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Ein Land der kulturellen Vielfalt

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Jede kulturpolitische Maßnahme im Bundesland Niederösterreich hat auf die speziellen Gegebenheiten des Landes Bedacht zu nehmen. Zwei Hauptmerkmale heben sich hier deutlich ab: Zunächst ist Niederösterreich rein geographisch das Land um Wien. Ein nicht unerheblicher Teil des kulturellen Lebens Niederösterreich findet in Wien statt. Das wirkt sich na- tünich aus und ist einer eigenen Profilierung abträglich. Die hohen Schulen, die repräsentativen Galerien, die Konzertsäle und die großen Orchester stehen dem kulturinteressierten Niederösterreicher in Spitzenqualität in Wien zur Verfügung. Auch den Künstler zieht es zunächst dorthin, wo er Resonanz und Durchbruchschance zu finden hofft.

Zunehmend ist dieses Verhältnis zur Großstadt keine Einbahnstraße mehr. Viele Künstler kommen heraus aufs Land und schaffen sich hier ein Refugium. Allenthalben entstehen neue kleinere und größere Kulturschwerpunkte.

Eine Hauptaufgabe niederösterreichischer Kulturpolitik ist aber nach wie vor: Wie kann das Land Niederösterreich für seine Talente, seine schöpferischen Menschen attraktiv bleiben?

Was tut es, um sie an dieses Land zu binden? Darüber hinaus steht natürlich die Schaffung eines ausreichenden Kulturangebotes für die Bevölkerung in den peripheren Gebieten und die Aktivierung der Menschen im kulturellen Bereich überhaupt im Vordergrund.

Als Zweites kommt hinzu, daß Niederösterreich wie kaum ein anderes Bundesland ein reiches Erbe aus der Vergangenheit zu bewältigen hat. Es besitzt die meisten denkmalgeschützten Objekte: mehr als tausend Kirchen, 165 Stifte und Klöster, 365 Burgen und Schlösser und 90 Ruinen. Die Sicherung dieser Bausubstanz ist eine Aufgabe, die weit über die Kraft der öffentlichen Hand hinausgeht, trotz des Einsatzes beträchtlicher Mittel und außerordentlicher Anstrengungen aller Interessierten.

Vor dem Hintergrund dieser Gegebenheiten sind die Bemühungen um die Aktivierung der Kulturszene in Niederösterreich zu sehen. Es ergibt sich als selbstverständliche Konsequenz eine weitgehende Dezentralisierung und die Bildung von eher kleineren und auf das Land verteilten Schwerpunkten.

Bei dem engen Zusammenhang zwischen Bildung und Kulturverhalten muß jede erfolgreiche Kulturpolitik ihren Ausgang in der Bildungspolitik nehmen. Dann kommt der Ausbau der Basis. Dazu gehört die Erwachsenenbildung. In Niederösterreich beschäftigen sich damit vor allen Dingen der Volkshochschulverband, das Bil- dungs- und Heimatwerk und die konfessionellen Bildungseinrichtungen.

Ein gut ausgebautes Büchereiwesen, das zunehmend auf Freihandsystem umgestellt wird, ist ebenfalls ein wichtiger Teil der Grundversorgung. Vor allen Dingen geht es um die Schaffung eines günstigen kulturellen Klimas. Der Ermunterung und Anregung kommt neben der Förderung eine ganz entscheidende Bedeutung zu.

Ein dichtes Netz von Musikschulen - es gibt derzeit 105 mit rund 30.000 Schülern in Niederösterreich -, eine beachtliche Zahl von Blasmusikkapellen und Chören sollen als Beispiel für diese solide Basis auf musikalischem Gebiet angeführt werden.

Im Zentrum der Bemühungen des Kulturreferates steht jedoch die zeitgenössische Kunst. Gerade weil Niederösterreich eine so große Verpflichtung gegenüber der Vergangenheit hat und enorme Mittel für die Erhaltung der Kultursubstanz aufwenden muß, geht es immer wieder darum, die Wichtigkeit des zeitgenössischen Kunstschaffens in den Vordergrund zu stellen. Es gibt hier eine Reihe von Initiativen. Die wichtigsten Partner des Landes sind dabei die Künstlervereinigungen. Neben den eigenen Maßnahmen der Kunstförderung, wie Kulturpreise, Förderungspreise, Stipendien und der Veranstaltung von Ausstellungen und Konzerten, sowie der Förderung der Herausgabe von zeitgenössischer Literatur werden in zunehmendem Maße auch Aktivitäten auf Gemeinde- und Vereinsebene unterstützt.

Von stärkerer Öffentlichkeitswirksamkeit sind die sommerlichen Kulturaktivitäten, die in dem Begriff „Kultursommer” zusammengefaßt sind. Darunter sind die jährlichen großen Landesausstellungen zu verstehen, die den Schwerpunkt des Ausstellungssommers bilden. Im Vorjahr war es etwa die von 460.000 Besuchern frequentierte Ausstellung „1000 Jahre Babenberger” im Stift Lilienfeld, heuer die Ausstellung im Stift Herzogenburg „Kunst der Ostkirche” sowie im Schloß Schallaburg „Das Wiener bürgerliche Zeughaus”. Im kommenden Jahr ist eine große Jagdausstellung in Marchegg unter dem Titel „Jagd einst und jetzt” geplant. Im übrigen sind die wichtigsten Ausstellungsergebnisse schon bis 1985 im wesentlichen festgelegt.

Die Arbeitsgemeinschaft „Niederösterreichischer Theatersommer” ist ein Zusammenschluß der in Niederösterreich Sommerspiele veranstaltenden Gemeinden. Die Geschäftsführung dieser Arbeitsgemeinschaft liegt beim Kulturreferat, das bestrebt ist, die Veranstalter bei der Spielplangestaltung zu beraten, die Termine zu koordinieren und darüber hinaus die Werbung wirkungsvoll gemeinsam durchzuführen. Derzeit wird in den Orten Baden, Melk, Bad Deutsch-Altenburg, Stockerau, St. Pölten, Reichenau, Krems, Neulengbach und Perchtoldsdorf Sommertheater von Berufsschauspielern gespielt Dazu kommt noch eine ganze Reihe von Spielorten mit Laienbühnen. Am bekanntesten sind die Nestroy-Spiele in Sfhwechat.

Es versteht sich von selbst, daß die beiden ständigen Theater in St. Pölten und Baden in die Sommerspielszene integriert sind.

Zum Kultursommer unseres Landes zählt der sich immer stärker profilierende Musiksommej. Es gehören dazu die Konzerte rund um Wien anläßlich der Wiener Festwochen und die Internationalen Kirchenmusiktage in Lilienfeld und St. Pölten sowie die Internationalen Musiktage in Breiteneich- Altenburg und das Internationale Chorfestival in Krems. Diese Ereignisse stellen gleichsam eine Verdichtung des Musiklebens dar, wie ?s das ganze Jahr vorwiegend von den Niederösterreichischen Tonkünstlern und den vielen kleinen Orchestern und Chören bestritten wird.

Es mag heute noch manche Klischeevorstellung von Niederösterreich geben. Da und dort assoziiert man vielleicht noch niederösterreichisch mit provinziell, ja sogar rückständig. In den letzten Jahrzehnten hat sich aber gerade in diesem Bundesland Entscheidendes geändert. Es war auf vielen Gebieten ein Aufholprozeß im Gange, der in seiner Dynamik heute noch anhält, vor allem auch im kulturellen Bereich. Das Land hat aus der Not eine Tugend gemacht und zum Unterschied von anderen Bundesländern seine Kulturpolitik nach stark dezentralisierten Gesichtspunkten orientiert. Dadurch ist es möglich gewesen, eine kulturelle Breitenwirkung zu erzielen, um die uns andere beneiden.

Tendenzen, die heute auf eine stärkere Aktivierung der Bevölkerung hinauslaufen und das Kulturleben aus dem elitären Bereich, aus dem elfenbeinernen Turm sozusagen,herausho- len wollen, wurden in Niederösterreich faktisch vorweggenommen.

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