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St. Pölten — Prüfstein und Chance

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Vor zweieinhalb Jahren hat das Land Niederösterreich den sehr mutigen und beispiellosen Schritt gesetzt, in einer schwierigen Phase der Wirtschaft im Osten Österreichs und in einer kritischen Situation der öffentlichen Haushalte die Entwicklung des Landes in den Griff zu nehmen und neu zu strukturieren.

Niederösterreich erhielt nach 65 Jahren politischer Trennung von Wien mit St. Pölten wieder eine eigene Landeshauptstadt. Damit wurde eine Politik eingeleitet, durch Übersiedlung wichtiger politischer, administrativer und kultureller zentraler Einrichtungen von Wien in die neue Landeshauptstadt mehr Selbständigkeit, Eigenentwicklung und eine neue Identität zu schaffen. Längerfri- „ stig geht es um die Entwicklung einer vollwertigen Landeshauptstadt, die dem sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Gewicht und der Bedeutung und Eigenart Niederösterreichs entspricht und dies für die Bewohner und Besucher St. Pöltens spürbar und er fahrbar macht. Eine Entwicklungsaufgabe, die nicht auf vorliegende Planungen, auf Vorgedachtes oder auf andere Beispiele aus diesem Jahrhundert zurückgreifen läßt. Eine Aufgabe, die eine intensive Auseinandersetzung mit den Chancen dieser Stadt, mit neuen Erkenntnissen, mit Ideen und Konzepten erfordert.

Ein wesentliches Ziel in den ersten Jahren der Planung der neuen Landeshauptstadt war die Leitvorstellung, St. Pölten von innen heraus neu zu entwickeln, nicht eine neue Stadt neben die vorhandene zu stellen, sondern integrierte Standorte für die neu zu schaffenden Elemente dieser Stadt anzustreben. Integrierte Lösungen, Innenentwicklung bedeutet dabei, von der vorhandenen Stadtstruktur auszugehen und Stadtumbau, Stadtteilerweiterung, neue städtische Schwerpunkte dort vorzusehen, wo ein möglichst großer Nutzen und möglichst geringe Nachteile für die vorhandenen Stadtquartiere entstehen.

Für die Planung war es wichtig, Meinungen, Vorschlägen, neuen Erkenntnissen und Ideen Gehör und ein Forum zu geben. In diese Richtung zeigen die Versuche und

Bemühungen, Studenten und Professoren zu gewinnen, zur Gestaltung dieser Stadt frei und ungebunden, utopisch oder kühn ihre Vorstellungen auszusprechen, Zukunftsforen zu veranstalten. Oder für Bauaufgaben auf breiter Basis Ideen und Interessenten zu suchen, Wettbewerbe auszuloben. Bürgerdiskussionen und -Wettbewerbe wurden durchgeführt, um mit möglichst vielen Bewohnern St. Pöltens, aber auch des Landes Niederösterreich in einen Dialog über Ideen, Anregungen und Bedenken zu ihrer neuen Landeshauptstadt als Ort der Begegnung zu kommen.

Zwei Themen haben sich als Schwerpunkte für die künftige Gestaltung der Landeshauptstadt erwiesen:

• In den Diskussionen dominierte die Forderung nach „ökologischer Stadtentwicklung“, nach Bändigung und Begrenzung des Verkehrs, des Lärms und der Luftverunreinigung und nach behutsamem Umgang mit natürlichen, landschaftlichen Ressourcen. Die Forderung nach Erhaltung und Revitalisierung des Flußraumes der Traisen wird vor den Forderungen nach neuen hauptstädtischen Einrichtungen und anderen Aktivitäten genannt.

Nach den vielen Wechseln und auch Moden in der Städtebaupolitik dieses Jahrhunderts, nach der „Gartenstadt“, der „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ und der dann folgenden Idee einer „Urbanität durch Dichte“ scheint nun eine langfristig wirkende Wende einzutreten. Demokratisch und human kann das nur erreicht werden, wenn der Prozeß der Entmündigung und Entfremdung, der unseren gegenwärtigen Lebensstil geprägt hat, beendet und teilweise umgekehrt wird. St. Pölten könnte durch den Umfang der ausstehenden Änderungen in der neuen Landeshauptstadt eine ökologische Modellstadt werden.

• Im Suchen nach Symbolen für die neue Identität St. Pöltens als Landeshauptstadt stellen, weil kunsthistorischeoder naturräumliche Besonderheiten oder Einmaligkeiten der Stadt fehlen und die Stadt überdies mit Negativa belastet ist, die Architektur, die bauliche Gestaltung der neuen hauptstädtischen Einrichtungen eine besondere Herausforderung dar. Derzeit läuft ein internationaler Ideenwettbewerb für das Regierungsviertel mit dem Ziel, das Konzept für ein attraktives neues innerstädtisches Stadtviertel am Rande der Altstadt und am Rande des Flußraumes der Traisen zu entwickeln, in dem Bauten als Bedeutungsträger verstanden werden. Dies ist nach Hans Hollein „… gerade die Herausforderung an den Architekten, weil nicht das

Umfeld, sondern der Bau alles leisten muß“.

Bauten sollen die Offenheit gegenüber dem Bürger, das heutige Demokratieverständnis, auch den Reformwillen, der mit dem Neubeginn der Landesregierung in St. Pölten verbunden ist, deutlich zum Ausdruck bringen. Es ist zu hoffen, daß die teilnehmenden Architekten diese Herausforderung annehmen. Dieser Wettbewerb fällt in eine hochinteressante und besonders kreative Phase der Architekturentwicklung, in der aus der Enttäuschung über den Städtebau und Planungen in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Architektur wieder politisch geworden ist und neue Wege gesucht werden.

So divergierend die neuen Bestrebungen in der Architektur sind, so ist gerade die Unterschiedlichkeit in den Präferenzen und Zielen die beste Grundlage für fruchtbare Auseinandersetzungen und wirkt der Gefahr entgegen, daß Architektur der Konsumorientierung zum Opfer fällt. Es gibt in Österreich mehr qualifizierte Architekten als je zuvor, sodaß für die Landeshauptstadt tatsächlich ein Wettbewerb der besten Ideen zu erwarten ist.

Der Autor ist Vorstandsvorsitzender der NO Landeshauptstadt-Planungsges. m. b. H.

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