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Hauptstadt-Pakt

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Niederösterreichs Politiker haben deg Startschuß für ein Langzeitprojekt gegeben: St. Pölten wird Landeshauptstadt, die Landesviertel werden gleichzeitig aufgewertet.

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Niederösterreichs Politiker haben deg Startschuß für ein Langzeitprojekt gegeben: St. Pölten wird Landeshauptstadt, die Landesviertel werden gleichzeitig aufgewertet.

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Genau 101 Tage haben ÖVP und SPÖ in Niederösterreich nach der Hauptstadt-Volksbefragung vom 1. und 2. März 1986 geheim verhandelt. Der „Parteienpakt“, auf den

man sich am 11. Juni einigte, hat aber auch Hand und Fuß. Vor allem ist er imstande, auch alle jene Niederösterreicher zu befriedigen, die bei der Volksbefragung gegen eine Hauptstadt votiert hatten. Und das taten von den 733.718 Niederösterreichern, die an der Befragung teilnahmen (462.058 gingen nicht zu den Urnen) immerhin 318.766.

Am 1. und 2. März standen fünf Städte zur Auswahl: Baden, Krems, St. Pölten, Tulln und Wiener Neustadt. 45 Prozent der Befragungsteilnehmer entschieden damals für St. Pölten, 29 Prozent

für Krems.

Trotz dieses Vorsprungs für die politisch „rote“ Traisenstadt gab Landeshauptmann Siegfried Ludwig eine „Feinuntersuchung“ in Auftrag. Das österreichische Institut für Raumplanung (ÖIR) sollte die Vorzüge des „schwarzen“ Krems (für das man Ludwig eine Vorliebe nachsagte) und des

„roten“ St. Pölten herausarbeiten.

Die „Feinstudie“ entschied für St. Pölten. Hauptargument: die jetzt 50.000 Einwohner zählende Stadt könne den Sprung auf die zu erwartenden 80.000 Einwohner besser verkraften:

• St. Pölten liegt im Herzen Niederösterreichs, ist verkehrsmäßig gut erreichbar. Im Gegensatz zu Krems könnte es an die geplante Hochleistungsstrecke der ÖBB (Westbahn) angebunden werden.

• In St. Pölten gibt es bereits ge-samtniederösterreichische Einrichtungen (Militärkommando, Wirtschaftsförderungsinstitut, Gebietskrankenkasse) als Ansatz für eine Weiterentwicklung. In Krems nicht.

• Die Standörtflächen in St. Pölten sind zentrumsnah, leicht zu Fuß vom Hauptbahnhof aus erreichbar und könnten bei Bedarf ausgedehnt werden. Krems bot Hauptstadtgründe in Nachbarge-

meinden am gegenüberliegenden Donauufer an.

Die notwendigen Verwaltungseinrichtungen und zusätzlichen Beamtenwohnungen werden mit einem Sonder-Finanzie-rungsmodell errichtet. So der Parteienpakt.

Man denkt dabei an Leasing. Die Raten sollen erst dann das Land belasten, wenn die neue Häuptstadt steuerliche Mehreinnahmen bringt (durch Bevölkerungszuwachs, Zuzug von Industrie und Gewerbe).

Gesamtkosten: rund 13 Milliarden Schilling Investitionskapital für rund 20 Jahre.

Im gleichen Zeitraum sollen aber auch an die 13 Milliarden Schilling in Gemeinden und Regionen fließen:

• Ein Drittel der „Landesümla-ge“ - etwa 150 Millionen Schilling - soll jedes Jahr sofort wieder den Gemeinden retourniert werden. Zur eigenen Verfügung.

• Zwei Drittel - rund 350 Millionen Schilling — werden jährlich als zusätzliche „Regional- und Gemeindeförderung“ im Budget zweckgebunden.

Nach zehn Jahren wird dieser Betrag der jährlichen Wachstumsrate des Landesbudgets angepaßt, damit wertgesichert.

Der „Pakt“ gilt 20 Jahre. Die zusätzliche „Regional- und Gemeindeförderung“ ist bereits im Landeshaushaltsplan 1987 ausgewiesen.

Darüber hinaus sollen den Gemeinden vom Land noch weitere Lasten abgenommen werden. Etwa beim Kanalbau. Hier soll's für finanzschwache Kommunen künftig „verlorene Zuschüsse“ geben. Ein „Musikschul-Förde-rungsgesetz“ wird den Gemeinden die Erhaltung dieser in Niederösterreich breit gestreuten Bildungseinrichtung erleichtern.

Ganz überraschend kam die Entscheidung der Landesspitzen für St. Pölten nicht. Die SPÖ, ursprünglich gegen eine Landeshauptstadt, hatte den Vorsprung der „roten“ Traisenstadt bei der Volksbefragung akzeptiert. Nur aus dem „roten“ Wiener Neustadt kam Protest.

Der Bürgermeister der „Allzeit Getreuen“, Gustav Kraupa, probte den Aufstand wider die Landespartei. Er wollte eine neue Volksbefragung über St. Pölten. Aber er zog zurück, als ihm SP-Landesobmann Ernst Höger versprach, Wiener Neustadt werde als Industriezentrum aufgewertet, würde eine Wirtschaftsuniversität und technische Forschungsstätten erhalten.

Auch der „schwesterliche“ Neid der zu kurz gekommenen anderen Bewerber-Städte soll gedämpft werden:

• Krems soll blau-gelbe Kulturmetropole werden,

• Baden wird Niederösterreichs Kur- und Fremdenverkehrsmekka, •

• Tulln Agrar- und Energie-Forschungszentrum.

Das alles soll schon bald starten. Nur bei der Hauptstadt will man nichts überhudeln.

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