenerwerbsbauern - Mattlar ist einer von ihnen. Für ihn ist es wichtig zu betonen, dass Technologien wie Handy oder Internet den Menschen am Land neue Möglichkeiten eröffnet haben: "Das Wichtigste ist, dass wir bewiesen haben, dass es nicht altmodisch ist, in einem Dorf zu leben." Dank der Erfindung des Internets ist es für Berufstätige immer öfter möglich, von daheim aus für eine oft weit entfernte Firma zu arbeiten.

"Das Denken ändern"

Was Mattlar Menschen in Österreich raten würde, die in Dörfern mit großer Abwanderung wohnen? "Sie müssen nur ihre Art zu denken ändern. Sie müssen sich klar darüber werden, dass sie es selbst in die Hand nehmen müssen, wenn sich ihre Dörfer positiv entwickeln sollen. Der einzige Weg ist, sich zu treffen und zu beginnen, mit den eigenen Händen für die Zukunft zu arbeiten. Sie können ein Dorfkomitee gründen und darüber nachdenken, was das Dorf am dringendsten braucht und welches große Projekt man diesbezüglich starten will. Es reicht, wenn 20 Personen begierig darauf sind, etwas zu tun und andere motivieren mitzuhelfen, wenn eine Arbeit gemacht werden muss, die viele Helfer braucht."

Die Schließung von Postämtern, die Stilllegung von Nebenbahnen, das Greißler-und das Bauernsterben sind in Österreich akute oder teilweise schon seit Jahrzehnten sichtbare Zeichen der fortlaufenden Ausdünnung des ländlichen Raumes. Doch auch hierzulande gibt es - wenn auch nicht in der Intensität wie in Finnland - zahlreiche Gegeninitiativen. Beispielgebend sind Bauern, die in Kooperation Hackschnitzelheizungen zur Wärmeversorgung von Siedlungen oder kleinen Ortschaften errichteten und so ihr Holz nutzbringend verwerten können. Dadurch wurden Arbeitsplätze gesichert und die Wertschöpfung in der Region erhöht.

Holz schafft Arbeitsplätze

Parallel mit dem Bedürfnis, vermehrt auf den nachhaltigen, heimischen Energieträger Holz zu setzen, entstanden in den 1980er und 1990er Jahren auch zahlreiche Unternehmen zur Herstellung von Biomasseheizkesseln wie Fröling, Hargassner oder KWB. Sie haben nicht nur technologisch neue Maßstäbe bei Hackschnitzel-und Pelletsfeuerungen gesetzt, sondern zusammen auch einige tausend Arbeitsplätze im ländlichen Raum geschaffen: "Im Gegensatz zu den Öl-und Gaskesselherstellern, die im Wesentlichen die Produkte aus dem Ausland zukaufen, werden die Holzkessel in Österreich produziert. Unser Unternehmen hat zum Beispiel eine inländische Wertschöpfung von 85 Prozent", erklärt stellvertretend für die Branche Erwin Stubenschrott, Geschäftsführer des im oststeirischen St. Margarethen an der Raab beheimateten Holzkesselherstellers KWB.

Eine der erfolgreichsten und bekanntesten Initiativen zur Dorferneuerung entstand in der oberösterreichischen Gemeinde Steinbach an der Steyr. Als 1967 die hier ansässige Messerfabrik, die Pils-Werndl-Werke, in Konkurs ging, setzte sich eine Abwärtsspirale mit der Abwanderung weiterer lokaler Betriebe, der Schließung zahlreicher Geschäfte und einer Abwanderung der Bevölkerung in Gang. 1986 gab es noch 27 Handels-und Gewerbebetriebe bei 1800 Einwohnern. Das Blatt wendete sich, als sich Mitte der 1980er Jahre alle Fraktionen des Gemeinderates unter dem frisch gewählten Bürgermeister Karl Sieghartsleitner einigten, eine "neue politische Kultur" an die Stelle parteipolitisch begründeter Auseinandersetzungen zu etablieren. Ein Leitbild, eine Analyse der herrschenden (tristen) Situation, sowie ein Entwicklungskonzept wurden verfasst und so ein von der Bevölkerung getragener Dorfentwicklungsprozess in Gang gebracht. Unter anderem konnte wieder ein Greißler in den Ort geholt werden, wurde der Ortsplatz neu gestaltet, schafften Bauern mit dem "Steinbacher Dörrobst" und den "Steinbacher Fruchtsäften" zwei in der Region sehr erfolgreiche Marken und es wurden auch die Werkshallen der Messerfabrik teilweise als zeitgemäße Produktionshallen ausgestattet, in der sich bereits eine Firma mit 40 Mitarbeitern ansiedelte. Das "Steinbacher Modell", mit dem die Einwohnerzahl auf 2050 erhöht und die Zahl der Gewerbebetriebe auf 55 verdoppelt werden konnte, lockt inzwischen jährlich tausende Interessierte an den Ort an der Steyr.

Höhere Lebensqualität

Inzwischen ist die Dorferneuerung auch in fast allen Bundesländern Teil der Landespolitik. Eines der aktivsten Bundesländer ist Niederösterreich, das die Dorferneuerung 1985 als Programm ins Leben rief und mit einem Budget von drei Millionen Euro pro Jahr örtliche Initiativen unterstützt. Ob die Renovierung des leer stehenden Gasthauses oder der Ausbau eines Löschteiches in einen öffentlichen Badeteich: "Für die örtliche Bevölkerung ist die Dorferneuerung ein Instrument, um die Lebensqualität zu erhöhen", erklärt Bernhard Haas, Leiter der niederösterreichischen Landesgeschäftsstelle für Dorferneuerung.

Der Autor ist freier Journalist.

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