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Warum nicht Wien?

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Was — außer dem Bedürfnis, den niederösterreichischen Politikern eine Nachhilfestunde in Bundesländernationalismus zu geben, der in diesem schönen Land kaum gedeiht nr h t. Hans Ströbitzer veranlaßt, die Frage nach einer eigenen niederösterreichischen Hauptstadt gerade jetzt aufzuwerfen?

Man erfährt, was dieser Frage so brennende Aktualität verleiht Es ist die Absicht, auf einem Teil des Minoritenplatzes, der ja bekanntlich an das niederösterreichische Landhaus in der Herrengasse angrenzt, einen neuen Verwaltungstrakt für die Landesregierung zu errichten. Die Kosten dieses Projektes werden auf 40 bis 60 Millionen Schilling geschätzt, und „bevor man nun die Millionen auf dem Minoritenplatz verbaut, müßte man — wenn überhaupt — die Frage der Errichtung eines Verwaltungszentrums für Niederösterreich außerhalb von Wien einmal gründlich untersuchen“.

Unter dem Vorwand, 40 bis 60 Millionen Schilling zu ersparen, wird hier eine Frage aufgeworfen und ein Lösungsvorschlag offeriert, der zwar Infrastrukturinvestitionen in Milliardenhöhe verursachen würde, dessen wirtschaftlicher Erfolg aber nichts anderes als die Übersiedlung von in Wien wohnenden Beamten nach St. Pölten wäre.

Landeshauptstadt St. Pölten?

Es ist zugegebenermaßen billig darauf hinzuweisen, daß Ströbitzer in St. Pölten wohnt, aber welche Argumente sprechen denn wirklich noch für St. Pölten als Landeshauptstadt.

Da wird einmal als Grund angeführt, daß Raumplaner im Gebiet von St. Pölten und Krems einen Gegenpol zur Bundeshauptstadt Wien sehen. Nun, der wahre Gegenpol zu Wien liegt im Linzer Raum. Dort wird in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten eine Agglomeration mit einer Wohnbevölkerung von 600.000 bis 700.000 Einwohnern entstehen. St. Pölten liegt ungefähr in der Mitte zwischen Linz und Wien; es wird auch als niederösterreichische Landeshauptstadt zu schwach sein, um einen Gegenpol zu Linz oder Wien zu bilden.

Auch mit dem Bau eines Verkehrssterns im Raum von Sankt Pölten, einer neuen Donaubrücke bei Krems und einer Verbindung zwischen der West- und Südautobahn würde St. Pölten nur ver-

kehrsmäßig besser erschlossen, aber noch nicht zum Gegenpol geworden sein.

Daß sich in St. Pölten bereits zwei „bedeutende“ Zentralstellen, nämlich die niederösterreichische Gebietskrankenkasse und das Landesmilitärkommando befinden -und:r in Zukunft auch das Wirtschaftsförderungsinstitut errichtet werden wird, ist vielleicht erwähnenswert, aber kein ernsthaftes Argument für den Sitz der Landeshauptstadt.

Wenn Ströbitzer schließlich schreibt, „es fehlt im Lande unter der Enns an einem echten geistigen Zentrum. Der Großteil der Elite wandert nach Wien ab, um dort gleichsam unterzugehen“, so ist diese Aussage doch sehr verzerrt.

Auch ohne dem Elitedenken verhaftet zu sein, muß man doch feststellen, daß es nicht an der Großstadt, sondern an der Elite liegt, wenn sich diese nicht behaupten kann. Da Wien durch Jahrhunderte für dieses österreichische Kemland geistiges Zentrum war, kamn es auch heute noch diese Funktion erfüllen.

Soll man vielleicht nur deshalb, weil aus innenpolitischen Gründen vor 50 Jahren Wien künstlich von Niederösterreich getrennt worden ist, diese Grenzen auch noch zur geistigen Grenze machen? Soll der Föderalismus wirklich durch einen partikularistischen Regionalismus abgelöst werden?

Schleift die Landesgrenzen!

Wenn aber wirklich eine Lösung des Hauptstädtepro’blems von Niederösterreich angestellt werden soll, dann müßte sie auf jeden Fall davon ausgehen, daß die Landesgrenzen heute schon für jede zukunftsorientierte Planung der Industrie- und Wohnlandschaften Niederösterreichs und Wiens das größte Hindernis darstellen. Deshalb können diese Landesgrenzen für eine langfristige Stadtplanung und für ein langfristiges Wirtschaftskonzept der Stadt Wien nicht als unveränderlich betrachtet werden, da sie „die Gefahr heraufbeschwören, daß für die Gesamtwirtschaft der Region Wien Vorteile nicht rechtzeitig wahrgenommen beziehungsweise Fehlinvestitionen nicht verhindert werden können“ .

Diese Feststellung gilt,; genauso für Niederösterreich’ und datier’ smd sich auch heute schon die Fachleute einig, daß die zwischen Wien und Niederösterreich bestehenden Landes- und damit auch Steuergrenzen ein echtes Handicap für den Ausbau beziehungsweise die Verbesserung der Infrastruktur Niederösterreichs und Wiens sind.

Die Forderung müßte deshalb lauten: Schleift die Landesgrenzen zwischen Wien und Niederösterreich und macht Wien wieder zur echten Hauptstadt Niederösterreichs. Nicht die Aufsplitterung, nur die Konzentration kann die negative Bevölkerungsentwicklung im Osten Österreichs aufhalten und umkehren. Selbst vom innenpolitischem Standpunkt aus, wäre diese Lösung zu begrüßen. Im Bundesland Niederösterreich, vergrößert um Wien, wären die beiden Großparteien annähernd gleich stark vertreten; bei der Nationalratswahl 1966 erhielt die ÖVP in Wien und Niederösterreich 906.738 Stimmen und die SPÖ 924.669. Geringe Stimmenverschiebungen würden schon eine Veränderung der Mehrheitsverhältniisse nach sich ziehen und zu einem gesunden Wechselspiel in der Führung der Landesregierung Anlaß geben. Manche Politiker, die sich nur auf die Stabilität der Mehrheit im niederösterreichischen Landhaus und im Wiener Rathaus verlassen, werden dann in Zukunft mit Alternativen und neuen Gedanken um die Zustimmung der Wähler kämpfen müssen.

Ein weiterer großer Vorteil der Aufhebung der Landesgrenzen zwischen Niederösferreich und Wien liegt in der Beseitigung administrativer Doppelgeleisigkeiten und der dadurch möglichen Reduzierung des Beamten- und Verwaltungsappara- tes.

Freilich erscheint angesichts der Erstarrung der in beiden Bundesländern herrschenden Machtgruppen dieser Vorschlag heute noch vielen als Utopie. Tatsächlich aber ist seine Realisierung für die Zukunft dieses Großraumes nicht nur notwendig, sondern auch möglich.

Presse-Sonderbeilage „Wien“ vom 3. Mai 1968, Artikel „Planung ohne Grenzen“, Seite UL

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