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Resignation und Hoffnung

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Der österreichische Katholikentag 1983 steht unter dem Motto „Hoffnung leben, Hoffnung geben". Das dritte Thema der Vorbereitungs-Arbeit, die Aufgaben der österreichischen Katholiken in unserer Gesellschaft, betrifft einen Großteil der Diözese Sankt Pölten

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Der österreichische Katholikentag 1983 steht unter dem Motto „Hoffnung leben, Hoffnung geben". Das dritte Thema der Vorbereitungs-Arbeit, die Aufgaben der österreichischen Katholiken in unserer Gesellschaft, betrifft einen Großteil der Diözese Sankt Pölten

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Schon im Mittelalter hieß das Gebiet des heutigen Waldviertels „Der finstere Nordwald". Die Region ist unwirtlich, aber landschaftlich reizvoll. Künstler und naturhungrige Großstädter ziehen hinaus ins Waldviertel. Die ansässige Bevölkerung, besonders die junge Generation, verläßt das Land. Es gibt für sie kaum Hoffnung.

Das Waldviertel gehört heute zu Österreichs vergessenen oder zumindest vernachlässigten Regionen. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt unter der Hälfte des österreichischen Durchschnitts. Firmenzusammenbrüche bedeuten in dieser Region eine echte Katastrophe. Es gibt keine Ersatzarbeitsplätze. Wer kann, sucht seinen Arbeitsplatz daher im Raum Wien oder Linz. Gerade damit verschärft sich die Lage wiederum, weil das Auspendeln eines Tages zum Auswandern wird.

Im Waldviertel gibt es die Landflucht noch. Die jungen Menschen haben in ihrer Heimat keine Aufstiegschance. Die Einkommenslage der Verbleibenden ist schlecht. Ein Textilarbeiter in Litschau muß für das Päckchen Zigaretten, aus dem er sich in der Mittagspause eine vergönnt, 29 Minuten arbeiten. Der Metallarbeiter im niederösterreichischen Bezirk Mödling, den der Slogan „Ohne Rauch geht's auch" noch nicht zu überzeugen vermochte, verdient es sich in 16 Minuten. Ein Forstarbeiter in Zwettl hat für einen Herrenanzug mittlerer Qualität 77 Stunden zu arbeiten. Der Dreher in St. Pölten wendet für das gleiche Kleidungsstück den Lohn von 45 Arbeitsstunden auf.

Die Diskrepanz, auf die Studenten der Volkswirtschaft bei einer Arbeit über regionale Einkommensunterschiede stießen, springt noch stärker ins Auge, wenn man die Situation des Waldviertier Pendlers betrachtet. Ihm, der täglich zwei oder womöglich drei Stunden in der Bahn versitzt, kommt die Fahrkarte auch insofern teurer, als er für 100 Bahnkilometer zwei Stunden und 53 Minuten arbeiten muß. Im industriellen Ballungsgebiet südlich von Wien verdient sich ein Fräser aus Guntramsdorf, der nur wenige Minuten mit der Lokalbahn zu fahren hat, um seinen Arbeitsplatz zu erreichen, 100 Bahnkilometer in einer Stunde und 53 Minuten.

Im Waldviertel bleiben die Einkommen um mehr als 20 Prozent unter dem niederösterreichischen Durchschnitts-Industriever-dienst.

Daß oben im Waldviertel die Industrialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg nicht so recht in Gang kommen wollte, liegt an der Sackgassenlage der Bezirke nördlich des Manhartsberges. Das Waldviertel hat in seinem Rücken den Stacheldraht - vor sich aber Transportentfernungen, die den meisten Unternehmern die Investitionscourage nehmen. Der Fernstraßenzustand ist ungenügend, so führen im Anschluß an die neuen Donaubrücken bei Krems und Melk jene Straßen nicht weiter ins obere Waldviertel, die den Unternehmen die Zufahrt zu den Ost-West-Hauptverbindungen Auto- und Westbahn auch wiritersicher ermöglichen. Es gibt trotzdem noch Betriebe, die, allen Schwierigkeiten zum Trotz, im Waldviertel arbeiten.Arbeitskräfte gibt es im Waldviertel nämlich.

Vor allem Frauen sind anlern-und arbeitswillig, wobei die Betriebe, hört man von den Firmenleitungen, mit der Arbeiterin mittleren Alters die besseren Erfahrungen machen. Junge Mädchen, weiß man, ziehen, sind sie erst einmal verheiratet, den Männern nach, die, des Fernpendeins müde, den Ort, an dem sie arbeiten, eines Tages zum Kopfbahnhof eines neuen Lebens machen.

Seit Jahren wartet die Bevölkerung darauf, daß die Versprechungen der Bundesregierung eingehalten werden, aber es rührt sich nicht viel. Bisher ist erst ein kleiner Teil der Förderung ausbezahlt worden. Es ist aber nicht nur die materielle Situation, die die Menschen drückt, es ist eher die psychologische Situation, das Gefühl, von allen alleingelassen zu werden, die zu einer Massenresignation führt.

Auch seelsorglich ergeben sich große Schwierigkeiten: Das Waldviertel hat die meisten Kleinstpfarren unserer Diözese. Die schon erwähnte ständige Abwanderung der jungen Generation dezimiert die Zahl der Pf arr- ■ angehörigen. So weist etwa die nördlichste Pfarre unserer Diözese, Haugschlag, 47 Prozent Rentner und Pensionisten auf. Die „Vergreisung" dieser Klein-Pfarrgemeinden geht unaufhörlich weiter. Zudem können viele dieser Pfarrgemeinden gar nicht mehr mit einem eigenen Pfarrseelsorger besetzt werden. Von den im ganzen Diözesangebiet nicht mehr besetzten 75 Pfarren liegen im Waldviertel, also im Gebiet nördlich der Donau, 49, also zwei Drittel.

Das Waldviertel war seit Generationen immer auch ein großes „Reservoir" für Priesterberufe. Die Abwanderung der Jugend bedeutet darum auch in dieser Hinsicht einen großen Verlust.

Seitens des Landes Niederösterreich versucht man, flexible Pläne zu erarbeiten. So erhofft man sich eine Belebung der Region durch kleinräumige Projekte. Größere Betriebsansiedlungen werden sich wohl kaum mehr ins Waldviertel verlegen lassen. Dagegen spricht einerseits die derzeit nicht vorhandene Infrastruktur, andererseits ist es nicht mehr möglich, die benötigten Facharbeiter aufzutreiben. Die Chancen des Waldviertels liegen vielmehr in der Förderung kleinerer, überschaubarer Betriebe, die flexibel sein müßten. Dazu kommt auch die immer wieder vergessene Funktion des landschaftlich reizvollen Gebietes als Naherholungsland für Wien und Linz. Für den Fremdenverkehr bietet das Waldviertel unendlich viel an Kulturlandschaft: zahlreiche Stifte, Burgen, Schlösser und wertvolle Bausubstanz.

Dazu kommt, daß, bedingt, durch die wirtschaftliche Benachteiligung, die Dörfer noch ihren alten Charakter bewahrt haben. Die Dorflandschaft ist im großen und ganzen noch in Ordnung, wenn auch schon viele Bauernhöfe verlassen sind und verfallen. Hier liegt eine echte Chance für die Zukunft.

Eine Bewegung „Pro Waldviertel" bemüht sich seit Jahren um eine aktive Mitarbeit der Menschen dieser Gegend zur Bewältigung der Schwierigkeiten. Eine große Welle der geistigen Aufbereitung der Sorgen und Anstöße zu neuer Kreativität haben eingesetzt.

Die Kirche geht dabei beispielhaft voran. Bildungsveranstaltungen verschiedenster Art nach einem welträumigen Konzept sind geplant und bereits in Angriff genommen. Die beiden Klöster der oberen Waldviertier Region Geras und Zwettl sind hier entscheidend beteiligt. Die Katholische Aktion der Diözese hat mit ihrem „Grenzland-Ausschuß" eine Vielfalt von Initiativen eingeleitet, denn es kann, wie es Diözesanbischof Franz Zak einmal ausdrückte, „der Kirche nicht gleichgültig sein, wie die Menschen in diesem Notstandsgebiet leben".

Besonders die geistige Bewältigung dieser Situation und hoffnungsvolle Ansätze, besonders durch die in den Pfarren engagierten Christen zur Selbstinitiative, sind daher bereits zu verzeichnen. So kann es auch gar nicht anders sein, daß im Rahmen der Vorbereitung des gesamtösterreichischen Katholikentages die Diözese St. Pölten einen eigenen Schwerpunkt setzt unter dem Titel: „Land zwischen Resignation und Hoffnung".

Bei einer Bildungsveranstaltung über die Situation des Waldviertels sagte kürzlich ein Teilnehmer: „Die Anstrengungen kirchlicher Institutionen und Bewegungen sind deshalb zu begrüßen und hoffnungsvoll, weil hier keine Parteiinteressen und kein potentieller Wählerfang dahinterstehen, sondern das echte Bemühen um den Menschen."

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