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Selbst ist der „man“
Seit dem 22. Jänner ist der 34jährige Erwin Pröll nach einer politischen Blitzkarriere stellvertretender Landeshauptmann von Niederösterreich. Gleichzeitig ist er auch für die Raumordnung und die Finanzen des Landes verantwortlich, für Ressorts also, die leichter als andere zum Pragmatismus verleiten. Allerdings: Vom kurzfristigen Nutzen will ersieh in seinem politischen Denken nicht leiten lassen.
Seit dem 22. Jänner ist der 34jährige Erwin Pröll nach einer politischen Blitzkarriere stellvertretender Landeshauptmann von Niederösterreich. Gleichzeitig ist er auch für die Raumordnung und die Finanzen des Landes verantwortlich, für Ressorts also, die leichter als andere zum Pragmatismus verleiten. Allerdings: Vom kurzfristigen Nutzen will ersieh in seinem politischen Denken nicht leiten lassen.
Wir dürfen morgen nicht im gleichen Stil weitermachen, wie wir gestern begonnen haben.“ Mit diesem Ausspruch just bei einem agrarpolitischen Symposium im Oktober 1980 machte sich Erwin Pröll, damals niederösterreichischer Agrarlandesrat, nicht nur Freunde. Besonders manche Parteifreunde witterten handfeste Kritik an ihrer bisherigen Landwirtschaftspolitik.
Zwischenzeitlich ist der junge ÖVP- Politiker aus dem niederösterreichischen Weinviertel zum praktisch zweitmächtigsten Mann im Land unter der Enns avanciert: Ihm sind die Schlüsselressorts Raumordnung und Finanzen anvertraut, die Bürde des Amtes wird durch die Würde eines Vizelandeshauptmannes versüßt.
Seinem Grundsatz bleibt er treu. Als Junger kann er die besonders unter der Jugend weitverbreitete Politik- und Parteiverdrossenheit gut verstehen. Schon möglich, daß der eine Fall oder der eine Skandal dieses Unbehagen ausgelöst haben, aber die Wurzeln sieht er tiefer liegen.
„Die Jugend sieht die Krisensymptome und merkt, daß die Politiker nicht richtig anpacken und nicht den Mut aufbringen, ein richtig erkanntes längerfristiges Ziel direkter anzustreben“, hält er in einem FURCHE-Gespräch auch das Mißtrauen seiner Zunft gegenüber begründet.
Zwar ergaben Umfragen, daß die Bevölkerung den Politikern schon konzediere, sie wüßten, was los sei, „aber sie reagieren zu spät, sie wollen Probleme wegwischen und unter einen Teppich kehren, unter dem aber in Wahrheit kein Platz ist“ (Pröll).
Was sich hinter den sogenannten
Sachzwängen der Tagespolitik verberge sei nicht selten „eine Scheu, das entsprechende Risiko für die Zukunft zu tragen“.
Pröll versucht das mit einem Bild zu erklären: „Wir stellen heute, Anfang der achtziger Jahre, für die Zwanzigjährigen des Jahres 2000 durch unsere Politik ein schlüsselfertiges Haus hin, bei dem man nur mehr geringfügige Retuschen machen kann, vielleicht die eine oder andere Steckdose verlegen. Aber der Bau steht.“ Jede politische Entscheidung müsse daher auch unter dem Aspekt ihrer Auswirkungen für die nächste Generation gesehen werden.
Zum Beispiel: „Radioaktive Strahlung ist nun halt einmal nicht zu beseitigen, sondern vergeht erst, ich weiß nicht, in 2000 oder 5000 Jahren von selbst.“ Oder: „Wenn wir heute zulassen oder forcieren, daß Landschaften komplett umgestaltet werden, dann hat dies irreversible Auswirkungen auf künftige Generationen.“
Daher kritisiert Pröll auch die Bundesregierung, die „die Staatsschulden in astronomische Höhen treibt. Daran zahlen künftige Generationen noch viele Jahre.“
Der entscheidende Fehler der sozialistischen Politik sei es aber im zurückliegenden Jahrzehnt gewesen, „daß Sicherheit versprochen wurde, Wohlfahrt bis hin zur Suggestion, daß der Staat den Menschen sogar die eigenen Ängste abnehmen kann“. Der einzelne wurde zur Passivität erzogen, weg von seiner unmittelbaren Verantwortung für und gegenüber der Gemeinschaft. Die daraus resultierende Abhängigkeit sei, so Pröll, der Nährboden der Staatsverdrossenheit.
Der einzelne wurde zu wenig ge- der Staat überfordert. „Man lebte in den Tag hinein, von der Hand in den Mund, und hofft, daß morgen wieder so viel Geld da ist, daß man überleben kann. Diese Denkungsweise kann nur unterbrochen werden, wenn plötzlich eine Mauer dasteht, die unüberwindbar scheint. Ich glaube“, ist Pröll überzeugt, „daß diese Mauer jetzt da ist.“
Mit kleinen Reparaturen am Wohlfahrtsstaat sei es da nicht getan. Soll das Netz der sozialen Sicherheit nicht reißen, dürfe nicht bis zum Zusammenkrachen der Finanzierung zugewartet, sondern müsse rasch gehandelt werden: im Bereich der Pensionen ebenso wie bei der Krankenversicherung und der Spitalsfinanzierung.
An die Stelle von kurzfristigen Rettungsaktionen „müssen politische Entscheidungen treten, die zwar vielleicht momentan weh tun, die aber auf lange Sicht als zielführend anerkannt werden".
Diesen Maßstab will der niederösterreichische Landesfinanzreferent auch bei der Sanierung der öffentlichen Haushalte angewandt wissen. Heute diskutierte Einsparungen brächten zwar eine Linderung, aber keine Heilung.
Daher sein Credo: „Wir müssen den einzelnen ermutigen, sich Verantwortung und Aktivität, die er bewußt oder unbewußt in der Vergangenheit abgegeben hat, wieder von der öffentlichen Hand zurückzuholen. Nur durch Eigeninitiative kann der Druck von den öffentlichen Haushalten weggenommen werden.“
Pröll bezieht das nicht nur auf den sozialen Bereich, sondern nennt dazu ein aktuelles niederösterreichisches Beispiel: Der von ihm initiierte Club Niederösterreich hat die Eigeninitiative junger Weinviertier gefördert, ein Jugendzentrum in der Pfarre Haugsdorf zu errichten. Ende Juni wurde schon Eröffnung gefeiert.
Dagegen stellt er, nicht nur mit einem Seitenblick auf das Landesbudget, die Forderung der niederösterreichischen Sozialisten nach einem Raumordnungsprogramm für Jugendzentren. Kurz: Das Land soll in jedes einzelne Dorf ein Zentrum hinstellen!
„Dagegen sprech’ ich mich vehement aus. Wir brauchen", so Pröll, „da kein Programm, sondern einen Sensor dafür, wo wir Eigeninitiative unterstüt
zen können. Wir müssen wieder zurückfinden zum Subsidiaridätsprinzip im ursprünglichen Sinn. Dann gewinnen wir auch wieder Raum und Geld dort einzugreifen, wo die .Initiative des einzelnen überfordert ist.“
Selbst ist der „man“ heißt seine Devise, um die öffentlichen Haushalte wieder funktionsfähig zu machen!
Und mehr als bisher müsse die Politik der Zukunft auf das soziale Gewissen hören, das nach Prölls Meinung gesunken ist: eine Kritik an der gegenwärtigen Form der Sozialpartnerschaft, „die auf ein reines Konfliktlösungstn- strument reduziert worden ist“.
Von sozial und Partnerschaft könne eigentlich nicht mehr die Rede sein: „Die Wohlfahrt der einen wurde auf dem Rücken der anderen aufgebaut.“ Landwirtschaft und Wirtschaft fänden sich nur mehr in der Defensive.
Arbeitszeitverkürzung? Mehr Urlaub? Pröll meint, daß sich auch bei Gewerkschaftern das soziale Gewissen rühren müßte, wenn sie an die Lage etwa der Bäuerinnen oder des kleinen Gewerbetreibenden Mächten. „Doch da herrscht ein fürchterlicher Egoismus.“ Ihn zu überwinden sei Voraussetzung für eine Politik, die den Menschen und der Zukunft gerecht werden solle.
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