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Alternative Raumplanung

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Das Waldviertel ist eine sanftwellige Hochebene mit großen, dunklen, noch wenig verseuchten Wäldern, geheimnisvoll braunen Gewässern und einem überaus gesunden, frischen Klima. Ein gut ausgebautes Netz von asphaltierten Nebenstraßen und Güterwegen mit wenig Autoverkehr, umso weniger, je weiter man nach Norden kommt, machen das Radwandern zum ungetrübten Vergnügen.

Eine mittlere Autofahrzeit von eineinhalb Stunden von Wien läßt diese Gegend für den Kurzurlaub des Städters geradezu ideal erscheinen.

Was aber mindestens ebenso schwer wiegt ist der Umstand, daß eine kleinteilige, im besten Sinn konservative, das heißt personenbezogene Wirtschaftsstruktur einen Massentourismus ä la Mittelmeer weder zuläßt noch wünschbar macht.

Der Widerstand, den das Waldviertel infolgedessen den Tendenzen der Kapitalkonzentration entgegensetzt, und der von den Planungstechnokraten unsinnigerweise als Rückständigkeit bezeichnet wird, entpuppt sich als Vorteil besonderer Art.

Das Waldviertel ist derjenige Großraum Österreichs, in dem ein alternativer Tourismus die besten Entwicklungschancen hat. Seine Kennzeichen sind: generelle Umweltverträglichkeit, steigende Nachfrage nach einem einfachen Urlaub in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, geringer Investitionsbedarf, Abenteuergehalt, Kinderfreundlichkeit, Fitneßwirkung.

Umgekehrt gilt auch: Das Waldviertel ist jene Gegend Österreichs, welche einen solchen Impuls am dringendsten benötigt. „Radeln im Waldviertel" ist ein Anzug, der nicht nur für den Gast, sondern auch für den Gastgeber maßgeschneidert ist.

Ungefähr in der Zeit, als unser Büro von der Niederösterreichischen Landesregierung mit der „Radviertelstudie" beauftragt wurde, ist auch Werner Slupetz-ky, ein Beamter der Raumplanungsabteilung, als „Waldviertelmanager" mit dem besonderen Aufgabenbereich „Radfahren" eingesetzt worden.

Wie und nach welchen Kriterien in den nächsten eineinhalb Jahren ein Routenkonzept für das Waldviertel erstellt worden ist, braucht hier nicht genau erläutert werden. Das Ergebnis wurde in einem Prospekt „Super! Radeln im Waldviertel" niedergelegt. Es enthält eine Routenkarte, die Adressen und Telefonnummern der 70 Radverleihstellen und andere nützliche Radwanderinformationen.

Interessanter ist schon, daß die für den Radtourismus besonders wichtige personelle Infrastruktur mit in die Überlegungen einbezogen wurde. Die drei Radipartisanen aus Wien haben dabei alle Aktivisten im Waldviertel persönlich kennengelernt, die willens und imstand sind, die Idee mitzutragen und lokale Aufbauarbeit zu leisten.

Auf dieser Basis hat dann die offizielle Förderung von Radankäufen in die Wege geleitet werden können, die zusammen mit dem ÖBB-Service „Fahrrad am Bahnhof" den Bestand an Leihrädern im letzten Jahr auf rund 500 hinaufschnellen ließ.

Die dritte Auftragsstufe von „Radfahren im Waldviertel" sieht die Umsetzung der theoretischen Erkenntnisse in die Realität eines gesteigerten Fremdenverkehrs vor. Wir haben uns vorgenommen, 1984 5000 radwandernde Besucher zusätzlich ins Waldviertel zu bringen. Das ist wenig, aber im Vergleich zu den Projektkosten ungeheuer viel.

Um dieses Ergebnis ins Auge fassen zu können, war es notwendig, sich alternative Formen der Werbung zu überlegen. Grundgedanke: Motivation statt Geld. In der Auftragsbeschreibung steht: Jeder am Projekt Beteiligte muß Spaß an der Sache haben. Auch wir selbst.

Statt Annoncen und Sendezeiten zu bezahlen, werden daher Happenings organisiert. Eines, das demnächst stattfinden wird, ist ein Rekordversuch der Pfadfinder: die längste Radischlange der Welt. Die Medien kommen dann schon von selbst.

Mit diesem Konzept wurde ohne Einsatz eines einzigen Werbeschillings das Geld, das die Landesregierung für das Projekt ausgibt, schon längst wieder hereingebracht, wenn man den kommerziellen Werbewert summiert, den Zeitungsmeldungen, Fernseh- und Hörfunksendungen sowie Gratisplakatflächen darstellen.

„Phantastisch - Radeln im Waldviertel" hat die Phantasie von 200 Kindern mobilisiert. Ihre Zeichnungen waren in den Geschäftsauslagen der Wiener Herrengasse und des Kohlmarkts ausgestellt, und der „Jö, schau, liab"-Effekt ist — wie erwartet — voll werbewirksam geworden.

Die unkonventionelle Zusammenarbeit zwischen Beamten und freischaffenden Planern hat zu einer besonderen Managementqualität geführt. Das Gefühl, in den kreativen Prozeß des Planens und Organisierens eingebunden zu sein, vermittelt dem Beamten ebensoviel Lustgewinn wie umgekehrt dem Freischaffenden, wenn er sieht, wie seine Vorschläge wegen des Engagements seines Partners die bürokratischen Barrieren durchstoßen.

Das geschieht unter anderem auch deshalb, weil in der Person des Landeshauptmannstellvertreters Erwin Pröll der politische Rückhalt gegeben ist. Rückhalt bedeute hier nicht intervenieren, sondern Ubereinstimmung mit den ideellen Grundgedanken.

Der Rückzug in die Welt der einfachen Menschen, der kleinen Dinge und der Beschaulichkeit ist heute zur Sehnsucht vieler geworden. Wir machen nicht mehr und nicht weniger, als ihn in kleinen bekömmlichen Portionen denen anzubieten, die ihn versuchsweise ausprobieren wollen. Kann sein, daß daraus für einige ein Wechsel in der Einstellung zum Leben überhaupt wird.

Die Autoren leiten die Projektgruppe „Radtourismus" und sind beide Architekten.

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