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Ein „Gemeindeleitbild” als Wegweiser zur Dorferneuerung

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Von seiner idyllischen Seite zeigt sich die Gemeinde Steinbach an der Steyr in der Vorweihnachtszeit. Da gleicht der Ortsplatz einem „Adventkalender”.

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Von seiner idyllischen Seite zeigt sich die Gemeinde Steinbach an der Steyr in der Vorweihnachtszeit. Da gleicht der Ortsplatz einem „Adventkalender”.

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Jeden Abend wird feierlich eines der 24 geschmückten Fenster im ersten Stock der Häuserfronten aufgemacht. Nicht nur Kinderaugen glänzen da, ganze Autobusladungen von Touristen (15.000 im letzten Jahr!) schnuppern Tannen- und Bratäpfelduft, lauschen den musikalischen Darbietungen, kehren in die gemütliche Wirtsstube ein und fühlen sich bestätigt, daß „das Leben auf dem Land doch seine besonderen Qualitäten hat.” Davon sind heute auch wieder die Steinbacher überzeugt. Dahin zu kommen, hat sie viel Anstrengung gekostet.

Bis Mitte der sechziger Jahre lebte die 2.000 Einwohner-Gemeinde von der seit dem 14. Jahrhundert ansässigen Messer-Industrie. Dann sperrten die Besteck herstellenden Betriebe zu. Werkshallen und Häuser standen leer und verfielen, die Arbeitsplätze in der Gemeinde sanken von 243 im Jahr 1964 auf 68 (1986), die Kleinbetriebe gingen von 51 auf 27 zurück. Auch die bäuerliche Bevölkerung in der rund 28.000 Quadratkilometer großen Gemeinde sah in eine triste Zukunft. Die Jugend wanderte ab. Hoffnungslosigkeit machte sich breit.

Das war die Situation, die Bürgermeister Karl Sieghartsleitner (VP) 1986 bei seinem Amtsantritt vorfand: „Nicht einmal ein Wirtshaus hatten wir mehr im Ort.” In dieser Notlage und „weil in der anderen Partei ein kooperativer, starker Partner mit Durchsetzungsvermögen in den eigenen Reihen da war”, rückten die Mandatare in der Gemeinde-stube zusammen.

Man benannte die Defizite, besann sich vorhandener Stärken und einigte sich auf Grundwerte, die es im Interesse aller Einwohner von Steinbach festzuschreiben und zu erhalten galt. In vielen, nicht immer friktionsfreien Diskussionen wurde ein „Gemeinde-Leitbild” erstellt. Darin wurden 1988 die Ziele für die nächsten Jahre festgelegt. Hilfreich bei dem Unternehmen war für die Steinbacher nicht nur das Charisma ihres damals 44jährigen neuen Bürgermeisters, eines Landwirtes mit Erfahrung als Metallarbeiter und Geschäftsführer, sondern auch seine Mitarbeit bei SPES, einer in Schlierbach ansässigen Studiengesellschaft für Programme zur Erneuerung von Strukturen.

1992 wurde das Leitbild überarbeitet. Gemeinderäte in Steinbach (14 VP, 12 SP, 2 freie, ehemals FP) werden nicht nur auf die Gemeindeordnung angelobt, sondern verpflichten sich auch, das Leitbild bestmöglich umzusetzen. Sie bekommen dazu vom Bürgermeister in den 14 Verwaltungsausschüssen für ihre Projekte verantwortliche Kompetenzen. Der Bürgermeister fungiert als Koordinator: „Man muß erlebbar machen, daß Werte, zu denen wir uns bekennen, unsere Lebensqualität steigern. Dazu braucht es in der Gemeinde ein Klima, das Kreativität und Wachstum fördert.”

Auf dem Gemeindeleitbild beruht auch das Entwicklungskonzept, das in Steinbach nach Aufnahme in die Aktion „Dorferneuerung” des Landes Oberösterreich erarbeitet wurde. Schritt für Schritt nimmt man sich die einzelnen Bereiche in der Gemeinde vor: Bestandsaufnahmen über Historisches und Gewachsenes schufen eine neue Wertschätzung von Kulturgütern und Traditionen. Sieghartsleitner: „Es war wichtig, zuerst den Sinn für das zu wecken, was unsere Identität ausmacht.”

Schätze der Natur wurden gehoben: Eine gelungene „Apfelausstellung” zum Beispiel förderte nicht nur die Zusammenarbeit von Bauern und Siedlern, sie brachte auch zutage, daß es in der Umgebung noch 120 Apfelsorten gibt. Das führte zur Gründung der „Arge Steinbacher Dörrobst”, in der jährlich 15 Tonnen Früchte zu Dörrobst verarbeitet werden. Damit werden Biomärkte und Geschäfte bis Wien beliefert. Eine Genossenschaft von sechs Bauern hat 1,7 Millionen Schilling in eine Hackschnitzelheizung investiert. Sie liefert die Energie für die Dörrobstanlage, vier Wohnungen und den „Alten Pfarrhof”, ein adaptiertes Veranstaltungs- und Bürozentrum. Auf den „Gmachlerhof”, einem bäuerlichen Familienbetrieb mit Modellcharakter kamen bisher mehr als 100 Exkursionen aus 38 Ländern.

Alte Bausubstanz wurde saniert für Wohnungen oder zur Ansiedlung von Kleinbetrieben, deren Weiterkommen die

Gemeinde fördert. Sieghartsleitner: „Bei unseren Vergaben bekommt der Bestbieter den Auftrag, nicht ein einmaliger Billigstbieter”.

Der Erfolg stellte sich ein. Steinbach hat heute 2.080 Einwohner. Die Abwanderung wurde gestoppt. Die Zahl der Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe ist gestiegen. Es gibt wieder ein gutgehendes Gasthaus im Ortskern, einen Elektriker, einen Friseur, einen Schlosser, einen Tischlereibetrieb, qualifizierte Arbeitsplätze in mehreren Beratungsfirmen und so weiter. Mit Steinbach geht es aufwärts.

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