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Zentralismus ade!

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Für mich als Bauer ist Dorferneuerung eigentlich eine Sache, die immer schon passieren hätte müssen. Es beschämt mich ein bißchen, daß die Bauern das nicht selber erfunden haben.

Die Bevölkerung am Land sieht den Konkurrenzvorteil der Stadt als eigenen Nachteil. Sie zahlen den Preis für die Entwicklung der Städte. Wir Dorfbewohner haben

uns das sehr lange gefallen lassen. Wir lassen uns vielleicht überhaupt viel zuviel gefallen:

• Man hat Bürgermeister abgeschafft, dafür haben wir „Orts^ Vorsteher“ bekommen.

• Man hat Schulen zugesperrt, dafür wurde ein Kleinbus für die Kinder angeschafft.

• Milliarden werden in ein Spitalsmonster hineingepumpt, am

Land wird die ärztliche Versorgung aber immer schlechter — zumindest im Stadt-Land-Vergleich. Es gibt immer mehr Warteärzte und immer weniger Hausärzte.

• Mit unseren Steuern wird die Infrastruktur der Supermärkte bezahlt. Supermärkte brauchen Straßen, sind Verkehrserreger, verursachen Verpackungsmittelmüll, verbrauchen Landschaft — aber die Greißler am Dorf gehen ungeschützt zugrunde.

Die Bauern lassen sich Rahmenbedingungen gefallen, die die Landwirtschaft zu einer fragwür-

digen Angelegenheit machen. Viele von uns haben jeden Respekt vor der uns anvertrauten Natur verloren.

Auch Bauern versauen das Grundwasser — nicht nur angeblich —, dezimieren die Artenvielfalt, gefährden die Fruchtbarkeit der Böden. Und das alles „nur“ deshalb, damit es unseren Kindern einmal „besser“ geht.

Wir lassen uns so ein System aufzwingen und sagen nicht: Jetzt reicht's. Es ist Aufgabe der Menschen am Land, ihren Zeitgenossen in der Stadt klarzumachen, daß jetzt die Grenze überschritten

ist.

Die Kulturlandschaft ist Ergebnis bäuerlicher Arbeit und Zeugnis bäuerlicher, ländlicher Lebensart. Der Verlust der Kulturlandschaft als Folge heutiger Agrartechnologien kann uns nicht kalt lassen.

Der Hochkulturbetrieb zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Die Kulturleistung der Dörfer schreit nicht. Still stirbt die Kultur der Dörfer, wenn die Menschen im Dorf schweigen.

„Die kulturelle Erneuerung der Dörfer ist nur gewährleistet, wenn die Dörfer wieder mehr

Entscheidungsbefugnisse und Selbstverantwortung wahrnehmen“, erklärt der Agrarsoziologe Ulrich Planck. Die Dorfbewohner lassen sich viel zu sehr verplanen und verwalten ...

Planung hat nur dann einen Wert, wenn die Leute im Dorf möglichst viel dabei lernen. Lernen sie nichts dazu, dann ist Planung passiert. Das Vorhaben wird begonnen, der Planer ist weg, und dann ist die Luft aus dem Ballon heraus. Nur was die Leute selbst gelernt haben, hat Dauer und Bestand.

Das Ziel der Dorferneuerung ist der unbequeme Bürger und Wähler, der möglichst vieles selbst in die Hand nimmt. Jedes Dorf braucht seine eigene Lösung. Ein Horror für Zentralisten, aber eine große Chance für alle, die sich am Reichtum der Vielfalt freuen können.

Der Autor ist Bauer in Zwerndorf (Niederösterreich ). Sein Beitrag ist dem Bericht über den „1. Europäischen Dorferneuerungskongreß“ zum Thema „Leben und Wirtschaften im Dorf“ entnommen. Er wurde von der „Osterreichischen Gesellschaft für Land-und Forstwirtschaftspolitik“ in Wien herausgegeben.

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