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Graz als Modell
Hauptstädte waren und sind Kristallisationspunkt, Zentrum geistiger und wirtschaftlicher Aktivität, aber gleichzeitig Zielscheibe der Kritik. Helmut Qualtinger formulierte, bezogen auf Wien, was wohl für jede Hauptstadt gültig ist: „Das Problem für jeden Wiener: Man kann es in Wien nicht aushalten. Aber woanders auch nicht.“
Die - eine Stadt zur Hauptstadt machende - Zusammenballung geistiger und wirtschaftlicher Aktivität fordert Widerspruch, Dis-
kussion, Ablehnung und Zustimmung ebenso heraus wie Stolz und Neiderschaft. Nicht zufällig gehören die Autokennzeichen der jeweiligen Hauptstädte auf der ganzen Welt nicht gerade zu den beliebtesten...
Im Mikrokosmos österreichischer Bundesländer—warum sollte es auch anders sein? — spielt sich ähnliches, wenn auch in anderen Größenordnungen und in anderer Intensität ab. Und es ist gut so.
' Je mehr eine Hauptstadt im Gespräch ist, zu Diskussion und Konfrontation anregt, umso mehr erfüllt sie eine ihrer Hauptaufgaben. Sieht man von den öffentlichen Verwaltungseinrichtungen ab, die hier ihren Sitz haben, sind es ja gerade die geistigen und wirtschaftlichen Impulse, die eine Stadt zu mehr machen — eben zur Hauptstadt.
• Nldit zufällig wird das geistige' Klima der steirischen Landeshauptstadt Graz zum Beispiel we-
sentlich von den beiden Universitäten und der Hochschule für Musik und darstellende Kunst geprägt. Rund 35.000 Studierende bei einer Gesamteinwohnerzahl von knapp 250.000 Menschen formen geistiges, religiöses und kulturelles Leben.
Zusammen mit den Hochschullehrern, dem wissenschaftlichen Personal und den Lehrern an den mittleren und höheren Schulen ist rund ein Fünftel der Gesamtbevölkerung im weiten Feld von Bildung, Wissenschaft und Forschung tätig. Dieser Faktor hat in Graz zu einer auch international beachteten Symbiose, zu Aufgeschlossenheit gegenüber dem Neuen und einem positiven Traditionsbewußtsein geführt.
Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß in dieser Stadt Weltraumtechnik und Motorenforschung, die Grazer Medizinschule und eine neue Baukultur, großräumige Altstadtpflege, der Stei-rische Herbst, das Forum Stadt-pai'k und die sonstige Buntheit einer vielfältigen, oft im Meinungsstreit agierenden Kulturszene heimisch wurden.
Während in Zürich die Renovierung der Oper — übrigens ein Bau von Helmer und Fellner, wie in Graz — Anlaß tumultöser Proteste war, konnte dieses Vorhaben in Graz in Ubereinstimmung mit der Bevölkerung (Bürgerbeteiligung) durchgeführt werden. Verständnis, Toleranz und Aufgeschlossenheit sind Werthaltungen, die gerade in der Großstadt Herausforderung und Bewährung erleben.
Ein Manko, das es in mühevöI-~ ler Arbeit abzubauen gut, ist der Mangel an Arbeitsplätzen, die
dem Äusbildungsniveau entsprechen. Die Voraussetzungen dazu werden zunehmend besser. Es bedarf allerdings noch vielfältiger Anstrengungen.
Bis zum vergangenen Jahr hatte die steirische Landeshauptstadt die „rote Laterne“ aller österreichischen Landeshauptstädte beim Pro-Kopf-Steueraufkommen, das eines der signifikantesten Kenndaten für die Wirtschaftskraft ist. Nun ist es gelungen, diese Schlußlichtposition abzugeben.
So, wie sich die Stadt als Partner der Universitäten versteht, sind wir an einer fruchtbaren Partnerschaft mit allen Verantwortungsträgern der Wirtschaft interessiert. Der ins Leben gerufene Wirtschaftsbeirat ist öffentlicher Ausdruck dieses in Graz notwendigen Miteinanders.
Neben der Förderung und Unterstützung bestehender Betriebe arbeitet das Wirtschaftsförde-rungsref erat an vielen neuen Projekten: Industrie- und Gewerbepark, Technologiezentrum, Betriebsansiedlungen, die für die Stadtentwicklung eine langfristige Bedeutung haben, und das-Erproben unkonventioneller Me--rnoaen.
Ein besonderer kommunalpolitischer Schwerpunkt ist neben einer konsequenten Umwelt- und Sozialpolitik der weitere Ausbau der internationalen Kontakte. Eine neue Dynamik verzeichnet der Fremdenverkehr.
Diese insgesamt durchaus positive Entwicklung ist möglich geworden, weil in den Grundzügen und Lebensfragen der Stadt ein
konstruktives Klima zwischen den politischen Verantwortungsträgern herrscht, wie überhaupt die Strategie der gemeinsamen Problemlösung, in die alle hauptverantwortlichen Kräfte unserer Stadt eingebunden sind, zu einem neuen Stadtoptimismus, zu einem positiven Lebensgefühl geführt hat.
Gegensätze zwischen den Parteien verstellen nicht den Blick für die Notwendigkeit des Mitein-
anders. Es herrscht im Grazer Rathaus das Bemühen, Probleme gemeinsam zu lösen. Unsere Stadt ist eingebettet in die politische Landschaft unseres Landes, aber wir sind nicht nur frei von Skandalen, sondern auch frei von jenen manchmal unversöhnlich scheinenden Tönen der Tagespolitik, die soviel Pohtik(er)verdros-senheit nach sich ziehen.
Der Autor ist Bürgermeister von Graz.
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