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Wie groß ist Wien?

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Wie grou ist Wien? LHese Frage scheint so leicht zu beantworten, daß sie geradezu aillbern klingt: „404,09 Quadratkilometer, auf denen etwa 1,650.000 Personen ihren Wohnsitz haben“, lautet die Auskunft der Statistiker.

So formal richtig diese Zahlen auch sind, so falsch sind sie, wenn es um die Praxis geht. Die wirtschaftlich und psychologisch bedingte Realität richtet sich nämlich keineswegs nach Grenzsteinen: Liegen die Verwaltungsgrenzen Wiens vor Schwechat, Perchtoldsdorf, Purkersdorf und Klosterneuburg, so verlagern die Raumplaner die tatsächlichen Grenzen der Stadtregion — und damit des direkten Einzugsbereiches und des Wirtschaftsraumes von Wien — weit hinaus nach Niederösterreich.

Nicht nur die einst auch verwaltungstechnisch zu Wien gehörenden, im Jahr 1954 an Niederösterreich abgetretenen „Randgemednden“ (unter anderem Klosterneuburg, Mödling, Purkersdorf, Schwechat und Mün-chendorf), sondern darüber hinaus „urniederösterreichische“ Gebiete sind derart intensiv an Wien gebunden, daß die offizielle Landesgrenze dadurch tagtäglich ad absurdum geführt wird.

Das Auseinanderklaffen zwischen der offiziellen und den faktischen Stadtgrenzen ist keineswegs eine auf Wien beschränkte Sonderheit. In schwächerem Ausmaß trifft dies auch für Landeshauptstädte, etwa für Linz, Graz oder Klaigenfurt, zu; in zumindest ebenso krasser Weise stellt sich das Problem anderen Millionenstädten, wie etwa München, Hamburg, Paris oder London.

Gestörtes Verhältnis zum Umland

Trotzdem entstanden in den vergangenen Jahrzehnten für kaum eine andere Großstadt ähnlich schwierige Probleme aus den „unechten Grenzverhältnissen“, wie für die österreichische Bundeshauptstadt. Schuld daran trägt das „gestörte Verhältnis“ zwischen Wien und seinem Umland; Ausdruck dafür ist vor allem die erschreckende Kontaktarmut zwischen Wien und Niederösterreich einerseits und zwischen Wien und den umliegenden Gemeinden anderseits.

Wie kraß diese Kontaktarmut ist, geht sogar aus einem der wenigen verfügbaren konstruktiven Beispiele hervor: Knapp, nachdem in Niederösterreich Dipl.-Ing Dr. Hartmann die Nachfolge Ing. Figls als Landeshauptmann antrat, begannen Gespräche zwischen Wiener und Niederösterreichischen Stellen über die Schaffung gemeinsamer Kommissionen zur Lösung gemeinsamer Probleme. Seither sind Jahre vergangen, inzwischen ist Hantmann gestorben. Der offizielle Kontakt wurde in dieser Zeit zwar „vertieft“, führte jedoch bisher kaum zu gemeinsamen Erkenntnissen, geschweige denn zu gemeinsamen Aktionen. Bisher konnte in der Praxis lediglich ein einziger bedeutsamer Fortschritt — der gemeinsam finanzierte Ausbau Laxenburgs zu einem Erholungszentrum für die nahe Großstadt — erzielt werden.

Deprimierende Zwischenbilanz

In den gleichen Jahren entwickelten sich die beiderseitigen Probleme mit normaler, gegenüber der amtlichen Arbeitsweise jedoch geradezu erschreckender Rasanz. Dies macht eine keineswegs vollständige Liste jener ungelösten Probleme deutlich, die mit jedem Monat weiteren Zu-wartens dringlicher und damit auch schwieriger zu lösen sein werden.

Im Bereich der Stadtplanung (die selbstverständlich auch für die Entwicklung der Umgebung Wiens von entscheidender Bedeutung ist) gibt es so gut wie keine Koordination zwischen Wien und Niederösterreich. Planen etwa die Wiener Behörden Erholungsgebiete am Stadtrand, so forcieren gleichzeitig die Vertreter niederösterreichischer Gemeinden die Ansiedlung von Industriebetrieben an den Grenzen dieser Grünzonen. Dadurch wird der Wert der künftigen Erholungsgebiete innerhalb der Wiener Stadtgrenzen entscheidend herabgesetzt. Ähnlich wirkt sich die mangelnde Koordination auf die Erhaltung der hauptsächlich von Wienern frequentierten Erholungsgebiete im Umkreis der

Bundeshauptstadt aus: Am Bisam-berg etwa, Ausflugsziel vor allem der Floridsdorfer, soll nach dem Willen der niederösterreichischen Gemeinden Bisamberg und Langenzersdorf eine Bungalowsiedlung entstehen. Weniger spektakulär, dafür jedoch weitaus drastischer, wirken sich Parallelplanungen auf wirtschaftlichem Gebiet aus. An Stelle eines von den Ländern Wien und Niederösterreich sowie den davon betroffenen niederösterreichischen Gemeinden gemeinsam ausgearbeiteten Indüstoiahsierungsplanes gibt es ein Planungschaos, das jeder Vernunft widerspricht und jeder vielleicht doch einmal koordinierten Entwicklung auf lange Sicht hin zusätzlich Schwierigkeiten bringt.

Besonders, umfangreich ist die Liste jener Sünden, die auf mangelnde Zusammenarbeit bei der Lösung von Verkehrsfragen zurückzuführen sind:

• Um das Defizit der Wiener Verkehrsbetriebe zu senken, erwägt man die Verkürzung der Straßenbahnlinie 360 (derzeit bis Mödling) bis zur Stadtgrenze. Dadurch würden

Mödling, Brunn am Gebirge, Maria Enzersdorf und Perchtoldsdorf eine Verkehrslinie verlieren, die vor allem für den Schüler- und Berufsverkehr von größter Bedeutung ist. Anderseits würde dadurch den Wiener Ausflüglern eine besonders wichtige Zubringerlinie zum südlichen Wienerwald genommen.

• Ähnliche Nachteile stehen den Bewohnern von Großenzersdorf durch die gleichfalls beabsichtigte Kürzung der Linie 317 bevor.

• In Fragen der Autobusplanung bestehen kaum Kontakte zwischen Wien und Niederösterreich. Es mutet geradezu als Wunder an, daß trotzdem auf Bundesebene Beschlüsse etwa über die grundsätzliche Festlegung der Trasse einer Flughafenautobahn (Wien—Schwechat, mit Fortsetzung in den Raum Hainburg) möglich waren. Ein gemeinsames Vorgehen Wiens und Niederösterreichs könnte allerdings sowohl zur Verbesserung der Autobahnplanung in Ostösterreich als auch zur Beschleunigung der Baumaßnahmen führen.

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