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Dorferneuerung— von innen heraus

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Das Dorf gewinnt auch als Wohnplatz immer mehr an Attraktivität. Dies nicht zuletzt als Folge des Unbehagens an den Planungsfehlern „entfernter“ Zentralbürokratien.

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Das Dorf gewinnt auch als Wohnplatz immer mehr an Attraktivität. Dies nicht zuletzt als Folge des Unbehagens an den Planungsfehlern „entfernter“ Zentralbürokratien.

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Nach einer jahrzehntelangen Uberbewertung städtischer Lebens- und Bauformen scheint immer deutlicher ein Bewußtseinswandel einzusetzen, der sich in einem Trend zurück zum Land manifestiert. Die Ansicht vom be-nachteüigten Existieren im ländlichen Raum stellt sich immer schärfer als eine unkritisch übernommene Sicht des Städters vom Dorf heraus.

Das Dorf als Wohnplatz hat an seiner Attraktivität, trotz der auch hier sich bemerkbar machenden Siedlungsverdichtungen an den Dorfrändern, nichts eingebüßt. Und wenn manche Stadtflüchtlinge früher unter der Isolierung im neuen Lebensbereich gelitten haben - eine Tatsache, die statistisch nie sichtbar wurde und nur im Freundeskreis zugegeben wurde —, sind sie jetzt froh, der zunehmend negativen Umweltsituation der Ballungsgebiete den Rücken gekehrt zu haben.

Es scheint kein Zufall zu sein, daß die Sorge um die Entwicklung der dörflichen Siedlungen nun in ganz Österreich zu verstärkten Bemühungen der Erhaltung und Erneuerung der Dörfer geführt hat. Und es ist verständlich, daß gerade Nieder Österreich, wo das Dorf die dominierende und typische Siedlungsform ist, als erstes Land Dorferneuerungsrichtlinien beschlossen hat (12. Februar 1985).

Das Dorf soll in ganzheitlicher Sicht regional- und kulturpolitisch gestärkt werden, wobei der Eigeninitiative und dorfgemeinschaftlichen Selbsthilfe ein besonderes Gewicht zufällt.

Dorferneuerung soll mehr sein als nur oberflächlich sichtbare Außenhautkorrektur. Dorf erneuerung soll unter die Haut gehen, soll die Räume vor und hinter den Fassaden umfassen, soll alle Bereiche des menschlichen Wirtschaftens und Zusammenwirkens umfassen.

Umfassende Dorferneuerung heißt es in Bayern, dem „Pionierland“ auf diesem Gebiet, ganzheitliche Dorferneuerung ist das Ziel bei uns. Besondere Hoffnungen werden auf wirtschaftliche Impulse gesetzt, die von Dorferneuerungsaktivitäten ausgehen werden. Es kann aber kein großer Paukenschlag an Wirtschaftsund Arbeitsplatzeffekten sein, der dabei entsteht, sondern ein sich nach jahrelangen Bemühungen summierender, weit verstreuter Trommelwirbel sein, der konzertante Wirkung zeigt. Wer glaubt, rasch sichtbare Erfolge zu erzielen, hat die unsichtbaren Aufgaben und den eigentlichen Sinn der Dorferneuerung nicht verstanden.

Es gibt meiner Meinung nach nur einen optimalen Weg der Erneuerung, nämlich der von innen heraus. In der Planungs- und Regionalpolitik wird heute von der „endogenen Erneuerung“ gesprochen, und man meint damit die Planung „von unten“.

Seele als Quelle

Damit ist gegenüber der früheren Auffassung ein entscheidender Wandel eingetreten, der als Folge des Unbehagens der bürokratischen Eingriffe „von oben“ aufgetaucht ist. Doch ist noch lange nicht der Wunsch nach mehr Mitspracherecht und eigenverantwortlichem Tun in die Realität umgesetzt, vollzieht sich der weitere konsequente Schritt der „Erschließung regional humaner Ressourcen“ (was ebenso fürchterlich klingt wie die schreckliche Bezeichnung „Humankapital“).

Nichts anderes wird verklausuliert ausgedrückt, als daß die menschliche Tat-, Herzens- und Seelenkraft wiederentdeckt wird. Zur Gestaltung der dörflichen Außenwelt müssen wir die menschliche Innenwelt freilegen und positiv wirken lassen.

Dies ist eine neue Quelle, die vor allem vom Schweizer Theo Abt für die Planungswelt geöffnet wurde. Ihm ist es zu verdanken, daß auch die Seele des Menschen ihren zukommenden Platz zurückerhält. Es darf wieder mit Seele - nicht mit Seelen!—geplant werden, ohne dem Vorwurf ausgesetzt zu sein, unwissenschaftlich oder realitätsfern zu arbeiten (Theo Abt, Fortschritt ohne Seelenverlust, Bern 1984).

Kardinal Franz König hat in Sorge um die bedrohte Umwelt kürzlich davon gesprochen, daß die Sanierung der Umwelt notwendigerweise bei der Sanierung der Herzen und des Gewissens beginnen müsse (DIE FURCHE 10/ 1985). Dieser Bewußtseinswandel als Voraussetzung der Umkehr gilt noch viel mehr für die bedrohte (Dorf-)Welt.

Mögen die wirtschaftlichen Komponenten und politischen Ziele noch so wichtig sein, Dorf erneuerung kann nur funktionieren, wenn die Erneuerung in den Herzen beginnt. In den Herzen der Dorfbewohner als auch der Dorferneuerer.

Dorferneuerung ist im Kern Menschenerneuerung, geistige und seelische Erneuerung aller daran beteiligten Menschen. Auch wenn die Kirche nicht mehr im Dorf steht, ist das noch lange keine Katastrophe, solange sie in unseren Herzen weiterbesteht.

Wenn drei „königliche“ Grundhaltungen gefordert werden, die Umwelt zu retten, so gilt dies ebenso für die konkrete Anwendung in der Dorferneuerung und Dorferhaltung: Sorgfältiges Studium der Situation, ernsthaftes Uberlegen im Sinne einer ethischen Grundentscheidung und Respekt vor der Uberzeugung des anderen.

Der Autor ist Mitarbeiter der Raumordnungsabteilung der NO Landesregierung und mit der Führung der Geschäftsstelle für Dorf erneuerung betraut.

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