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,,Lebensmittel" für eine Region

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Stifte und Klöster waren in ihrer Gründungszeit Vorreiter der Besiedlung. In bedrohten Regionen tragen sie auch heute zum Zusammenhalt bei.

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Stifte und Klöster waren in ihrer Gründungszeit Vorreiter der Besiedlung. In bedrohten Regionen tragen sie auch heute zum Zusammenhalt bei.

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In „Megatrends" zeichnen Zukunftsforscher die Entwicklung der großen Ballungsräume voraus. Um kleine Regio-nen kümmert sich kaum einer. Selbst manche Politiker fragen zuerst: „Wieviele Wähler gibt es in dieser Begion?" Einzelheiten wären an der Entwicklung des Wald-viertels leicht abzulesen.

Doch wen kümmert das? Man hat sich an die diversen Situationsberichte gewöhnt und obendrein: Ist nicht mancher Nachteil heute bereits wieder Vorteil, wenigstens in ökologischer Hinsicht? Blieb nicht manche Dorfidylle nur deswegen erhalten, weil schlicht das Geld fehlte, die Häuser zeitgemäß „in Schuß zu bringen", vor allem in den Jahren, da man modern sein wollte. In dieser Zeit eröffneten sich den Waldviertlern kaum Lichtblicke, nach dem Abzug der Bussen im Jahr 1955 freie Arbeitskräfte an ihre Heimat zu binden. Erst in der Spätphase der hochkonjunkturellen Perioden kamen Förderungen ins Land, „Grenzlandförderungen", die viele dahingehend eintaxierten, daß man den Eisernen Vorhang als bleibend zu verstehen habe. Ich selbst gehörte zu den wenigen, die das Positive dieser Begion in den Vordergrund stellten und für „Pro Waldviertel" verkündeten: „Der Stacheldraht rostet."

Als wir vom Stift Geras 1980 als erste im Waldviertel ein Hotel neu eröffneten, wurden wir belächelt. Wie bald die Wende kommen sollte, sah niemand voraus. Noch schneller freilich zogen dann die durch Subventionen angelockten Unternehmen Norden, über die Grenze. So ist im Waldviertel die höchste Arbeitslosenrate Österreichs zu konstatieren. Dem von der Kolonisierung her immer dünn besiedelten Waldviertel bleibt in der Hauptsache nur mehr der Fremdenverkehr: Eine weitgehend intakte Landschaft bietet sich als Erholungsland an. Selbst die Landwirte erkennen ihre Vorteile in der Bio-Wirtschaft. So mögen Badler, Wanderer und Sommerfrischler unser Land stürmen! Trotzdem kann die Abwanderung nicht nennenswert reduziert werden. Eines konnte erreicht werden, nicht zuletzt durch den unermüdlichen Einsatz selbstloser Einzelpersönlichkeiten: Die Waldviertler kamen etwas mehr zu Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen und sind sich nun der Werte ihres schönen Landes bewußt.

Was hat ein Stift oder haben die Waldviertler Stifte Altenburg, Geras und Zwettl damit zu tun? Ich sage es mit Stolz: Wir waren jahrhundertelang für vieles Vorreiter und werden es immer bleiben, schon vom Konzept „katholischer Orden", von den europaweiten Verbindungen her, durch Kultus und Kultur, auch Agrokultur, die uns integrierend ausmachen.

Zur Verdeutlichung einige Muster unseres Grundverhaltens: Als Christen erwarten wir unsere Vollendung im Jenseitigen. Das Beten und Werken zur Ehre Gottes, „damit in allem Gott verherrlicht werde", wie St. Benedikt seine Söhne anweist, ist grundlegende Motivation und tägliche Einübung solcher Lebenshaltung. Mit anderen Worten, uns Klosterleuten kommt es ganz besonders zu, im erwähnten Sinn mit Hand und Mund, mit Herz und Verstand, mit allen unseren Kräften in und auf die Zukunft zu bauen. Diese Haltung mag und muß den einzelnen ebenso wie unsere Kommunitäten auszeichnen. Hinzu kommt, daß unser gesamtes Tun einen zusätzlichen Bezug auf dem Hintergrund des jeweiligen Stiftungsauftrags eines Stiftes und seiner Geschichte, besser Tradition, förmlich des Verwachsenseins mit den Menschen einer Region enthält.

Solche elementaren Motivationen müssen Tag für Tag in die Praxis umgesetzt werden: Wer klösterlich denkt und empfindet, Nonne oder Mönch ist, weiß sich zunächst eingespannt in den Rogen der Jahrhunderte mit Vorgabe von land- und forstwirtschaftlichem Besitz, meist in Größenordnungen, die landschaftsprägend sind; mit Baudenkmälern, die wie Perlen ihr Umfeld schmücken, und Anziehungspunkte eines multikulturellen Mini-mundus darstellen. Dieser unterliegt wie alles1 um ihn herum ebenfalls ständigem Wandel - doch in geringerem Ausmaß, weil den Voraussetzungen für Fortschritt beziehungsweise Fehlentwicklung ein stark retardierendes Moment innewohnt: das verfügbare Wirtschaftskapital besteht großteils aus Forst- und Landwirtschaft (im Wald mit einer Umlaufzeit (Auspflanzung/Ernte) von 80 Jah: ren), kaum je Bargeld, sowie aus unveräußerlichen Kulturgütern früherer Epochen, beheimatet in Gebäuden, welche zu erhalten und zu aktivieren den Großteil aller finanziellen Mittel bindet. Solche Regulative, auf Generationen hin betrachtet, wirken stabilisierend und ausgleichend. Klöster wirken als Traditionsträger nicht zuletzt deswegen, weil neben allem Überlieferungsgut, das da museal aufbewahrt wird, die Insassen mündlich von Generation zu Generation ihre Erfahrungen weitergegeben, die unmittelbar den Alltag betreffen und nur in Anekdoten und Erzählungen wertvolle Erkenntnisse und Weisheiten transportieren.

Die Stifte sind als funktionelle Zentren in eine bestimmte, schon zur Zeit der Gründung meist unterentwickelte Region hineingestellt worden. Mochten die Stifter bei einzelnen Klostergründungen zuerst an das „Seelgerät" und ihre eigene Begräbnisstätte gedacht haben, die Babenberger, (ihnen verdanken wir die meisten großen Gründungen), beriefen die Klosterbrüder dorthin, wo schlicht „Entwicklungshilfe" nötig war.

Zweitens, die Stifte sind Träger wichtigster Traditionen, von Erfahrungswerten, die wiederum ganzheitlich zusehen sind. Projizieren wir diese Grundlinien, mit denen keineswegs Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden mag, ins Heute:

Uns Gerasern steht Grundbesitz zur Verfügung (um die 2.000 Hektar). Dieser wird schon in den ersten Urkunden seit 1135 beschrieben. Über die lahrhunderte waren unsere Vorfahren hier am Werk. Auf die kommenden lahrhunderte hin sind wir motiviert. Das fordert Bindung, Bückbindung - „re-ligio" -, Verantwortung der eigenen Geschichte, dem Land, aber auch den Mitbrüdern, „de-functis, vivis ac venturis", den „vorausgegangenen, lebenden und kommenden" gegenüber. Solches Vorbild färbt langfristig beim schlauen Nachbarn ab. So wenig ich den Spontanausdruck mancher Alt-Geraser liebe, wenn da herauskommt: „Ja, das Stift, die Herrschaft", aber da tauchen doch archetypisch Erfahrungen auf und beweisen, daß wir bei Grund und Boden eine gewisse Leitfunktion hatten. Dafür wissen wir auch, wovon wir reden, wenn wir mit den Waldviertlern unsere Gedanken und Sorgen austauschen und in eine recht handfeste, ganzheitliche Sorge für die uns in der Seelsorge anvertrauten Menschen umzumünzen bemüht sind.

Unsere Vorgänger mußten in die / Landschaft massiv eingreifen und zwangen ein Gerinne mittels mehrerer Staudämme zum Verweilen in Teichen. Da ihnen der Fleisch-genuß von Vierbeinern verboten war, brauchten sie Fischfleisch. Die Teichkette von Geras legt einzigartig Zeugnis für solche Vorgänge ab.

Ein neues Betätigungsfeld ist unser Einsatz im Fremdenverkehr. 1970 zündete die Idee, die „Hobbykurse", „Kunst für den Liebhaber" als sinnvolle Freizeitbeschäftigung anzubieten. Alle diese Aktivitäten brachten Leben in die Region, zirka 40 Dauerarbeitsplätze. Weiters, legt man die Kosten für die Renovierung der Stiftsgebäude in Arbeitsplätze um, dann ergeben sich seit 1979 fortlaufend 20 Dauerarbeitsplatze, die solcherart in der Region gehalten werden konnten.

Den Gedanken, daß jedes Stift ein geistliches Zentrum mit Strahlkraft darstellt, darf ich wohl beim Leser voraussetzen. Ergänzt sei, daß wir Prämonstratenser als „pastores nati" als „geborene Seelsorger" gelten. Unser Leben in Gemeinschaft erlaubt durchaus, daß wir Pfarreien auch außerhalb des Klosters betreuen. Das Stift erweist sich so als feste Klammer, die gerade im Waldviertel besonders wichtig ist; denn auf Grund der seit Jahrzehnten fallenden Bevölkerungszahl wurden viele Kleingemeinden und Dorfschulen aufgelöst. Dies führte zu einem Verlust von Gemeinschaft, was auch die kleinen Pfarrgemeinschaften zu spüren bekommen. Wir suchen und erproben deshalb neue Strukturen, die pfarrüberschrei-tend, gemeindebildend größere Einheiten schaffen.

Da wir eben ein katholischer (= auf die ganze Welt bezogener) Orden sind, heißt „Geraser Chorherr" sein mehr als sich mit dem Stift zu identifizieren, nämlich für die Menschen dieser Begion und ihre Nöte zur Verfügung stehen.

Der Autor ist

Prämonstratenser Chorherr und Abt des Stiftes Geras im Waldviertel

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