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Mit dem Rücken zur Grenze

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Eine Diözese, die ihren längsten Grenzabschnitt im Norden am Eisernen Vorhang hat, wird von dieser Situation stark geprägt; wirtschaftlich, sozial, kulturell und auch pastoral.

Die bange Frage stellt sich dabei immer eindringlicher; Stirbt das Land im Norden unserer Diözese, das Land an der Grenze? Noch ist dieser Landstrich an der toten Grenze mit seiner herben Schönheit nicht gestorben. Doch nehmen im Waldviertel, dem flächenmäßig größten Problemgebiet Österreichs, Abwanderung, Arbeitslosigkeit und Firmenzusammenbrüche ein die ganze Region bedrohendes Ausmaß an. Ein Waldviertler, der sich um seine Heimat Sorgen macht, drückt es so aus: „Wir stehen mit dem Rük- ken zur Wand. Unser Aktionsradius ist durch die Grenzlage zur CSSR beschränkt.“

Wenn die Stadt Krems nicht im Donautal, sondern im oberen Waldviertel läge, würde sie, konzentrierte man die Abwanderung auf einen Punkt, nicht mehr existieren, denn über 23.000 Menschen — und so viele Einwohner hat die Stadt an der Donau — hat die Grenzregion Waldviertel in den letzten Jahren verloren. Im Waldviertel bewegen sich die Einkommen um mehr als 20 Prozent unter dem durchschnittlichen niederösterreichischen Industrieverdienst.

Der Fernstraßenverkehr ist ungenügend. So führen im Anschluß an die neuen Donaubrücken bei Krems, Melk und Ybbs die Straßen nicht weiter ins obere Waldviertel, was besonders der Industrie die Zufahrt zu den Ost- West-Hauptverbindungen (zur wintersicheren Auto- und Westbahn) sehr erschwert.

Seit Jahren wartet die Bevölkerung darauf, daß die Versprechungen der Behörden und Politiker eingelöst werden, aber es rührt sich nicht viel. Bisher ist erst ein kleiner Teil der Förderung ausbezahlt worden. Es ist aber nicht nur die materielle Situation, die die Menschen drückt, es ist eher die psychologische Si tuation,Has Gefühl, von allen alleingelassen zu werden, was zu einer Massenresignation führt.

Auch seelsorglich ergeben sich große Schwierigkeiten; Das Waldviertel h£t die meisten Kleinstpfarren unserer Diözese. Die Abwanderung der jungen Generation dezimiert die Einwohnerzahl der Pfarren. Auch die „Vergreisung“ dieser Klein- Pfarrgemeinden geht unaufhör^ lieh weiter. Zudem können viele dieser Pfarrgemeinden gar nicht mehr mit einem eigenen Pfarr- seelsorger besetzt werden. Von den im ganzen Diözesangebiet nicht mehr besetzten 78 Pfarren liegen im Waldviertel, also im Gebiet nördlich der Donau, 51, also zwei Drittel — jede vierte Pfarre hat keinen eigenen Priester mehr am Ort.

Eine Bewegung „Pro Waldviertel“ bemüht sich seit Jahren um eine aktive Mitarbeit der Menschen dieser Gegend zur Bewältigung der Schwierigkeiten. Eine große Welle der geistigen Aufbereitung der Sorgen und Anstöße zu neuer Kreativität hat eingesetzt. Die Kirche geht dabei beispielhaft voraus. Bildungsveranstaltungen nach einem weiträumigen Konzept verschiedenster Art sind bereits in Angriff genommen. Die beiden Klöster der oberen Waldviertler Region, Geras und Zwettl, sind hier entscheidend beteiligt. Die Katholische Aktion der Diözese hat mit ihrem „Grenzland-Ausschuß“ eine Vielfalt von Initiativen eingeleitet; denn es könne, wie es Diözesanbi- schof Dr. Zak einmal ausdrückte, „der Kirche nicht gleichgültig sein, wie die Menschen in diesem Notstandsgebiet leben“.

Aber auch die Probleme der übrigen Gebiete in der Diözese St. Pölten sind groß.

Es kämpfen auch die sogenannten Industrietäler, das Ybbs-, Erlauf-, Pielach- und Traisental gegen die immer stärker zunehmen de Arbeitslosigkeit. Die großen Konzerne wie Böhlerwerke und Alpine Montan verlieren infolge der Konzentrationsbestrebungen der VEW immer mehr an Bedeutung.

Der bäuerliche Prozentsatz der noch immer ländlich strukturierten Diözese ist weiterhin im Sinken und steht derzeit bei 11 Prozent, die Zahl der Nebenerwerbsbauern ist im Steigen und damit das Tages- und Wochenpendlerproblem, vom westlichen Waldviertel in den Raum Linz und im Raum St. Pölten-Land, Wienerwald sowie Tullnerfeld nach Wien. f

Pendlereinsätze von vier Uhr früh bis acht Uhr abends (die Fahrzeiten mit eingerechnet) sind keine Seltenheit und werden durch den Mangel an wintersicheren Straßen vom Wohnort zum Arbeitsplatz, besonders in der kalten Jahreszeit, noch erschwert.

Die Folge ist ein gestörtes Familienverhältnis, da Kinder ihren Vater oft tagelang nicht sehen oder sprechen können. Ein sonntägliches Erleben ist kaum mehr möglich bei dieser Gruppe von Menschen, die im Diözesanbe- reich bereits 35 Prozent ausmachen. Muß doch der Mann am Sonntag, dem Tag der Ruhe und Muße, die schweren Feldarbeiten verrichten, die seine Frau unter der Woche nicht leisten kann.

Die Auswirkung auf die Pastoral ist bereits deutlich zu spüren. Was eine gleitende Arbeitswoche befürchten ließ, die Gott sei Dank nicht bei uns in Österreich eingeführt wurde, wird nun auf andere Weise Realität.

Das alles zusammengenommen, sind erst einige Probleme, denen sich die Diözese St. Pölten gegenübersieht und die ihr als Kirche nicht gleichgültig sein können.

Trotzdem müssen sie bewältigt werden.

Hoffnung ist der Mut zum Experiment auch in der Zeit der Bedrängnis. Tätige Hoffnung hat immer Zukunft; nur die Angst rührt sich nicht vom Fleck.

Bei einer Bildungsveranstaltung über die Situation des Wald viertels sagte kürzlich ein Teilnehmer: „Die Anstrengungen kirchlicher Institutionen und Bewegungen sind deshalb zu begrüßen und hoffnungsvoll, weil hier keine Parteiinteressen und kein potentieller Wählerfang dahinterstehen, sondern das echte Bemühen um den Menschen.“

Im Jahr des Katholikentages ist die Diözese darum bemüht, in noch stärkerer Solidarität mit den Menschen Mut zur tätigen Hoffnung zu machen und Resignation in Hoffnung zu wandeln.

Prälat Florian Zimmel ist Leiter des Pasto- ralamtes der Diözese St. Pölten.

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