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Hartmanns „Visitenkarte“

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Die Niederösterreicher haben wieder einen Landesvater. Schon in seiner ersten Amtstätigkeit zeigte Dipl.-Ing. Eduard Hartmann, daß er es verdient, als Landesvater bezeichnet zu werden. Er zeigte es, als er die vom Hochwasser so schwer betroffenen Gebiete Niederösterreichs besuchte, den Menschen Trost und Hilfe zusprach und sich auch mit Energie für entsprechende Hilfsmaßnahmen einsetzte.

Beim jüngsten ' ÖVP-Parteirat wurde offenbar, daß Dipl.-Ing. Hartmann nach einigem Tauziehen schließlich auch alle Vollmachten der Partei erhalten hatte. Er wird Mitte Juli auch zum ÖVP-Obmann von Niederösterreich gewählt werden. Wie es heißt, wurde ihm für die Zeit, da er zugleich das Amt des Landeshauptmannes ausübt, ein geschäftsführender Obmann — in der Person von ÖAAB-Chef und Generaldirektor Viktor MüHner — zur Seite gestellt. Laut Parteistatut sind aber die letzten Entscheidungen dem Obmann vorbehalten.

Daß Niederösterreich keine eigene Landeshauptstadt besitzt, wird dem Beobachter auch bei Landtagssit-rungen stets bewußt. Die historischen Ränge des niederösterreichischen Landhauses pflegen nämlich bei Sitzungen des Regionalparlaments von gähnender Leere ausgezeichnet zu sein. Die Wiener bekunden kaum Interesse an dieser „Enklave der Provinz“, und rmederösterreichische Schlachtenbummler fahren in der Regel nur zu Fußballspielen in die Bundeshauptstadt. Eine große Ausnahme war die Wahl des neuen Landeshauptmannes Dipl.-Ing. Hartmann. Die Ränge waren zum Bersten gefüllt, in den Eingängen stauten sich die Zaungäste aus nah und fern.

Die Welle des Vertrauens, die Hartmann durch die einstimmige Wahl vom Hohen Haus zum Ausdruck gebracht wurde, schien sich auf ganz Niederösterreich auszudehnen. Der neue Landeshauptmann gab schon in dieser ersten Stunde deutlich zu verstehen, daß er nicht gedenke, auf den Vorschußlorbeeren auszuruhen. Seine sehr handfeste Regierungserklärung wich in manchem von den traditionellen Proklamationen dieser Art ab.

Blick voraus

Wie sehr Hartmanns Blick zukunftsorientiert ist, beweist die Tatsache, daß er sich in seiner Regierungserklärung grundsätzlich mit der Jugendbildung auseinandersetzt. Zum Thema Erziehung erklärt der neue Landeshauptmann:

„Das geistige Kapital und das fachliche Können, das wir der Jugend auf dem Lebensweg mitgeben, ist die unerläßliche Voraussetzung und die beste Investition für den künftigen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Wohlstand unseres Volkes und Landes. Eine gut ausgebildete, charakterfeste und vaterlandstreue Jugend ist auch der sicherste Garant für die Erhaltung der schwer errungenen Freiheit, für die . Festigung demokratischer Grundsätze im öffentlichen Leben.“ Und weiter: „Die Alteren müssen der Jugend stets mit gutem Beispiel vorangehen. Die Jugend hat kein Verständnis für politischen Hader und Zank. Sie will von Gesetzgebung und Verwaltung positive Arbeitserfolge sehen.“

Die Erreichung der Ziele, die der neue Landeshauptmann dn seinem Programm für Niederösterreich gesteckt hat, setzt eine vernünftige politische Atmosphäre im Lande unter der Enns voraus. Bevor wir diesen Katalog der landespolitischen Probleme betrachten, sei ein kurzer Blick auf die „Außenpolitik“ des neuen Landeshauptmannes gestattet. Dipl.-Ing. Hartmann hat in seiner Pressekonferenz in Sachen Hochwasserschutz eine enge Zusammenarbeit mit Wien und den östlichen Nachbarländern (CSSR und Ungarn) angekündigt. „Wir können doch nicht durch unüberlegte Dammbauten das arbeitende Volk in unseren Nachbarländern ersaufen lassen.“

Partnerschaft mit Wien

Erstmals kam in einer Regierungs-jB-klärurig auch das Verhältnis Wien

und Niederösterreich in sehr konkreter Form zur Sprache. Wie das jüngste „Gipfeltreffen“ zwischen Hartmann und Marek zeigte, halben sich die Fronten zwischen dem '„schwarzen“ Niederösterreich und dem „roten“ Wien gelockert. Es nützte ja herzlich wenig, wenn weiland im Nieder österreichischen Landhaus über das „Walroß“ im Herzen unseres Bundeslandes viel geraunzt wurde, das uns Jahr für Jahr die besten Fischlein vom Arbeitsmarkt wegschnappt. Die 70.000 Arbeitskräfte aus dem Lande unter der Enns, die heute nach Wien und Oberösterreich pendeln, werden nur dann dm Lande bleiben und sich redlich ernähren können, wenn ihnen — wie Hartmann betont — entsprechende Arbeitsplätze und in zumutbarer Entfernung eine menschenwürdige Wohnung zur Verfügung stehen. Der neue Landesvater hat deutlich zu verstehen gegeben, wo der Hebel noch besser angesetzt werden muß: bei der Förderung der heimischen Wirtschaft (Industriegründungen) und bei der Förderung und Koordinierung (Verwaltungsvereinfachung!) der Wohnbaumaßnahmen. Hartmann spricht sich klar für die Subjektförderung aus.

Beim längst fälligen Ausgleich mit Wien wird man als obersten Grundsatz die lebensnotwendige Partnerschaft der beiden Bundesländer vor Augen haben müssen. Hartmann: „Niederösterreich ist das Ausflugsgebiet und die Skischule der Wiener.“ Wenn also die Bundeshauptstadt von der „Provinz“ heute Luft und Wasser bezieht und auch die für eine Millionenstadt notwen-

dige biologische Auffrischung erhält, so fließen doch als Äquivalent dafür die „Devisen“ in einem Strom von Fremdenverkehrsschdl-lingen nach Niederö>terredch.

In diesem Zusammenhang widmet Hartmann auch dem Ausbau des Fremdenverkehrs breiten Raum.

Wie für die wirtschaftliche Erstarkung Niederösterreichs auch die Verbesserung der Energieversorgung notwendig ist, so ist für den inneren wirtschaftlichen und sozialen Ausgleich der Ausbau der Straßen („Für jede Gemeinde eine staubfreie Zufahrt“), der Wasserleitungen und Kanalisationsanlagen notwendig. Hartmann spricht sich mit aller Vehemenz für den Abbau nicht nur des materiellen, sondern auch des geistigen und kulturellen

Gefälles zwischen Stadt und Dorf aus: „Der begabte Bub im entlegensten Dorf soll genauso die Möglichkeit erhalten, seine Talente in höheren Schulen zur Entfaltung zu bringen wie ein Kind der Großstadt.“ Der Landeshauptmann weist darauf hin, daß Niederösterreich mit der Gründung des Schulbaufonds, mit dessen Hilfe bereits 287 neue Schulen errichtet wurden, ein Beispiel nutzbringender Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und Land gegeben hat. Wohl im Hinblick auf die niedrige Organisationsform des Schulwesens im Lande unter der Enns betonte Hartmann: „Der Schulbau hat mit dem Prestige einer Gemeinde nichts zu tun. Wir müssen genau überlegen, wo neue Schulen gebaut werden müssen.“

Verwandlungsreform im Landhaus?

Dipl.-Ing. Hartmann scheut sich offenbar nicht, das heiße Eisen einer Verwaltungsreform im Landhaus anzufassen. Er setzt sich vor allem für eine Koordinierung der Arbeit in den einzelnen Abteilungen ein. („Was eine Dienststelle erledigen kann, soll nicht ein halbes Dutzend bearbeiten!“)

Größtes Interesse bringt der Landeshauptmann der Erhaltung der alten Kulturdenkmäler entgegen. Im Gegensatz zu manch anderen Bauernführern, von denen einer einmal meinte: „Für die alten Steine auch noch Geld ausgeben.“

Aus dem reichen Arbeitsprogramm Hartmanns sei nur noch herausgegriffen:

• der weitere Ausbau der Kinder-

gärten, auch der Erntekindergärten auf dem Land, sowie

• die Institutionalisierung der Dorfhelferinnen, eine notwendige Hilfe für erkrankte Bäuerinnen;

• der Ausbau der Altersheime;

• die Lösung der in Niederösterreich sehr prekären Spitalsfrage. „Wir haben ausgezeichnete Ärzte und ein opferbereites Pflegepersonal. Tun wir alles, damit wir auch ausgezeichnete, der modernen Zeit entsprechende Spitäler zur Verfügung haben.“

Dipl.-Ing. Hartmanns Programm für Niederösterreich ist auch auf der linken Reichshälfte auf guten Widerhall gestoßen. Es ist zu hoffen, daß der Verwirklichung keine Steine von welcher Seite immer — auf den Weg geworfen werden.

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