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Will man das Große nicht ?

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Bedeutende Pläne wecken erheblichen Widerstand. Das ist nichts Neues. Der träge Körper will nicht bewegt, der ruhende Geist nicht gestört werden. Hoffnungen sind schön, aber unbequem: sie drängen zur Tat. Visionen sind noch schöner aber noch unbequemer: sie zwingen den gemütlich dahindämmefnden Schläfer, seinen Schlummer zu unterbrechen und seine Lage zu überdenken. Er müßte sich als Teil der Schöpfung, als historisches Wesen, als Mitglied einer Sozietät begreifen und zudem erkennen, daß er über einen freien Willen verfügt. Für so manchen ist das Erwachen zur Bewußtheit, das Ringen um Glauben schmerzlich.

Obwohl die menschliche Neigung zur Trägheit nur allzu bekannt ist, wirkt die gegenwärtige Mattheit angesichts einiger großer Pläne doch einigermaßen überraschend. Dieses Verharren in einem Zustand der Passivität, dieser Hang zur Resignation und Skepsis, dieses verdrossene Mißtrauen gegenüber jeder großen gemeinsamen Unternehmung ist — in dieser intensiven und penetranten Ausformung - nicht natürlich. Der Zustand ist krankhaft.

Zwei Politiker haben in den letzten Monaten und Wochen den Versuch unternommen, ihre Mitbürger wachzurütteln. Der niederösterreichische Landeshauptmann Siegfried Ludwig hat die Errichtung einer neuen Landeshauptstadt zur Diskussion gestellt, der Wiener Bürgermeister Helmut Zilk hat von der Möglichkeit gesprochen, die Weltausstellung 1992 in die Bundeshauptstadt einzuladen.

Die beiden so sehr unterschiedlichen Männer haben die Erschlaffung des politischen Geistes, diese absurde Flucht ins Private, das Erlahmen schöpferischer Kraft als Symptome einer Bedrohung erkannt. Die Gefahr ist mit wenigen Worten formulierbar: Viele Österreicher neigen gegenwärtig dazu, ihr eigenes Schicksal von dem des Landes und das Schicksal des Landes von dem der Welt abzukoppeln. Sie wollen die Verantwortung für sich selbst ablegen, aus der Weltgeschichte auswandern und als Bewohner eines idyllischen Reservates ein ruhiges, vom Denken unbelastetes, allerdings auch komfortables Leben führen.

Die Errichtung der neuen Landeshauptstadt für Niederösterreich, die Planungen für die Wiener Weltausstellung könnten dem gegenwärtigen Zögern und Zaudern wenigstens partiell ein Ende setzen. Sie könnten einen vernünftigen Konsens erzwingen und dem Zerf all der Gesellschaft in sieben Millionen verschlafene Egoismen eine Idee und eine Aufgabe entgegenhalten. Sie könnten nicht nur neue, auf das 21. Jahrhundert hinzielende Strukturen der Verwaltung und der Ökonomie herausbilden, sondern — was wichtiger ist - die schöpferische Phantasie entzünden. Sie könnten dazu beitragen, daß das gegenwärtige Zeitalter eines Neo-Biedermeiers zu Ende geht und die Demokratie, durch konstruktive Unruhe des Geistes, mit neuer Lebenskraft erfüllt wird.

Die Ähnlichkeiten zwischen der Gegenwart und dem ersten Biedermeier sind in der Tat verblüffend. Auch damals sicherte die Allianz einiger Großmächte den dauerhaften Frieden in Europa — einen Frieden allerdings, der ihren Interessen entsprach. Auch damals hat die industrielle Revolution die Maschinenstürmer auf den Plan gerufen und zudem viele Menschen veranlaßt, sich nach einer Welt ohne Dampflokomotive und Dampfschiff, ohne Sprengarbeiten und Fabriksirenen zurückzusehnen. Auch damals sind — im Sinne der Parole „Bereichert euch!“ — Spekulanten, Glücksritter, Gauner und Hochstapler in großer Zahl aufgetreten, genauso raffgierig wie die fürwahr Ne-stroyschen Typen unserer AKH-, WBO-, Wein- und VOEST-Skan-dale. Auch damals wählten viele die innere Emigration einer idyllischen Privatheit: das Liebliche und Kleine, das Simple und Besinnliche, das Friedliche und Altvertraute.

Will Österreich mit der selbstgewählten Beschränktheit solcher Spitzweg-Figuren dem 21. Jahrhundert entgegenblicken? Will man die fünfzehn Jahre bis zur Jahrtausendwende behaglich verschlafen und dann, nach einer weinseligen Silvesternacht, weiterschlummern? Glaubt man wirklich, daß durch süßes Nichtstun der Wald gerettet und zugleich der Energiebedarf gesichert, der hohe Lebensstandard erhalten und zugleich die neue industrielle Revolution gemeistert, die Demokratie erneuert und zugleich die Neutralität verteidigt werden kann?

Die neue niederösterreichische Landeshauptstadt kann sowohl architektonisch wie durch ihre menschenfreundliche Struktur ein neues Modell schaffen: das Beispiel einer dienenden Stadt, die im Sinne der Dezentralisierung die einzelnen Landesteile fördert. Die neue Donauuniversität kann, in Zusammenarbeit mit der neuen Universität Passau, den drängenden Erfordernissen der regionalen Zusammenarbeit entsprechen. Die Wiener Weltausstellung kann als Sammelpunkt neuer Impulse dem gegenwärtigen Prozeß des Herabsinkens in einen idyllischen Provinzialismus entgegenwirken.

Die Frage lautet: Moderne Demokratie oder romantisches Reservat? Die Antwort ist auch für die schlaftrunkenen Mitbürger schicksalentscheidend.

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