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Das Dorf erneuern

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Ehemals grünende und blühende Flächen im Ausmaß von 270.000 Quadratkilometern, das entspricht dreimal der Fläche von ganz Österreich, liegen brach, veröden und versteppen. Das geschäftige Treiben in vielen Dörfern und Städtchen ist erloschen. Beim Rest der Bevölkerung machen sich Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung breit.

Eine düstere Zukunftsvision? Keineswegs. Es handelt sich um den Zustand der Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten.

Da uns Trends aus Amerika etwas verspätet vielleicht, so doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit erreichen, ist es höchste Zeit, eine ähnliche Entwicklung, die sich auch auf unserem Kontinent abzeichnet, zu stoppen.

In Osterreich und in vielen Ländern Europas setzt man - neben finanziellen Zuwendungen, denn „ohne Geld ka Musi“ - auf die „Dorferneuerung“. Ob damit ein geeignetes Instrument gefunden wurde, den Verödungstendenzen im Osten unseres Landes und der Verstädterung im Westen entgegenzuwirken, liegt bei den Menschen selbst.

„Dorferneuerung“ ist kein Rezept, sondern eher eine Philosophie. Sie fordert von allen ein Umdenken! Von den Politikern die Abkehr von der „Zwangsbeglük-kung“ hin zu „Hilfe zur Selbsthü-fe“. Die Landbevölkerung jedoch muß jene Werte wieder entdek-ken, die jahrhundertelang das Leben und Zusammenleben im Dorf geprägt haben. Werte, die in den letzten Jahrzehnten verlorengingen. Die Ursachen dafür sind vielfältig.

In den sechziger und frühen siebziger Jahren wurde die „Modernisierung“ des ländlichen Raumes in Angriff genommen. Straßen und Wasserleitungen wurden gebaut, die Kanalisierung vorangetrieben. Der hauseigene Brunnen hatte ausgedient. Die neuerrichteten Gebäude und Stallungen mußten „funktionsfähig“ sein. Die Rationalisierung der Landwirtschaft war voll im Gange.

Wer den Wettlauf nicht mitmachen konnte, suchte Arbeit in der Stadt. Das Land leerte sich oder wurde zur Schlafstätte degradiert. Gegen die Reformen an sich war nichts einzuwenden, nur ging der steigende Wohlstand nicht Hand in Hand mit einer kulturellen Entwicklung.

„Der berufliche Strukturwandel entzog einer auf bäuerlicher Grundlage gewachsenen Dorf kultur den Wurzelboden. Die alten Wertvorstellungen, aus denen sich Bräuche und Gewohnheiten ableiten, hielten den veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht stand“, erklärte Ulrich Planck vom Institut für Agrarso-ziologie der Universität Hohenheim, Stuttgart. „Massenmedien, Industriewaren, Touristen und Zugezogene haben in vielen Dörfern zur .Überfremdung' geführt. Gemeindezusammenlegungen haben die .Fremdbestimmung' bis hin zum Identitätsverlust noch verstärkt.“

Heute sind viele Hoffnungen wie Seifenblasen zerplatzt. Eine immer tiefere Frustration über das „fremdbestimmte“ Leben be-

Archibalds Reise mächtigt sich der Menschen. Wie jedes Ding zwei Seiten hat, hat dieses Unbehagen auch sein Gutes. Eigenwert und Eigenständigkeit des „Landes“ als Lebensort und Lebensform kommen wieder ins Bewußtsein.

Der führende österreichische Agrarsoziologe Werner Pevetz sieht darin den Ausdruck eines allgemeinen menschlichen Bedürfnisses nach Identität, nach Einmaligkeit, Besonderheit und Unverwechselbarkeit. All dies läßt sich in der räumlichen Uber-schaubarkeit des ländlichen Raumes besser erfüllen.

Das ist der Boden, in dem die „Dorferneuerung“ Wurzeln schlagen soll. Wie die Testergebnisse aus den Bundesländern zeigen, keine schlechte Erde. Noch bedürfen die zarten Schößlinge liebevoller Zuwendung und Betreuung, die ihnen von den Beamten und Experten entgegengebracht wird.

„Die Zusammenarbeit läuft gut. Es hat sich ein ,Club der Gutgesinnten' gebildet, für den Ortserneuerung keine Routineaufgabe, sondern ein Feld für das eigene Engagement ist“, erklärte Dieter Schoeller vom Steirischen Volksbildungswerk.

In Niederösterreich ist die Dorferneuerung schon etwas kräftiger. Nach dreijähriger Laufzeit sind 80 Orte offiziell in die Aktion einbezogen worden. 3000 freiwillige Mitarbeiter arbeiten bei der Planung und Realisierung der Projekte mit.

Gerhard Silberbauer von der Niederösterreichischen Landesregierung faßt die Erfahrungen folgendermaßen zusammen: „Mit der Dorferneuerung ist es möglich, die geistigen Kräfte im ländlichen Raum in einem bisher nicht dagewesenen Ausmaß zu mobilisieren. Sie sensibilisiert die Menschen nicht nur für ästhetische Belange, sondern vermag ihnen Optimismus und Selbstbewußtsein einzuflößen.“

Wo viel Licht, ist auch viel Schatten. Unkritisches Hineinschlittern in populäre Tendenzen wie den Folklorekitsch in der Musik und den Rustikalkitsch bei Möbeln oder allzu restaurative Vorstellungen anstelle moderner funktioneller Lösungen bei der Errichtung neuer Bauwerke sowie mancher Generationenkonflikt zwischen ökologiebewußtem Denken und Verharren in der Mentalität der sechziger und siebziger Jahre bedrohen die Neubelebung.

„Dorferneuerung“ als Patentrezept anzubieten, ist sicherlich zu euphorisch, und die Warnung vor überzogenen Erwartungen steht im Raum. Ein Umdenken jedoch wird der Gesellschaft — und nicht nur der ländlichen — nicht erspart bleiben, sollen die vielfachen an den Grundpfeilern der menschlichen Existenz rüttelnden Probleme gelöst werden.

„Leben und Wirtschaften im Dorf war das Thema des Kongresses, der vom 16. bis 18. November stattfand.

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