6764550-1968_29_04.jpg
Digital In Arbeit

Großbau — wieder in Wien?

Werbung
Werbung
Werbung

Vor wenigen Jahren tauchte in der Kombination um die Landeshauptstadt immer häufiger der Name St. Pölten auf. Wohl nicht zuletzt auch deswegen, weil die Raumplaner im Gebiet von St. Pölten und Krems einen Gegenpol zur Bundeshauptstadt sehen. Dieser Schwerpunkt könnte nach Meinung der Raumplaner durch den Bau der neuen Donaubrücke und einer Schnellstraße noch verstärkt werden. Es ist erwähnenswert, daß sich in St. Pölten bereits zwei bedeutende niederösterreichische Zentralstellen befinden. Es ist dies die niederösterreichische Gebietskrankenkasse und das Landesmilitärkommando, das erst vor kurzer Zeit von Wien nach St. Pölten übersiedelte. Auch die wichtigste Ausbildungsstätte der Gewerblichen Wirtschaft, das neue, nach modersten Grundsätzen geplante Wirtschaftsförderungsinstitut, wird in St. Pölten errichtet.

Die Frage, ob Niederösterreich auch in Zukunft auf eine eigene Landeshauptstadt verzichten soll, ist auch noch aus einem anderen Umstand heute aktueller denn je. Es wird nämlich derzeit darüber diskutiert, ob nicht das Land ein neues modernes Verwaltungsgebäude für die Landesregierung errichten sollte. Es käme dafür ein Teil des Minori- tenplatzes in Frage, der bekanntlich an das niederösterreichische Landhaus in der Herrengasse angrenzt. Die Kosten für den Verwaltungstrakt wurden zwar noch nicht errechnet, doch schätzt man sie auf 40 bis 60 Millionen Schilling. Angeblich möchte eine große Ölgesellschaft eine Tiefgarage unter dem geplanten Verwaltungsgebäude bauen und darin würde sie auch Tankstellen installieren.

Von hohen Beamten des Landes Niederösterreich wird der Plan, einen neuen Verwaltungstrakt zu bauen, damit begründet, daß derzeit die Amtsstellen der niederösterreichischen Landesregierung auf ein halbes Dutzend Gebäude in verschiedenen Teilen Wiens verteilt sind. Schon dadurch werde ein relativ hoher Verwaltungsaufwand verursacht. Die Beamten halten daher eine räumliche Konzentration für notwendig.

Bevor man nun die Millionen auf dem Minoritenplatz verbaut, müßte man — wenn überhaupt — die Frage der Errichtung eines Verwaltungszentrums für Niederösterreich außer-

halb von Wien einmal gründlich untersuchen. Es bestünde durchaus die Möglichkeit, den Baugrund am Minoritenplatz, einen der wertvollsten und teuersten der Bundeshauptstadt, gut zu verkaufen.

Mangelndes „Landesgefühl“

Von so manchen Politikern und Beamten, die mehr wienerisch als niederösterreichisch denken, wird die Frage der Landeshauptstadt heute kurzweg als Utopie abgetan. Es sind das meist jene Politiker, die sich in Wien etabliert haben und die in Niederösterreich nur noch eine Alibiwohnung, einen zweiten Wohnsitz haben, um in dem einen oder anderen Viertel wieder kandidieren zu können. Natürlich ist auch kein Hurra-Optimismus am Platz. Allein mit dem Ausbau eines Verkehrssterns im Raum St. Pölten ist es noch nicht getan. Wenn es auch durchaus möglich wäre, durch eine Verbindung der West- und Südautobahn schneller von Wiener Neustadt nach St. Pölten zu kommen als in den ersten Wiener Bezirk, so müßten noch viel größere Schranken überwunden werden. Es sind das psychologische Schranken, Das Viertels- bewußtseiin ist nämlich in Niederösterreich offensichtlich noch immer größer als das Landesbewußtsein.

Auch die Eifersucht unter den Städten sollte man nicht unterschätzen. Es fehlt nämlich im Lande unter der Enns an einem echten geistigen Zentrum. Der Großteil der Elite wandert nach Wien ab, um dort gleichsam unterzugehen.

Die Sogwirkung eines eigenen Verwaltungszentrums würde sich sicherlich auch auf die Wirtschaft des Landes auswirken. Obwohl es natürlich schwer sein wird, hier fixe Zahlen zu errechnen. Allein dadurch, daß der Großteil der niederösterreichischen Beamten in Wien Steuern zahlt und in Wien sein Geld ausgibt, gehen Niederösterreich viele Millionen Schilling, die es aus seinen Budgetmitteln aufbringen muß, Jahr für Jahr verloren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung